Amir Hassan Cheheltan, "Der standhafte Papagei. Erinnerungen an Teheran 1979". Übersetzt von Jutta Himmelreich. € 22 / 197 Seiten. Verlag Matt, Matthes & Seitz, 2018

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Eine weitverbreitete Ansicht über die Gegenwart ist diese: Sie ist, wie sie ist, weil sie anders gar nicht sein kann. Als ginge durch die Geschichte ein logischer Faden, und jedes Ereignis würde zwingend aus dem vorherigen resultieren, ja resultieren müssen. In Wahrheit aber gibt es keine Schicksalsgöttinnen. Meistens hätte auch alles anders kommen können.

Das wird einem klar, wenn man die Aufzeichnungen des 1956 in Teheran geborenen Schriftstellers Amir Hassan Cheheltan über die Islamische Revolution liest, die unter dem Titel Der standhafte Papagei. Erinnerungen an Teheran 1979 auf Deutsch erschienen sind. Cheheltan erzählt darin von den Ereignissen der Jahre 1978 und 1979, als er ein 22-jähriger Student war, im Land der Sturz des Schahs vorbereitet wurde und schließlich die Revolution losgebrochen war. Denn wie eine Eruption, wie ein kaum noch zu kontrollierender Ausbruch von Anarchie und Gewalt wirken die Geschehnisse in seinen Erzählungen. Er berichtet von den kleinen, mal mehr, mal weniger alltäglichen Ereignissen, die sich im Mikrokosmos seines damaligen Wohnviertels ereignen und die so vieles über die Menschen und die Stimmung auf den Straßen erzählen: Vor dem Sturz des Schahs, zu einem Zeitpunkt, als die Ereignisse "noch so ungewiss und schwer zu deuten waren, dass niemand ahnte, wie sich die Dinge letztendlich entwickeln und zu welch komplexem Ereignis sie sich verdichten würden", sieht Cheheltan zusammen mit Freunden eine gebrechliche alte Frau auf einem Podest, die ein Konterfei des Schahs hochhält.

Lang lebe der Schah!

Er hält seine aufgebrachten Freunde mehrmals davon ab, die Frau anzugreifen, die schließlich "unerschrocken und ungebeugt" in die Nacht verschwindet. So bedrückend viele dieser Szenen sind, so voller Anspannung und mitleidloser Wut, so anrührend und bisweilen irrwitzig sind andere. Etwa die Geschichte des titelgebenden Papageis, der das Viertel in Atem hält, weil er unerschütterlich "Lang lebe der Schah!" sagt.

Teheran, 1. Jänner 1979: Iranische Demonstranten halten das Konterfei Ajatollah Khomeinis nach oben. Als Schah Reza Pahlavi kurz darauf ins Exil ging und der Ajatollah heimkehrte, stand der Sieg der islamischen Revolution fest.
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Zwischen all den Anekdoten von massenhafter Alkoholvernichtung, Frauen, die in einem Akt des Widerstands im Badeanzug schwimmen gehen, und angeblichen Nacktfotos, bei denen doch nur ein wenig Unterarm zu sehen ist, listet Cheheltan immer wieder die Gewalttaten auf. Man denkt dann etwas beschämt daran, wie leichtfertig im Westen gern mit dem Begriff Revolution umgegangen wird – als wäre das eine spaßige Sache und genau das, was unserer saturierten Gesellschaft fehlt.

Wenn Cheheltan nüchtern die Hinrichtungen, Auspeitschungen, Anschläge, Folterungen und Morde aufzählt oder eine Bekanntmachung der Revolutionsgarden zitiert, nach der "die Mehrheit der Bevölkerung von Mahabad Handgranaten, Granatwerfer und G3-Maschinengewehre besäße", überlegt man sich das mit der Revolution vielleicht noch mal.

Schwache und Bedürftige

Er beschreibt, wie die anfänglich hoffnungsfrohe Stimmung, in der viele wohl noch eine freie und bessere Zukunft für möglich hielten, kippt und das Land zunehmend im Chaos versinkt. Linke, kommunistische und religiöse Kräfte bekämpfen einander auf den Straßen, es gibt kriegerische Auseinandersetzungen mit der Demokratischen Partei Kurdistans. Dazwischen machen Arbeits- und Obdachlose, Studenten und Abgehängte lautstark auf sich aufmerksam. Denn, das zeigt sich schnell, trotz großer Versprechungen, ob von linken, kommunistischen oder religiösen Gruppen – die Bedürftigen und Schwachen geraten angesichts des vermeintlich höheren Zieles schnell in Vergessenheit. Wer glaubt, sein eigenes Leben sei wichtiger als die Revolution, steht sowieso im Verdacht, ein Feind derselben zu sein. Bei der Französischen Revolution war es wohl ähnlich.

Ein Glossar hätte dem Buch gutgetan, wer nicht ganz im Thema ist, der wird einige Male nachschlagen müssen. Aber Cheheltans Erzählungen vermitteln etwas, das letztlich wichtiger ist als bloße geschichtliche Fakten: das Gefühl der Haltlosigkeit, das diese Gesellschaft im Umbruch ergriffen hat. Die plötzlichen Möglichkeiten und Freiheiten, die allzu schnell umschlagen in die Verwirklichung des Schlimmstmöglichen. Woran er uns erinnert, das ist letztlich der Umstand, wie schnell der Mensch dem Rausch des Irrationalen verfällt – einem Rausch, für den bekanntlich auch westliche Bevölkerungen anfällig sind.

Instrumentalisiertes Volk

Zuletzt erzählt Cheheltan von der Geiselnahme in der US-Botschaft. Zeitungen titelten: "Erst der Schah, jetzt Amerika". Für das Khomeini-Regime war es zu diesem Zeitpunkt sinnvoll, den Hass auf einen äußeren Feind zu etablieren, um die eigene Macht zu stabilisieren – ein klassischer Herrscher-Trick. Das Volk vergaß über diesem Feindbild seine eigentlichen Ziele und ließ sich instrumentalisieren. Der Fortgang der Geiselnahme, schreibt Cheheltan, habe die Iraner davon abgehalten, "sich Gedanken über deren schlimme Folgen zu machen". Sein so klarsichtiges wie poetisches Fazit: "Er hat uns abgelenkt, genau wie ein herzhaftes, lang anhaltendes Lachen, das einen Menschen an den Rand der Ohnmacht, der Sorglosigkeit und der Ignoranz treiben kann." (Andrea Heinz, Album, 26.1.2019)