Robert wurde 1929 in Wien geboren und lebt heute in New York City. Er verließ seine Heimatstadt als Neunjähriger im Dezember 1938 mit dem ersten Wiener Kindertransport Richtung England, verbrachte dort ein Jahr und emigrierte danach mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten. Ich habe eine persönliche Verbindung zu Robert: Er ist der Angehörige eines Kindes, das mit meiner Tochter in Manhattan in die Schule geht. 

Robert, im Alter von circa acht Jahren, kurz vor seiner Flucht aus Wien.
Foto: eigene

Roberts Geschichte 

Robert ist Jurist und war Partner in einer renommierten New Yorker Anwaltskanzlei. Nach wie vor geht er täglich in sein Büro am Times Square. Das einzige Zugeständnis an sein fortgeschrittenes Alter ist, dass er mit dem Taxi oder dem Bus fährt und nicht mehr die Subway benützt, die in New York kaum mit Liften zugänglich ist. Seine E-Mails beantwortet er täglich.

Auf die Frage, wie gut sein Deutsch sei, antwortet er in sehr gutem Deutsch: "Nicht schlecht. Nicht gut, aber nicht schlecht. Ich spreche nie Deutsch, ich lese nur Deutsch, aber es ist noch immer ein bisschen da." Danach unterhalten wir uns auf Englisch und ich höre manchmal einen leichten britischen Akzent. Robert meint, dass sein britischer Akzent stärker werden würde, wenn er sich an etwas Emotionales erinnert. Auf Deutsch Lesen bereitet ihm keine Mühe.

Wien hat er nach seiner Flucht nur ein einziges Mal im Jahr 1957 besucht, zum Skifahren war er aber ein paar Mal in Österreich und er erwähnt auch mit ein wenig Stolz, dass er bis vor kurzem Ski gefahren sei. Er liest in der "New York Times" Artikel, die mit Österreich zu tun haben, und Berichte über die gegenwärtige Regierung erfüllen ihn mit großer Sorge.

Robert hat eine 400-seitige Autobiografie mit dem Titel "Paying Back. A Refugee Kid’s Thank You to America" geschrieben und selbst im Jahr 2013 veröffentlicht. Vier Kopien davon hat er verkauft, 500 verschenkt. Ich erhalte eine Ausgabe mit der Widmung "with admiration!".

"Paying Back": Cover von Roberts Buch.
Foto: eigene

"Ein großartiges Abenteuer"

Roberts Vater Paul wurde während der Pogrome im November 1938 verhaftet und in Dachau interniert. Roberts Mutter Bertha verstand sofort den Ernst der Lage und organisierte für ihren damals neunjährigen Sohn die Flucht aus Wien. Als sich Robert von seiner Mutter am Westbahnhof verabschiedete, sagte sie zu ihm: "Du wirst ein großartiges Abenteuer erleben und eine tolle Reise machen. Wir beneiden Dich alle um dieses Abenteuer". Und das war es dann auch für ihn, ein großes Abenteuer, auf das er sich als Neunjähriger alleine und unerschrocken eingelassen hat.

Roberts Eltern, Paul und Bertha.
Foto: eigene

Nach einer langen Zugreise, er erinnert sich daran hungrig gewesen zu sein, einer Nacht in einem Kinderlager und einer Schiffsüberfahrt, während der die meisten Kinder seekrank wurden, traf er in England ein.  Er verbrachte eine kurze Übergangszeit in einer Notunterkunft und bei einer Gastfamilie in Cambridge und wurde anschließend von der Familie Wheeler in Norwich aufgenommen. Herr Wheeler war Direktor der Schule "Bracondale", in die Robert während seiner Zeit in Großbritannien ging. Über die Wheelers sagt Robert, dass sie neben seinen Eltern die wichtigsten Personen in seinem Leben seien. Sie hätten sich liebevollst um ihn gekümmert.

"I was more hugged and loved during that year in England by the headmaster and his wife than at any point in my life. They were remarkable people... apart from my parents, they were the most important people in my life." Nach wie vor ist Robert mit den Töchtern der Familie Wheeler in Kontakt.

Robert in England.
Foto: eigene

Hilfe von Trude

Robert hatte in Wien bereits im Monat vor seiner Abreise begonnen, mit einer Nachbarin Englisch zu lernen und machte rasche Fortschritte. Er arbeitete sich innerhalb eines Jahres von der ersten Grundschulklasse bis zur dritten hoch und erwähnt mit einem leichten Schmunzeln, dass er dann auch gleich Latein dazugelernt hätte.

Während ungefähr 60 Prozent der durch die Kindertransporte geretteten Kinder ihre Eltern nicht mehr wieder sahen, hatte Roberts Familie großes Glück. Seine Schwester kam auf einem weiteren Kindertransport ein paar Monate nach ihrem Bruder nach England und auch seine Eltern konnten Wien relativ rasch verlassen. Nach einem Trennungsjahr machte sich die Familie gemeinsam auf die Reise nach Amerika. Ein Unbekannter in New York hatte für sie und hundert weitere Flüchtlinge Affidavits ausgestellt und ihnen so die Flucht aus Europa ermöglicht.

Den Namen Trude Frank erwähnt Robert häufig und mit großer Achtung und Dankbarkeit. Trude organisierte die Kindertransporte aus Wien und begleitete alle Kindertransportzüge persönlich, um sicherzugehen, dass es den Kindern gut ging. Währenddessen wurden Trudes Eltern in Wien zurückgehalten, damit ihre Tochter von der Reise zurückkehren würde. Auch in New York kreuzten sich Roberts und Trudes Wege. Trude Frank organisierte eine Children’s Colony in Manhattan, die ein wichtiger Treffpunkt für österreichische Flüchtlingskinder war.

Dank der uneigennützigen Hilfe von Familie Wheeler in England, die ihn aufnahm, des Unbekannten New Yorkers, der Affidavits für die Familie ausstellte und Trude Frank, die die Kindertransporte organisierte und dann den Flüchtlingskindern in New York beim Start in ein neues Leben half, überstand Robert den Zweiten Weltkrieg unbeschadet und hatte die Chance, sich ein neues Leben aufzubauen.

Die Schule "Bracondale", die Robert in Großbritannien besuchte.
Foto: eigene

Finanzielle Hilfe für Migranten und Flüchtlinge

Robert erhält jährlich einen Brief der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt, die Reparationszahlungen verwaltet, und seit acht Jahren werden monatliche Zahlungen der Republik Österreich an ihn überwiesen. Er muss lediglich beweisen, dass er noch am Leben ist. Auch im Rahmen des Swiss Banks Settlement 1998 wurde Robert Geld zugesprochen. Seine Großmutter hatte ohne Wissen der Familie Konten in der Schweiz eröffnet und Robert erfuhr zufällig von dem so angelegten Vermögen.

Robert hat diese Gelder, insgesamt 700.000 US Dollar, in einem Konto beim New York Community Trust angelegt und zur Gänze an Organisationen gespendet, die Migranten und Flüchtlingen helfen, wie zum Beispiel einem New Yorker Krankenhaus, Einrichtungen für Folteropfer und Hilfsorganisationen in Israel und Jordanien.

In seinem Buch hebt er die Tatsache hervor, dass das Geld seiner Großmutter nun für die Wiederherstellung von Gerechtigkeit und Flüchtlings- und Migrantenhilfe verwendet wird: "That’s sort of a strange event, that almost seventy five years since my grandmother established her account... their money was able to be used for the administration of justice and to help immigrants and refugees…The irony of it is that my mother probably was not aware of the existence of this account… she could certainly have used it when we were first in America, very poor and living on subsistence from various relatives. She never had the benefit of that, but at least they didn’t get to keep it."

Vor ein paar Wochen hat Robert außerdem eine Verständigung der Bundesrepublik Deutschland über eine Reparationszahlung für Kindertransportkinder erhalten. Im Dezember 2018 wurde demnach beschlossen, dass jedem ehemaligen Kindertransportkind 2500 Euro zustünden. Auch dieses Geld wird in Roberts Trust Fund einfließen und für gute Zwecke verwendet werden. 

Ehrenamtliche Positionen und Regierungsarbeit

Robert war beruflich als Anwalt außergewöhnlich erfolgreich. Er zeigt mir die Liste der Positionen, die er in der amerikanischen Regierung innehatte und sagt "I have become integrated". Er hat im Laufe seiner Karriere auch viele unbezahlte ehrenamtliche Ämter bekleidet, sowohl auf der föderalen, bundesstaatlichen als auch der lokalen Ebene, und bezeichnet das als sein Dankeschön an seine neue Heimat Amerika. Im Anhang seines Buches zählt er diese Stellungen auf. Die Liste ist neun Seiten lang.

Ein Porträt Roberts, das für die New York Bar Association gemacht wurde.
Foto: eigene

Robert hat seine "Abenteuerreise" im Jahr 1938 ohne größeres Trauma überstanden. Wenn er über Familie Wheeler, seine englische Gastfamilie, und die nach wie vor bestehende Freundschaft mit den Töchtern der Familie spricht, steigen ihm aber Tränen in die Augen. Auch als er eine Rede erwähnt, die er in London anlässlich einer Erinnerungsfeierlichkeit an die Kindertransporte gegeben hat, wird ersichtlich, wie stark die damit verbundenen Gefühle noch immer sind und wie dankbar er der britischen Bevölkerung für deren Hilfe ist. 

Kindertransportdenkmal, Liverpool Street Station, London.
Foto: AP Photo/Matt Dunham

10.000 junge Leben wurden damals gerettet und Familien wie die Wheelers haben ihre Häuser und Herzen in der Not der Stunde geöffnet und einem Kind wie Robert eine neue Chance gegeben. Dafür, und für die Möglichkeit, sich in Amerika als mittelloses Flüchtlingskind ein neues Leben aufbauen zu können, empfindet er große Dankbarkeit. (Stella Schuhmacher, 1.3.2019) 

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