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Starb am Mittwoch in New York: Filmregisseur Jonas Mekas, Zentralfigur der Avantgarde.

Foto: Michael loccisano / Getty Images North America/AFP

Je länger das Leben, desto länger der Filmtitel, mag Jonas Mekas sich gedacht haben, als er 2001 seinen vierstündigen As I was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses of Beauty herausbrachte. Ein Tagebuch auf 16-Millimeter-Material, dessen Essenz allerdings auch in einem kurzen Wort zu haben war: "Ecstasy". Selbstverständlich war bei Mekas damit nicht die gleichnamige synthetische Droge gemeint, sondern ein anderer Zustand, in den er wie kaum jemand anderer sich durch das Kino versetzen lassen konnte.

Leben, das Leben feiern, das Leben filmen, das war für ihn die meiste Zeit eins. Die "glimpses of beauty", zum Beispiel ein Besuch im oberösterreichischen Kremsmünster, gab das Leben wie von selber preis, man musste halt nur immer eine Kamera dabei haben.

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Pionier des Undergroundfilms

Mekas, der Pionier und größte Vermittler des Undergroundfilms, träumte nicht nur von einem Kino, das sich an Gedichten orientierte. Er wurde in vielfacher Hinsicht zu einem Verfechter einer gegenkulturellen Filmpraxis, für die in den Fünfzigerjahren in New York die Bedingungen ideal waren. Der Hollywoodfilm The Search von Fred Zinnemann, eine Geschichte über "displaced persons" nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde für Mekas zu einem Anlass, kritisch die Praktiken des Mainstreamkinos zu hinterfragen. Er fand sich in Zinnemanns Film nicht wieder, obwohl es auch um seine eigenen Erfahrungen ging.

Jonas Mekas wurde 1922 in dem litauischen Dorf Semeniskiai geboren. Schon mit 14 soll er seine erste Gedichtsammlung veröffentlicht haben. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt und dem Einmarsch der Deutschen gingen Jonas und auch sein jüngerer Bruder Adolfas in den Widerstand. Ein deutsches Lager, später eine deutsche Universität (Mekas studierte eine Weile Philosophie in Mainz) zählten zu ihren Stationen, doch am Ende dieses Wegs stand für ihn nicht ein Exil, sondern eine neue Heimat, der er alles Erdenkliche abgewinnen konnte.

Prägte die Avantgarden in New York

1949 kamen die Brüder nach New York. Der Stadtteil Williamsburg war damals alles andere als das heutige Hipsterviertel. Mekas fand in New York nicht nur Anschluss an ein höchst lebendiges Kunstfeld, er prägte auch (durch Gründung der Zeitschrift Film Culture, später durch die Mitbegründung der Anthology Film Archives) die verschiedenen Avantgarden, die sich damals entwickelten.

Nadine Gonçalves

Im Gegensatz zu eher strukturalistisch interessierten Kollegen und Freunden, darunter auch der Österreicher Peter Kubelka, verfocht er dabei ein intimes, subjektives Filmemachen, dem er in seinen großen Arbeiten wie Walden (1968) auch sowohl ein filmhistorisches Motiv (mit einer Widmung an die Brüder Lumière) wie eine Verankerung im Selbstverständnis des amerikanischen Transzendentalismus gab. Henry David Thoreau, der sich eine Hütte für die Autarkie in der Natur gebaut hatte, beschwor er als ein Vorbild, dessen Projekt er mit seinem legendären, überquellenden Archivloft und mit seinen No-Budget-Filmen auf die Höhe des Medienzeitalters brachte.

Im Kunstkontext rezipiert

Von Stan Brakhage über John Lennon & Yoko Ono bis Andy Warhol treten die Größen des damaligen Betriebs in den Filmen von Mekas auf, dem Kollegen aus der Factory widmete er später eine eigene Arbeit. In den letzten Jahren wurde Mekas verstärkt auch wieder im Kunstkontext rezipiert, wozu er mit einer Öffnung seiner Methodik auf Video und neuerdings das Internet selbst eine Menge beitrug.

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Für die Ekstase, für das Außersichsein mit der Kamera, machte es keinen entscheidenden Unterschied, auf welches Material die Wirklichkeit traf. Letztendlich hob sich alles in die poetische Subjektivität auf, die Jonas Mekas nicht zuletzt mit seiner unvergesslichen Stimme zum Ausdruck brachte – bis zuletzt noch in Videoschaltungen in alle Welt, denn seine Meinungen waren gefragt. Am Mittwoch ist Jonas Mekas im Alter von 96 Jahren in New York gestorben. (Bert Rebhandl, 24.1.2019)