Die Verbrecherbanden ziehen eine Spur der Verwüstung durch den Nordwesten Nigerias. Lokale Politiker und Hilfsorganisationen fordern, dass die Ursachen für die Gewalt untersucht werden.

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Seit Tagen wartet der 23-jährige Mohammed Hamisu verzweifelt auf Nachrichten. Vielleicht leben seine Schwägerin und seine Stiefmutter doch noch. Vielleicht geht es ihnen den Umständen entsprechend gut. Vielleicht ist die Familie bald wieder vereint. Beide Frauen sind am ersten Jännerwochenende entführt worden und spurlos verschwunden. Sie lebten in Tsafe, einem Landkreis des Bundesstaates Zamfara im Nordwesten Nigerias. "Banditen haben das Haus meines Bruders gestürmt, ihn angegriffen und angeschossen", erzählt Hamisu. Es sind Bilder, die er nie vergessen wird. Von einer dritten Frau ließen sie ab. Sie hatte am Tag zuvor entbunden, und es war noch Blut zu sehen.

Jetzt steht der 23-Jährige in Sichtweite des Spitals von Tsafe, wo die Schusswunde seines Bruders versorgt wird. Doch die Angst bleibt. In Zamfara kommt es mehrmals die Woche zu Angriffen. Tsafe ist besonders betroffen. Dort griffen die Banditen nicht nur das Haus von Hamisus Bruder an. An jenem Wochenende lockten sie auch zehn Mitglieder einer Bürgerwehr in einen Hinterhalt. Nur drei überlebten. Zwei Tage später soll es zu einer Entführung auf der Straße in den Nachbarbundesstaat Katsina gekommen sein.

Dutzende Tote durch Gewalt

Ende Juli schätzte Amnesty International, dass allein in den ersten sieben Monaten des Jahres 2018 mindestens 371 Menschen gestorben sind. Aus Mangel an Statistiken zählte auch die Zeitung Daily Trust: Sie kommt von Mitte November bis Ende Dezember auf mindestens 82 Tote. Sanusi Muhamad Usman, Exekutivsekretär der staatlichen landesweiten Nothilfeagentur Zema, sagt: "Es sind 30.000 Menschen auf der Flucht." Eine Lobby haben sie aber nicht. Anders als im Nordosten, wo die Terrormiliz Boko Haram wütet, gibt es für die Gewalt im Nordwesten keine weltweite Aufmerksamkeit. Nirgendwo versorgen internationale Organisationen die Binnenflüchtlinge. Neben Zema sind es private Spender.

Drei Straßen vom Krankenhaus entfernt empfängt Salisu Musa Tsafe in einem Rohbau Besucher. Er sitzt für die Regierungspartei All Progressives Congress (APC) im Landesparlament. "Wir fordern diese Leute auf: Lasst uns endlich in Ruhe." Dabei würde die Regierung alles dafür tun, dass die Banden bekämpft werden. Erfolgreich scheint das nicht zu sein. Er bestätigt, dass es mitunter täglich Angriffe gibt, seufzt nur einen Moment später und sagt: "In Zamfara haben wir einst friedlich zusammengelebt."

Verändert hat sich die Situation vor knapp zehn Jahren, als es immer häufiger zu Auseinandersetzungen zwischen Bauern und Viehhirten um den Zugang zu Land kam. Daraus entwickelten sich Banden, die gezielt Vieh gestohlen haben. Nach Einschätzung von Polizeikommissar Mohammed Ibrahim Zanna hat man dies in den Griff bekommen. Vieh wird heute gekennzeichnet, damit Besitzer es nach einem Diebstahl identifizieren können. Trotzdem hat sich die Gewaltspirale weitergedreht. Heute morden die Banden, brennen Häuser nieder und entführen immer häufiger Bewohner, um Lösegeld zu erpressen.

Handlungen gefordert

Was bemerkenswert ist: "Die meisten Banditen kommen von hier", sagt Salisu Musa Tsafe. Vor Ort heißt es auch, dass Dorfbewohner mitunter kollaborieren und vermutlich gegen Bezahlung Hinweise geben würden. "Wir müssen akzeptieren, dass wir ein Problem haben", fordert deshalb Adamu Abubakar Kotorkoshi, der in der Provinzhauptstadt Gusau die nichtstaatliche Organisation Center for Community Excellence leitet. Anstatt ausschließlich über mangelnde Sicherheit zu klagen, müssten Strategien entwickelt werden. "Auch müssen wir wissen, warum sie das tun. Ist es Armut? Ist es Arbeitslosigkeit?", fragt Kotorkoshi.

Bis es so weit ist, wird Mohammed Hamisu aus Tsafe jedoch weiterhin in Angst leben. "Wir haben schon im Wald übernachtet, die Sorge war zu groß, dass die Banditen nachts kommen." Auf die Frage, ob sich das nach der Präsidentschaftswahl am 16. Februar ändern wird, zuckt er mit den Schultern. "Ich denke nicht, dass sich die Lage verbessern wird."(Katrin Gänsler aus Tsafe, 25.1.2019)