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Fahrräder tauchen in marokkanischen Stadtbildern noch selten auf.

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Marktszene im Souk von Marrakesch.

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Tetouan in Nordmarokko mit den Rif Bergen im Hintergrund.

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Ein Highlight: Die "blaue" Stadt Chefchaouen

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Dicke Tropfen fallen vom Himmel, als wolle der Regen den staubigen Asphalt unter unseren Rädern reinwaschen. Zum Glück wartet am Straßenrand eine Teestube mit dampfendem Minztee. Als die Sonne erste Löcher in die graue Decke bohrt, schwingen wir uns wieder in unsere Sättel. Nun leuchten die Berge der nordwestlichen Ausläufer des marokkanischen Rif-Gebirges in satten Grüntönen, die eher an Island als an Nordafrika erinnern. Auf einer gut ausgebauten Nebenstraße im Hinterland der Küste radeln wir bis nach Tétouan. Es ist die erste Zwischenstation auf unserer etwas mehr als 200 Kilometer langen Radtour durch den Norden des Landes. Losgeradelt sind wir in Tanger-Med, wohin man aus dem andalusischen Algeciras recht einfach mit der Fähre gelangt.

Bevor wir Tétouan erreichen, geht noch einmal ein kurzer Schauer nieder. "Auch am Mittelmeer soll es durch den Klimawandel nun öfter monsunartige Niederschläge geben", glaubt ein Stadtführer in Tétouan zu wissen. Ohne ihn würden wir aus dem Labyrinth der Souks kaum wieder herausfinden. Die 40.000-Einwohner-Stadt wird auch "Hammam el Beida" – weiße Taube – genannt, weil hier fast alle Häuser weiß getüncht sind und einander zum Verwechseln ähnlich sehen. Obwohl die Stadt bis 1956 unter spanischem Protektorat stand und noch spanische Einflüsse erkennbar sind, glauben wir bereits den Orient spüren zu können. In den Händlergassen duftet es nach Gewürzen, irgendwo dudelt Berber-Blues aus dem Radio, und von einem Minarett ruft der Muezzin.

Blaue Stadt in den Bergen

Wir rollen weiter in Richtung Chefchaouen, eine der schönsten Städte in Nordmarokko, auf einem 600 Meter hohen Plateau zwischen Zweitausendern gelegen. Hier sind die Häuser fast durchwegs kobaltblau gestrichen, um im Sommer die Hitze abzuhalten. Gegenüber der Moschee schlürfen ein paar alte Berber-Männer Tee, ihre Frauen hocken auf Schemeln am Straßenrand und verkaufen Gemüse.

Obwohl die Temperaturen in den Wintermonaten und im Frühjahr tagsüber zum Radeln perfekt sind, kann es am Abend ordentlich abkühlen. Deshalb genehmigen wir uns am Abend eine wärmende Tajine, einen marokkanischen Eintopf aus einem tönernen Schmorgefäß. Auch dazu wird Tee kredenzt, Alkohol ist in der Altstadt verboten. Stattdessen wird auf der Straße überall "Kif" angeboten, ist doch das nahegelegene Rif-Gebirge bekannt für seine riesigen Hanffelder. Wer in Marokko Haschisch konsumiert, muss aber mit drakonischen Gefängnisstrafen rechnen.

Feilschen Pflicht

Die Altstadt von Chefchaouen ist ein Meer aus Farben und Düften: Die blauen Häuser werden auf dem Markt von gelben Bergen aus Curry und Safran kontrastiert. Und im Geschäft von Yassin Laasri türmen sich wohlriechende Seifen wie Legosteine im Kinderzimmer. Seit einigen Jahren stellt sie der studierte Chemiker rein biologisch her.

Kunden zeigt er, woran man gute Ware erkennt, indem er zwei Stücke gegeneinander schlägt: "Wenn es hell klingt, ist die Seife industriell gefertigt", sagt er. Handeln kann man bei ihm nicht. Im Geschäft um die Ecke ist das Feilschen dagegen Pflicht. Erst nachdem der Besitzer seine gesamte Teppichkollektion präsentiert und jeden denkbaren Scherz gemacht hat, geht er zum Handeln über. Wenn man feilschen kann, schrumpft der Preis auf ein Drittel. Das Problem des Transports eines Teppichs auf dem Fahrrad ist damit aber nicht gelöst.

Wie für Radler in Marokko geschaffen scheint dagegen der Hamam. Müde Muskeln werden mit Eimern voll Wasser beklatscht, jeweils drei Frauen oder Männer rubbeln die Haut mit einem Massagehandschuh, der sich wie Schmirgelpapier anfühlt. Rot wie Krebse und mit guter Durchblutung verlassen wir den Hamam.

Den Wind im Rücken

Eine verkehrsarme Straße führt in Richtung Nordwesten stetig bergab. Am Wegrand leuchten sanfte Hügel in der Nachmittagssonne, von den Feldern winken die Bauern. Wir kommen der Küste immer näher, die Landschaft wird karger und trockener. Mit Wind im Rücken und einem wunderbaren Blick aufs Meer rollt es sich wie von selbst hinunter nach Tanger.

Die Hafenstadt empfängt uns mit Autogehupe und Baustellenlärm. Momentan wird dort ein neues, größeres Kreuzfahrtterminal gebaut. Das maritime Tor zu Nordafrika war einst als Kifferparadies für Aussteiger verschrien – in Zukunft sollen hier nur noch Kreuzfahrer aussteigen.

Rock the Casbah

Abdullah Bakahin, ein drahtiger Mann mit weißem Fes auf dem Kopf, gilt als Urgestein in Tanger. Früher war er ein bekannter Akrobat im Zirkus, heute arbeitet er als Guide. Die Räder muss man abstellen, wenn er durch einige der 925 Straßen in der Medina führt. Manche Gassen sind so eng, dass sich die gegenüberliegenden Balkone berühren, und viele Häuser sind schmal wie Zahnstocher. Vor einem rosa gestrichenen bleibt er stehen: "Es gehört Keith Richards. So wie er haben sich viele Stars in den 1960er-Jahren ein Haus oder Appartement in Tanger gekauft", erzählt Bakahin. Ein paar Ecken weiter komponierten die britischen Punkrocker The Clash ihren Hit Rock the Casbah.

Die Kasbah – die Festung in der Altstadt – war auch häufig Kulisse für Spielfilme. Hier wurden Szenen für den James-Bond-Streifen Spectre gedreht, und die Villa des Milliardärs Malcolm Forbes – an der Steilküste hoch über dem Meer gelegen – war bereits in Der Hauch des Todes zu sehen.

Noch begegnet man in Tanger wie im übrigen Nordmarokko selten anderen Radfahrern. Wer allerdings am Hafen auf die Fähre nach Tarifa wartet, wird dort eine unerwartete Entdeckung machen: An der Hafenpromenade Boulevard Mohamed VI. hat gerade der erste ernstzunehmende Fahrradverleih eröffnet. (Monika Hippe, 28.1.2019)