Arbnesa unterrichtet viele SchülerInnen mit islamischem Glauben in einem stark von Migranten bewohnten Bezirk.

Foto: Susanne Einzenberger

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Foto: Biber, Dezember 2018

Amal ist sehr verwundert. Heute ist Elternsprechtag und die Schlange vor ihrem Zimmer wird immer länger. Dabei hat sie nur wenige Eltern von Problemschülern in Mathematik eingeladen. Gekommen sind sie aber alle, um die 28-jährige Mazedonierin mit albanischen Wurzeln kennenzulernen. Der Grund: Amal trägt Kopftuch. Und das geht als Sensation durch, zumindest in dieser Wiener NMS jenseits der Donau. Die Kinder kommen zum großen Teil aus christlich-österreichischen Familien, das politisch aufgeladene Kopftuch scheint für die Eltern ein wichtigeres Thema als der Schulfortschritt ihrer Kids zu sein.

Alle wollen sie wissen, wie "sie" tickt, die Lehrerin mit dem Kopftuch. Das Stück Stoff, das für viele stellvertretend für das muslimische Patriarchat und die Unterdrückung der Frau steht. "Kann diese Person unseren Kindern die Werte mitgeben, die wir uns in Österreich wünschen?", fragen sich wohl viele Eltern. Und diese Angst wächst weiter, seit das Thema Kopftuch und Schule die Schlagzeilen beherrscht. Beim Kreuzzug der Regierung gegen den Hijab geht es angeblich um den Schutz junger Mädchen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Kurz und Strache das Kopftuch in der Volksschule verbieten. Kopftuchverbot für Lehrerinnen ist für Bildungsminister Heinz Faßmann sinnvoll, denn er ist für ein "ideologisch neutrales Auftreten der Repräsentanten des öffentlichen Dienstes", so der frühere Wissenschaftler im ORF.

Keine Öffentlichkeit

Zahlen und Fakten zu Pädagoginnen mit Kopftuch im öffentlichen Schulbereich gibt es nicht. Es wird keine Statistik darüber geführt, was eine Lehrerin am Kopf trägt. In die Öffentlichkeit drängt es Lehrerinnen mit Kopftuch schon gar nicht. Die meisten Frauen möchten nicht auf ihre Kopfbedeckung reduziert werden und schweigen. Direktoren fürchten Boulevardjournalisten im Schulhof und verbieten im Normallfall jeglichen Kontakt zu Medienvertretern. Anders ist nicht zu erklären, dass es in Österreich keinen einzigen Artikel gibt, der den Alltag von Lehrerinnen mit Kopftuch intensiv beleuchtet. Einige Frauen, die im Zuge der Recherche bereit waren, sich fotografieren zu lassen, machten plötzlich wieder einen Rückzug. Wovor haben diese Frauen Angst?

"Ich kann die Sorge der Lehrerinnen gut nachvollziehen, weil man Angst um seinen Job hat", zeigt sich Amal verständnisvoll, als wir ihr erklären, dass sie zur Minderheit in der Minderheit gehört, die auch ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zeigt. Die quirlige junge Frau ist eloquent und schlagfertig. Sie findet es wichtig, dass Lehrerinnen mit Kopftuch sichtbar werden – und zwar außerhalb des Schulbetriebs, wo relativ rasch jeder vergisst, dass sie das Stück Stoff auf ihrem Kopf tragen. Sie selbst trägt das Kopftuch erst seit sechs Jahren, ihre Familie ist "so wie viele andere muslimische Familien am Balkan", so Amal. Das heißt, keine Frau habe das Kopftuch zu Hause getragen, was für eine sehr liberale Auslegung des Islams spricht.

"Man hat sich anzupassen"

Trotzdem waren die ersten Wochen in ihrer neuen Schule mit kaum muslimischen Schülern eine Herausforderung und mit vielen Ungewissheiten verbunden. Amal musste anfangs in ihrer Schule vor allem als Islam-Lexikon und Vorurteilsentkräfterin auftreten. "Najo, is besser, wenn Sie ka Kopftüchl trogn, wenn man in Österrich lebt, habe man sich anzupassen", sagte ihr mal ein 14-jähriger Knirps ganz unverblümt. Zuerst war sie etwas baff, sie erkannte aber auch anhand des Wordings, dass der Schüler seinem Vater nachplapperte. "Bursche, das sind nicht deine Worte", dachte sie sich. Eine andere Schülerin kam in der Pause auf sie zu und zeigte Verständnis für ihr Aussehen. Die 15-Jährige fiel selbst mit ihren grau-blau gefärbten Haaren auf und stellte fest: "Frau Lehrerin, ich weiß ganz genau, wie Sie sich fühlen. Mich starren auch alle wegen meiner Haarfarbe an, wie muss das erst für Sie als Kopftuchträgerin sein?"

Amal hat rasch gelernt mit den Blicken fertigzuwerden, die Vorurteile nahmen in der neuen Schule mit jedem Tag immer mehr ab. Dabei wäre sie um ein Haar im 10. Bezirk gelandet: "Die Schulleiterin machte mir während der Einführungstour ganz klar, dass sie keinesfalls möchte, dass ich mich mit den Kindern auf Albanisch oder Türkisch unterhalte. Dabei habe ich das gar nicht vorgehabt", so Amal achselzuckend. Am nächsten Tag die überraschende Absage, obwohl die Direktorin im ersten persönlichen Gespräch noch betonte, wie sehr sie unter dem Lehrermangel leiden würde. Die Absage sollte sich als Glücksgriff für Amal herausstellen. Sie wurde einer Schule mit vorwiegend österreichischen Kindern zugewiesen. Donaustadt statt Favoriten, Vorstadtidyll statt Migrantenbezirk.

"Migrantenschule"

In Gegensatz zu Amal unterrichtet Arbnesa viele SchülerInnen mit islamischem Glauben in einem stark von Migranten bewohnten Bezirk. Sie ist gerade in ein Schulbuch vertieft, als wir sie in einem Wiener Café treffen. "Ich bereite gerade die nächsten Hausaufgaben für meine SchülerInnen vor", verrät sie uns, während sie ihren Turban zurechtzupft. Die 24-Jährige unterrichtet seit drei Jahren an einer Wiener NMS Deutsch, Biologie und Turnen. Arbnesa machte sich anfangs viele Sorgen, wie sie mit ihrem Kopftuch aufgenommen wird. In der ersten Stunde stand sie vor der Klasse und es war ganz ruhig, wie sonst nur bei Schularbeiten. Sie sah förmlich die Fragezeichen über den Köpfen der SchülerInnen. "Sind Sie nicht die Islamlehrerin?", aber vor allem: "Wer ist diese junge Lehrerin?", oder "Zeigen Sie uns Ihre Haare?", waren die Fragen, die ihr gestellt wurden.

Ein muslimischer Vater, dessen Tochter kein Kopftuch trägt, kam bald auf sie zu, schüttelte ihr die Hand und freute sich darüber, dass auch muslimische Lehrerinnen in der Schule arbeiten. Die ihr damals nicht bewusste Vorbildfunktion wurde durch Gespräche mit anderen Mädchen unterstrichen. Sie fragten Arbnesa, wie sie es geschafft habe, mit Kopftuch zu unterrichten. Sie lauschten mit weit aufgerissenen Augen ihren Erzählungen und waren stolz, von ihr unterrichtet zu werden. Arbnesa teilt diesen Stolz und betont, für alle Kinder ein Vorbild sein zu wollen, nicht nur für die muslimischen: "Ich versuche, meine Prinzipien an meine SchülerInnen weiterzugeben, egal woher sie kommen oder wie sie aussehen."

Flucht nach vorne

Das Thema Islam also nur eine Randnotiz im Unterricht? "Ich wollte den Kindern zeigen, dass man als Muslima genauso fähig wie der Rest der Bevölkerung ist. Genau wie Amal musste auch Arbnesa anfangs in ihrer Schule vor allem als Islam-Aufklärerin auftreten. Und ich wollte zeigen, dass Frauen mit Kopftuch nicht fremdbestimmt und passiv sind, sondern erfolgreich Karriere machen können", so Arbnesa. "Ist Ihnen unter dem Kopftuch nicht heiß?", oder "Welche Haarfarbe haben Sie eigentlich?" überdeckten die politischen Fragen, die im Schulalltag unbedeutsam zu sein scheinen.

Amal schlägt da in die gleiche Kerbe, wobei sie das Kopftuch auch mal als Witzequelle gebrauchte. "Ich schrieb etwas auf die Tafel und merkte, dass hinter meinem Rücken getuschelt wurde. Daraufhin drehte ich mich um und sagte: "Ich weiß, ihr seht keine Ohren, aber ich habe welche", erinnert sie sich. Der angesprochene Schüler war kurz perplex, bevor Gelächter im Klassenraum ausbrach. "Ich habe versucht, sehr offen mit dem Thema umzugehen. Durch die Flucht nach vorne konnte ich relativ schnell das Vertrauen der Schüler gewinnen", berichtet Amal über ihr Erfolgsgeheimnis. Arbnesa konnte Mädchen mit Kopftuch beispielsweise gute Tipps geben, wie sie ihr Kopftuch befestigen, ohne die für Turnen gefährlichen Nadeln zu verwenden.

Einmal dachten alle, ein Kind würde keine kurze Hose tragen wollen aus religiösen Gründen. Nach einem vertraulichen Gespräch mit Arbnesa stellte sich heraus, dass das Kind ein Problem mit seinem Körper hatte und die Weigerung am Turnunterricht teilzunehmen nichts mit radikaler Auslegung des Islam zu tun hatte. Diese Geschichten aus dem Schulbetrieb könnten der Beweis dafür sein, dass das Kopftuch bei Lehrkräften eine Integrationsfunktion erfüllen könnte und nicht – wie von Gegnern aus verschiedenen Lagern behauptet – das Gegenteil bewirkt.

Wegziehen als Option

Dem Horrorszenario für jede Lehrerin mit Kopftuch, nämlich ein verbindliches Verbot, sehen beide Frauen mit großer Sorge entgegen. Während Arbnesa seit Jahren darüber nachdenkt, was sie in diesem Fall machen würde, weiß Amal ganz genau: "Wenn der Worst-Case eintritt, müsste ich schweren Herzens mein Österreich verlassen." Ob das nicht zu radikal sei? "Nö, das Kopftuch gehört zu mir und wenn ich hier nicht in Ruhe leben kann, dann muss ich eben wegziehen", sagt sie. Arbnesa tut sich jedenfalls mit dieser Entscheidung schwer, hat eine endgültige Entscheidung für den Fall der Fälle aber nicht getroffen.

Zurück zum Elternsprechtag jenseits der Donau. "Amal, bitte mach schneller, die Schlange vor der Tür wird immer länger", so die gestresste Direktorin, die selbst über den Andrang überrascht ist. Nach zwei Jahren an der Schule ist die gebürtige Mazedonierin, die mit zwölf Jahren nach Wien übersiedelte, bestens integriert. Kollegen outeten sich an ihrem vorerst letzten Arbeitstag: "Als du damals bei uns angefangen hast, haben wir uns gedacht, na super, des brauch ma a no", so ein Kollege. Eine andere Kollegin kam an der Küche des Lehrerzimmers vorbei, wo Amal mit anderen Lehrerinnen herumflachste und stellte verwundert fest: "Ich wollte dir das immer schon sagen, du bist ja ganz normal." Amal hält kurz inne, ihre Mundwinkel formen langsam aber sicher ein breites Grinsen. Dann stellt sie zufrieden fest: "Das ist das beste Argument, das eine Hijabi bekommen kann." (Amar Rajković, Salme Taha Ali Mohamed, 24.1.2019)