Eva Umlauf, geborene Eva Hecht mit einem Bild, das man als Dokument des Glücks sehen könnte. Eine junge Mutter beugt sich in einer Winterlandschaft zu ihrer Tochter hinunter. Die Hechts blieben so lange in einem Lager in der Slowakei (wo auch das Bild entstand), dass sie erst zu einem Zeitpunkt nach Auschwitz kamen, als die Transporte nicht mehr mit dem Tod in der Gaskammer enden mussten.

Foto: Konrad Rufus Müller

"Bitte, wir sind drei Schwestern!" Diese flehenden Worte haben Malwina Braun das Leben gerettet. Sie stand in Auschwitz schon an der Selektion: "Eine Seite bedeutete zum Ofen, eine Seite zum Leben." Ihre Schwester Perla wollte die Trennung von Malwina nicht hinnehmen, und protestierte. So durfte Malwina im letzten Moment die Seite wechseln. Der Gang in die Gaskammer blieb ihr erspart. Auf einem Foto, das viel später entstand, kann man sie beziehungsreich mit drei kleinen Kindern sehen: Ariella, Levi und Golda. Sie leben nur, weil Malwina damals am Leben blieb. Drei Schwestern, drei Enkel, verbunden durch einen Zufall, den man als Wunder erleben kann. Aber Wunder muss man erst einmal verkraften.

Malvina Braun mit ihren drei Enkeln: Arella, Levi und Golda.
Foto: Konrad Rufus Müller

Die Geschichten aus dem Buch "Unfassbare Wunder" von Alexandra Föderl-Schmid und dem Fotografen Konrad Rufus Müller wissen von den Extremen des Überlebens in unterschiedlichster Form. Im Falle von Malwina Braun handelte es sich um eine Rettung in fast schon allerletzter Minute, aber auch danach war noch Zeit im Lager zu überstehen. Und danach blieb sie mit einer großen Ungewissheit zurück: "Wo mein Vater, meine Mutter und meine Schwester Lea ermordet wurden, weiß ich nicht." Man merkt diesem letzten Kapitel in dem Buch an, dass es wohl auch aus programmatischen Gründen dort steht: Denn die Erinnerungen von Malwina Braun an die Schoah sind vielleicht am stärksten bis heute von den Ereignissen von damals gezeichnet. Daran ändert auch das Familienbild nichts, das daneben steht. Überleben schenkt das Glück des Lebens, schließt aber die Lücke nicht, aus der Malwina Braun von ihrer Schwester im letzten Moment herausgerufen wurde.

Familienchroniken

Alexandra Föderl-Schmid, langjährige Chefredakteurin des STANDARD und inzwischen als Nahost-Korrespondentin für die Süddeutsche Zeitung tätig, hat für Unfassbare Wunder mit jüdischen Menschen gesprochen, denen das Wunder widerfuhr, dass sie von den sechs Millionen ausgenommen wurden, denen das Wunder nicht widerfuhr. Die Gespräche sind in Erzählungen eingebettet, es wirkt ein wenig so, als bedürften die Erinnerungen einer schützenden Hand, einer außenstehenden Person, eben einer Redakteurin, die dem Ringen um eine angemessene Form für diese Erinnerungen zur Hand geht.

Die Fotografien, die dem Text gleichwertig sind, aber natürlich anders mit Zeugnissen und Spuren umgehen, sind sowohl starker, unmittelbarer Ausdrucks des geschenkten Lebens, das sich in den Zügen der nun und zum Glück alt gewordenen Menschen zeigt, wie auch immer wieder historiographischer Kommentar. Denn zu den Fotos von heute treten gelegentlich solche von damals, Relikte von Familienchroniken, die über die Traumata hinweg eine Fortsetzung fanden.

So kam etwa auf Eva Umlauf, geborene Eva Hecht, ein Bild, das man als Dokument des Glücks sehen könnte, eine junge Mutter beugt sich in einer Winterlandschaft zu ihrer Tochter hinunter. Die Hechts blieben so lange in einem Lager in der Slowakei (wo auch das Bild entstand), dass sie erst zu einem Zeitpunkt nach Auschwitz kamen, als die Transporte nicht mehr mit dem Tod in der Gaskammer enden mussten.

Wege der Flucht

Eva Umlauf zählt zu denjenigen in dem Buch, die während der Jahre der Schoah kleine Kinder waren. Umso eindringlicher ist, wie sich in den Gesprächen diese Erfahrungen einprägten – nicht zuletzt bekommt man hier auch einen guten Eindruck von den generationellen Schichtungen des Erinnerns. Mit den großen Archiven mit Zeugnissen von Überlebenden der Schoah (vor allem mit der Videosammlung der Holocaust Foundation, die Steven Spielberg initiiert hat) muss und will sich dieser im besten Sinn intime Band nicht messen.

Malvina Braun's Unterarm erinnert bis heute an vergangenes Leid und das Glück, überlebt zu haben.
Foto: Konrad Rufus Müller

Er hat im Vergleich den Vorzug, dass er in der notgedrungen persönlichen Auswahl trotzdem einen hohen Grad an auch historiographischem Quellenwert erreicht – und dass sich beiläufig immer wieder Reflexionen auf die vielen Formen ergeben, die das Wunder annahm, und auf die weiträumige Geographie, im Grunde die erdumspannenden Wege der Flucht und des Exils. So bot Rafael Trujillo, der Diktator der Dominikanischen Republik, Juden damals aus rassistischen Gründen Visa an (er wollte die Bevölkerung "aufhellen"), für Otto Stark, der durch einen Kindertransport nach London gerettet wurde, war dieses Schiff dann nicht mehr notwendig.

Eine der beeindruckendsten Geschichten stammt von dem Künstler Mosche Frumin, der aus dem polnischen Rovno (heute das ukranische Rivne) bis nach Usbekistan floh. Der Vater starb unterwegs, nach dem Krieg landete Frumin als "displaced person" im österreichischen Saalfelden. "Als ich drei Jahre alt war, war ich schon ein alter Mann", sagt Frumin von sich. Er nahm später in Österreich verschiedentlich an Gedenkveranstaltungen teil. Mehrfach taucht in Unfassbare Wunder der Hinweis auf das Gewicht von geschichtspolitischen Akten auf: Die Vranitzky-Rede, ein Besuch von Edmund Stoiber in Dachau (spät, und nachdem sich Franz-Josef Strauß offiziell nie darauf eingelassen hatte), das sind Gesten, deren Bedeutung an den Erfahrungen zu messen sind, von denen dieser Band erzählt. (Bert Rebhandl, Album, 25.1.2019)