Eine gute Prioritätensetzung erlaube es ihr, beide Karrieren voranzutreiben, sagt Elaine Chew, Pianistin und Professorin für digitale Medien.

Foto: Brian Morri

"Mathematik war quasi überall. Als wir übersiedelten, hat mein Vater Kartonmodelle von dem neuen Haus und von unseren Möbeln hergestellt und daraus ein sogenanntes Behälterproblem gemacht. Wir mussten ausrechnen, was wir am besten wie aufstellen können. Als der Zauberwürfel Rubik's herauskam, hat sich mein Vater, anstatt einfach herumzuprobieren wie alle anderen, hingesetzt und Gleichungen für eine mögliche Herangehensweise aufgeschrieben. Ich war mir bereits als Kind sicher: Ich werde auch einmal Mathematikerin.

Die Musikkarriere ist mir sozusagen passiert. Wie viele andere Kinder habe ich ein Instrument gelernt, Klavier. Meine Eltern dachten, dass es dazugehört, ein Instrument zu lernen, dass das wichtig wäre für meine Entwicklung zu einer vielseitigen Persönlichkeit. Zu ihrer Überraschung war ich richtig gut. Ich war viel besser, als sie dachten. Das verursachte allerdings ein gewisses Dilemma: Meine Lehrer wollten, dass ich ans Konservatorium gehe, meine Eltern wiederum, dass ich normal zur Uni gehe. Schließlich inskribierte ich mich in Stanford, wo ich eine Fächerkombination studieren konnte: Mathematik und Computerwissenschaften und Musik. Es war mutig, beides zu versuchen, aber ich habe es nie bereut.

Ich sage das auch immer zu meinen Studentinnen und Studenten: Wer mehr als nur eine Sache macht, profitiert enorm. Man hat viel mehr Möglichkeiten, kreativ zu werden, interessante Zusammenhänge herzustellen, auch zwischen unterschiedlichen Fächern. Man tut sich leichter, beim Denken die gewohnten Bahnen zu verlassen. Letzten Endes profitiert davon die ganze Gesellschaft. Viele wichtige Entdeckungen wären nicht gemacht worden, wenn sich alle immer nur auf eine Sache konzentriert hätten.

Herzstörungen analysieren

Für mein letztes interdisziplinäres Projekt habe ich mit Kardiologen zusammengearbeitet. Wir haben versucht, mittels Programmen, mit denen Musikkompositionen analysiert werden können, Herzrhythmusstörungen zu diagnostizieren. Für gewöhnlich wird ein abnormaler Herzschlag nur anhand von kurzen, zehn Sekunden langen Abschnitten von Signalen analysiert. Veränderungen über einen längeren Zeitraum werden dabei ignoriert.

In der Musik können wir ein Lied bereits anhand sehr kurzer Abschnitte erkennen. Ich glaube, das könnte auch Ärzten helfen, unterschiedliche Herzrhythmusstörungen und wie sie sich über längere Zeit entwickeln, besser zu verstehen.

Eine akademische und eine Musikkarriere gleichzeitig voranzutreiben, ist eine echte Herausforderung. Was mir dabei hilft, ist konsequente Prioritätensetzung. Wenn ich einen Auftritt habe, übe ich mehr und stelle andere Aufgaben hintan. Als ich jung war, war ich nicht sehr fleißig beim Üben. Also habe ich einen kleinen Trick angewandt: Ich habe gelernt, gut vom Blatt zu spielen.

Was mir noch geholfen hat: Ich habe mir immer modernes Material ausgesucht. Wenn ich alte Musik gespielt hätte, zum Beispiel Liszt-Etüden oder Beethoven-Sonaten, hätte ich sicherlich viel mehr üben müssen. Arbeitet man mit alten Stücken, ist der Druck größer, weil sich schon so viele gute Leute daran abgearbeitet haben. Es ist sehr viel anstrengender, seine eigene Version eines alten Stücks zu entwickeln als ein neues zu spielen.

Der Grund weiterzumachen

Mittlerweile habe ich ein gutes Zeitmanagement entwickelt. Wenn ich für einen Auftritt probe, spiele ich jeden Tag. Ich halte mit ein bestimmtes Zeitfenster dafür frei. Zum Beispiel spiele ich von 7.30 Uhr bis neun Uhr, danach gehe ich an die Uni. Die Arbeit mit den Studierenden gefällt mir, ich mag es, den jungen Leuten etwas mitzugeben.

Ich kann sagen: Mein Leben ist sehr erfüllt. Ich habe eine Familie, eine neun Jahre alte Tochter. Viel Zeit mit ihr zu verbringen, ist mir sehr wichtig, ich will wissen, was in ihrem Kopf vorgeht, was sie beschäftigt. Ich erinnere mich noch dunkel daran, wie es war, als ich neun war, und das war eine sehr wichtige Phase für mich. Meine Tochter spielt auch Klavier, außerdem Cello.

Das Schöne an der Musik: Sie wirkt aktivierend auf mich. Das Arbeiten am Computer gibt mir nicht so viel zurück. Wenn ich eine Publikation fertig habe, fühlt sich das zwar schon sehr befriedigend an, und ich bin stolz, aber Musik zu machen, das ist eine aktivere Beschäftigung, mit den Händen, mit Bewegungen. Möglicherweise ist das auch der Grund, warum ich immer weitermache.