Einmal noch darf pink und blau gemeinsam auf einen Tisch.

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Dutzende Smartphones sind auf die schwangere Jessi und ihren Partner Gabriel gerichtet. Dicht gedrängt stehen die Partygäste im Wohnzimmer voller Luftballons, auf dem Tisch türmen sich Kekse mit Störchen aus Zuckerguss und glasierte Erdbeeren, dazwischen Blumensträuße in Pastellfarben. Gabriel hebt den Deckel von einem riesigen glitzernden Karton, rosa Heliumballons steigen an die Decke. Die Menge kreischt. Es ist ein Mädchen. Viele Fotos der "Gender Reveal Party" des Paares werden später auf Instagram landen, Sängerin und Influencerin Jessi Malay verdient ihr Geld damit, ihr scheinbar idyllisches Kleinfamilienleben im Netz zu präsentieren.

Gender Reveal Partys, also Feiern, bei denen das Geschlecht eines ungeborenen Babys vor Publikum verkündet wird, sind keineswegs nur bei Influencerinnen beliebt. Allein auf Instagram finden sich zehntausende Fotos, auf denen NutzerInnen blaue oder rosa Kuchenstücke in die Kamera halten, es regnet Glitzerkonfetti, bunter Rauch steigt auf.

Werdende Eltern betreiben immer mehr Aufwand, um ihren Gästen ein besonderes Event zu bieten – eine sehr traditionelle Welt in Rosa und Blau, weiß die US-amerikanische Kommunikationswissenschafterin Carly Gieseler, die das Phänomen erforscht hat. "Obwohl Geschlechternormen und Zweigeschlechtlichkeit mittlerweile längst kritisch hinterfragt werden, zeigen sich hier meist sehr enge Vorstellungen von Geschlecht", sagt Gieseler. "Gewehre oder Glitzer, Cowboy oder Diva?", hat eine Familie auf die Einladungskarte gedruckt – geschlechtliche Sozialisation, die schon vor der Geburt beginnt. Gender Reveal Partys seien Teil eines größeren Trends, Ereignisse rund um Schwangerschaft und Familie öffentlich zu inszenieren, statt sie als intime, private Momente zu erleben, analysiert Gieseler, eine Trennlinie, die im Social-Media-Zeitalter ohnehin brüchig geworden ist.

Eventisierung des Banalen

Obwohl die "Bub oder Mädchen"-Events vorrangig ein US-Trend sind, haben auch hierzulande Onlineshops passende Deko im Sortiment: Pappbecher, Luftballons, Buttons mit der Aufschrift "Team Girl" und "Team Boy", die sich Partygäste ans T-Shirt pinnen können. Nach der "Baby Shower", bei der die werdende Mutter von Freundinnen und Verwandten beschenkt wird, verbreitet sich auch die Gender Reveal Party zunehmend im deutschsprachigen Raum. "Social Media haben die Eventisierung von ganz Alltäglichem befeuert", sagt dazu Laura Wiesböck, Soziologin an der Universität Wien. Einen Kuchen zu backen, die Radtour mit der Familie, ein Tanzkurs – was banal klingt, wird auf Facebook oder Instagram zum aufregenden Projekt. "Erlebnismarketing des Online-Ichs", nennt das Wiesböck. Ziel ist es, online ein möglichst interessantes, ereignisreiches Leben zu inszenieren. Für manche "Mom-Bloggers" ein ertragreiches Geschäftsmodell: Sie bewerben Waschlotionen, Kindermode und Fruchtsaft, Unternehmen schätzen sie als Werbeträgerinnen mit hoher Glaubwürdigkeit bei ihrer Anhängerschaft.

Auf den Bildern von Influencerinnen wie Jessi Malay, die fast 500.000 Follower auf Instagram hat, bleibt nichts dem Zufall überlassen. Kein Fleck oder Krümel auf dem glänzenden Küchentresen, selbst die Frisur von Tochter Alessandra sitzt stets perfekt. Solch geschönte Bilderwelten zeigen nicht nur ein verzerrtes Bild von Wirklichkeit, sie können sogar negative Effekte auf die psychische Gesundheit haben, zeigen verschiedene Studien. Eine 2017 veröffentlichte Untersuchung der britischen Royal Society for Public Health unter 14- bis 24-Jährigen stellte Instagram unter allen sozialen Netzwerken das schlechteste Zeugnis aus, UserInnen berichten von negativen Effekten auf Schlaf und das eigene Körperbild, für viele entsteht der Eindruck, der Alltag anderer sei aufregender als der eigene.

Ideale Mutter

Für die Instagram-Ästhetik gibt es mittlerweile sogar einen eigenen Begriff. So werden Urlaubsdestinationen oder Wohnzimmereinrichtungen daraufhin überprüft, ob sie "instagrammable", also attraktiv genug für ein Posting auf der Plattform sind. Dass dort Einblicke in Küche, Garten und Kinderzimmer boomen, führt Laura Wiesböck auf die Sehnsucht nach einem stabilen Rückzugsort zurück. "Je unsicherer die Welt ist, in der wir leben, desto größer wird diese Sehnsucht. Dazu gehört die familiäre Idylle, selbst wenn sie nur eine vermeintliche Idylle ist", sagt die Soziologin im STANDARD-Interview. Noch immer sei es die bürgerliche Kleinfamilie – Mutter, Vater, Kind –, die als romantisches Ideal schlechthin fungiere.

Das damit verknüpfte Mutterideal übt großen Druck auf Frauen aus: Sie sollen nicht nur beruflich erfolgreich sein, sondern ganz nebenbei ein wohliges Heim für die Familie schaffen. "Mütter können es kaum richtig machen. Sie werden als Helikoptermütter belächelt oder als Rabenmutter beschimpft, ein Begriff, der für Männer gar nicht existiert", sagt Wiesböck. Wie eine deutsche Studie aus dem Jahr 2017 zeigt, wenden Frauen nach wie vor deutlich mehr Zeit für unbezahlte Arbeit auf: nämlich 2,4-mal so viel Zeit für Fürsorgearbeit und 1,6-mal so viel für Hausarbeit. Selbst wenn Mütter ebenso wie Väter vollzeiterwerbstätig sind, ändert sich die Schieflage in Hetero-Haushalten nicht.

Was gute Mutterschaft ausmacht, ist indes auch eine Klassenfrage. "Gerade in der Mittelschicht ist Konsum ein zentrales Thema. Man kocht selbst Bio-Brei, statt zum Fertigprodukt zu greifen, kauft Holzspielzeug und näht das Kostüm für die Faschingsparty selbst", sagt Wiesböck. Nicht nur auf Gender Reveal Partys sind selbstgebackene Cupcakes und kunstvoll verzierte Dekorationen Standard, auch Kindergeburtstage entwickeln sich zunehmend zum Do-it-yourself-Event. Instagram-Fotos zeigen dreistöckige Prinzessinnen-Torten, auf Motto-Partys wird der eigene Garten in die Welt einer Disney-Figur verwandelt.

Kein Kindergeburtstag

"Im Vergleich zu anderen eventartigen Feiern empfindet Daniela die Geburtstage ihre Kinder als entspannt – obwohl sie auch viel Arbeit reinsteckt, erzählt die Mutter von zwei Söhnen, die mit ihrem Partner und ihren beiden Söhnen am Stadtrand von Wien lebt. "Es sind meistens unaufgeregte Feiern mit Schokotorte bei den Leuten zu Hause." Bekannte hatten ihr von Party-Locations, die ein Jahr im Voraus gemietet werden müssen, und von teuren Gastgeschenken für alle eingeladenen Kinder erzählt. Bei der Dekoration legt aber auch Reiter sich ins Zeug: Jeder Geburtstag steht unter einem anderen Motto, die Arbeitspsychologin schnitzt Stempel und bastelt Karton-Eisenbahnen, die Torte verziert sie mit selbstgemachten Marzipanfiguren. "Ich fühle mich nicht von anderen unter Druck gesetzt, es ist eher ein selbstauferlegter Druck. Ich kann mich kreativ austoben. Und mittlerweile hat mein älterer Sohn schon auch entsprechende Erwartungen", erzählt sie im STANDARD-Gespräch. Vor jeder Feier stürzt sich Reiter in stundenlange Onlinerecherche, Elternmagazine oder Mütter-Bloggerinnen liefern eine Palette an Ideen für die perfekte Kinderparty.

Dass diese längst mehr sind als der sprichwörtliche Kindergeburtstag, zeigt das entsprechende Dossier im deutschen Magazin "Eltern": Checklisten und Beiträge wie "Diese Fallen sollten Sie vermeiden" (zum Beispiel "Geschenkeauspacken ohne Regie") erinnern an Hochzeitsratgeber, die auf das vermeintliche Once-in-a-lifetime-Event vorbereiten. Influencerin Jessi Malay feierte den ersten Geburtstag ihrer Tochter Alessandra mit Kuchenbuffet, Saftbar, Eisstand und einem Raum voller Riesen-Teddybären. "Wir wollten eine fröhliche Geburtstagsparty mit all ihren Babyfreunden veranstalten", schreibt Malay. Das glückliche Gesicht der Tochter: "unbezahlbar". (Brigitte Theißl, 28.1.2019)