Es war keine Haute Couture wie jede andere. Doch das lag nicht an der Braut im glitzernden Badeanzug samt ellenlanger Schleppe, die am Dienstagmorgen durch den Garten der mediterranen Villa lief, der für die Chanel-Show unter die Kuppel des Grand Palais gebaut war. Die Gäste warteten gespannt darauf, dass Karl Lagerfeld sie am Ende des Laufstegs in Empfang nehmen würde, um wie üblich mit ihr den Applaus entgegen zunehmen.

Doch heraus trat nur die Studioleiterin Virginie Viard, Lagerfelds rechte Hand, die nach kurzem Salut sogleich wieder im Backstage-Bereich verschwand. Fragend schauten sich die Gäste an und trauten sich kaum zu klatschen. Eine Durchsage beendete die Ungewissheit. Karl Lagerfeld ließ sich entschuldigen. Er werde zur zweiten Show um zwölf Uhr kommen. Als er aber auch zu der nicht erschien, war die Aufregung groß.

Chanel.
Foto: APA/AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

Spekulationen über Lagerfeld

Wo bleibt Karl Lagerfeld? Seit der Modezar 1983 die Kreativdirektion von Chanel übernahm, hat der Designer noch nie bei einer seiner Schauen gefehlt. Lagerfeld habe sich müde gefühlt, lautete später das offizielle Statement des Hauses. Bereits in den letzten Monaten wurde viel über seinen Gesundheitszustand spekuliert. Anlass war sein verändertes Aus sehen, der kaschierende Bart und die plötzlichen Zahnlücken. Bei seinen letzten Shows kam er außerdem mit immer wackeligeren Füßen auf den Laufsteg. Gerüchte über eine schwere Erkrankung machten die Runde, tout Mode-Paris munkelt, es werde bereits nach einem Nachfolger gefahndet.

Anziehungskraft

Die Mode geriet bei all dem in den Hintergrund. Dabei ist die gerade bei den Haute-Couture-Schauen besonders spektakulär. Aufwendige handgefertigte Einzelstücke, unglaubliche Kreationen wie etwa die skulpturalen Kleider von Givenchy-Designerin Clare Waight Keller, die sie im Musée d’Art Moderne zeigte – so etwas gibt es nur bei der Pariser Haute Couture zu sehen.

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Valentino.
Foto: reuters/tessier

Manche Kleider sahen aus wie riesige Schmetterlingsflügel, andere hatten kastenförmige Ärmel, die sich hinten als Rücksäcke mit überdimensionaler Schleife entpuppten."Die Haute Couture in Paris lebt und ist wohlauf", beteuert Pascal Morand, Präsident der Fédération Française de la Couture. Denn seit der Einführung der Prêt-à-porter-Mode in den Sechzigerjahren wird das Geschäft mit der Einzelanfertigung regelmäßig für tot erklärt. Doch allen Skeptikern zum Trotz gibt es jedes Jahr Neuzugänge.

Balmain wieder dabei

Nach 16 Jahren Pause zeigte diese Saison zum Beispiel das Label Balmain erstmals wieder Haute-Couture-Mode. Ein Beweis, dass auch junge Designer wie der 33-jährige Olivier Rousteing dieses Business noch für relevant halten. Dennoch sind von den einstmals 106 Haute-Couture-Häusern heute nur noch 15 geblieben, darunter Chanel, Christian Dior und Jean Paul Gaultier.

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Balmain-Designer Olivier Roustaing (2.v.r.) inmitten von Models, die seine Entwürfe für die Haute-Couture tragen.
Foto: ap/camus

Das Label "Haute Couture" ist juristisch geschützt, die Auswahl der neu aufgenommenen Mitglieder folgt strengen Regeln. Pro Saison müssen mindestens 25 Kreationen produziert werden, auf Maß geschneidert und handgefertigt. Ein wahrer Couturier hat außerdem ein Atelier mit mindestens 20 Näherinnen zu unterhalten, der Hauptsitz dieser Edelschneiderei hat in Paris zu liegen.

Eine Kreation von Jean-Paul Gaultier.
Foto: Foto: Apa/afp/guay

Revival der Haute Couture

Laut Morand ist die hohe Schneiderkunst lebendiger denn je. Heutzutage legten die Menschen wieder mehr Wert auf Handwerkskunst und Savoir-faire, glaubt er. Auch die Möglichkeit zur Personalisierung und die Tatsache, dass es sich um Einzelstücke handle, mache dieses hochexklusive Business noch immer für eine spezielle Kundschaft interessant: eine, die bereit ist, in ein kaum tragbares Einzelstück ein kleines Vermögen zu investieren. Denn eine maßgeschneiderte Robe kostet zwischen 10.000 Euro und 100.000 Euro. Mehr als ein wirtschaftlich rentables Konzept ist die Haute Couture Teil eines Traums – das weiß auch die Designerin Maria Grazia Chiuri nur zu gut.

Dior.
Foto: apa/afp/guillot

Für ihre Dior-Show entführte sie die Zuschauer in die magische Zirkuswelt. Jacken waren mit goldenen Knöpfen, Schulterklappen und Paspeln besetzt, wie man das von Dompteuren kennt. Dazu gab es immer wieder große Halskrausen, Schleifen und Harlekinmuster zu sehen. Vor allem aber die Kreationen der Niederländerin Iris Van Herpen verschlugen den Zuschauen diesmal fast den Atem. Ihre mit 3D-Technik gefertigten Kleider, die aus unzähligen Stofflagen bestanden, sahen aus wie prachtvolle Federkostüme.

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Iris van Herpen
Foto: reuters/Tessier

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Iris van Herpen
Foto: ap/camus

Mit solchen Entwürfen stellen die Couturiers ihre Kreativität und ihr Können unter Beweis und stärken damit das Image ihrer Marke – die Königsklasse der Werbung. Das tatsächliche Geld machen die Modehäuser dann mit Prêt-à-porter-Mode, mit Kleidern von der Stange, mit Gürteln, Taschen und vor allem Parfums. (Estelle Marandon, 26.1.2019)

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Givenchy
Foto: ap/euler

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