"Fressorgie" im Weißen Haus? In der Flut der Hämeartikel gehen bitter nötige, inhaltlich fundierte Kritiken unter.

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"Test zur geistigen Gesundheit: Trump kann Löwe und Nashorn benennen"
"Die gleiche Frisur: Biologe benennt Motte nach Trump"
"So klein sind Donald Trumps Hände wirklich"

Diese Schlagzeilen stammen aus den Online-Auftritten des "Spiegel", der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und des "Kurier". Marken, die für sich das Prädikat der Qualitätsmedien in Anspruch nehmen. Nun hat der Kommunikationswissenschafter Stefan Ruß-Mohl einmal gesagt, Qualität im Journalismus zu definieren, gleiche dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Auf einige Gütekriterien konnte man sich glücklicherweise dennoch einigen. Dazu gehören: die Trennung von Meinung und Nachricht und das Aufbereiten gesellschaftlich relevanter Themen.

Bei Donald Trump fegt die Lust der Journalisten, sich an einer Reizfigur abzuarbeiten, diese Kriterien hinweg.

Ein jüngeres Beispiel: Der US-Präsident lud ein Hochschul-Footballteam ins Weiße Haus und servierte Burger, Pommes und Pizza. Das Narrativ, das zahlreiche Medien daraus bastelten: Orangener Prolet tischt ausgerechnet Sportlern Fastfood auf. So schrieb etwa "Die Welt" über eine "Fressorgie" und Trump als schlechtes Vorbild mit Vorliebe für fettiges Essen – wohlgemerkt in einem Bericht.

Aufgebauschte Nichtigkeiten

Die Vermischung von Meinung und Nachricht, das Aufbauschen von Nichtigkeiten, die Lust am Lästern, das sind keine Merkmale des Qualitäts-, sondern des Boulevardjournalismus.

In dieser Flut der Hämeartikel gehen bitter nötige, inhaltlich fundierte Kritiken unter. Auch stellt sich die Frage: Ist ein Journalist, der zuvor Beiträge über Trumps orangenen Teint, das Geheimnis seiner Frisur und die darbende Ehefrau Melania in die Zeitung gerotzt hat, bei der Analyse amerikanischer Politik in der Lage, zwischen Person und Politik zu trennen? Oder fiele das Fazit über die eine oder andere Maßnahme ungleich positiver aus, hätte sie ein Bill Clinton oder Barack Obama erdacht?

Was neben dieser Boulevardisierung der Berichterstattung erschreckt, ist der Konsens gerade deutschsprachiger Journalisten, wenn es darum geht, gegen den Dämon aus Übersee zu wettern.

Der Politologe und USA-Experte an der Universität Salzburg Reinhard Heinisch kritisiert die europäischen Medien und dabei insbesondere die österreichischen für eine undifferenzierte Trump-Berichterstattung. Der US-Präsident werde als "Kindkaiser" dargestellt.

Konsens

Ein Schlaglicht auf diese Geschlossenheit wirft auch eine Studie der Harvard Kennedy School. Die Forscher fanden heraus, dass in den ersten hundert Tagen nach Trumps Amtsantritt weit über 70 Prozent der Beiträge der BBC und der "Financial Times" über den US-Präsidenten negativ gefärbt waren.

Auch hier stechen die Deutschsprachigen hervor: Das dritte betrachtete Medium in Europa, die ARD, kam auf stolze 98 Prozent. In anderen Medienhäusern dürfte es ähnlich aussehen.

Dieser Konsens befeuert die Lust an Meinung gegen Trump, weil es für diese Meinung keinen Mut braucht. Wer sich gegen den US-Präsidenten stellt, riskiert so viel Widerspruch wie einer, der Katzenbabys niedlich findet.

Ein solch homogenes Milieu bringt Typen wie Claas Relotius hervor; einen Schriftsteller für Liberale mit festem Weltbild, die sich vor dem Einschlafen wohlig gruseln möchten. Aus seiner klebrigen, erlogenen Reportage über Trump-Wähler in Minnesota triefen die Vorurteile: ein Kaff, "wo sie sonntags für Trump beten", ihre Waffen lieben und sich ausgestopfte Wildschweine ins Büro stellen. "Hab ich doch gewusst, dass es so ist!", sagen die Leser beruhigt. "Hab ich doch gewusst, dass es so ist!", sagen die Kollegen beim "Spiegel" und kommen gar nicht auf die Idee, dass ein Zyniker ihren Fetisch identifiziert und eiskalt bedient hat. Boulevard, das ist auch das Ansprechen niederer Instinkte.

Die Welt steht noch

Nachdem die Amerikaner Donald Trump entgegen allen Prognosen zum Präsidenten gewählt hatten, titelte ebendieser "Spiegel": "Das Ende der Welt (wie wir sie kennen)".

Zwei Jahre später (die Welt ist nicht untergegangen) muss man konstatieren, dass Trumps Wahl zumindest das Ende des Qualitätsjournalismus war, wie wir ihn kannten. (Christoph Laible, 24.1.2019)