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Ich möchte die Welt vor einer beispiellosen Gefahr warnen, die das Überleben offener Gesellschaften substanziell bedroht. Die sich rasch verbessernden Kontrollinstrumente, die sich durch maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz hervorbringen lassen, verleihen repressiven Regimen einen inhärenten Vorteil. Für sie sind diese immer leistungsfähigeren Kontrollinstrumente eine Hilfe; für offene Gesellschaften stellen sie eine tödliche Gefahr dar.

Ich werde mich auf China konzentrieren, wo Präsident Xi Jinping eine unangefochtene Ein-Parteien-Herrschaft anstrebt. Xi versucht derzeit, alle verfügbaren Informationen über eine Person in einer zentralen Datenbank zusammenzuführen, um ein "Sozialkredit-System" zu erstellen. Auf Basis dieser Daten sollen die Menschen dann durch Algorithmen bewertet werden, die festlegen, ob sie eine Bedrohung für den Ein-Parteien-Staat darstellen. Entsprechend werden die Leute anschließend behandelt.

Wohin die Reise geht

Das Sozialkredit-System ist noch nicht vollständig operabel, aber wohin die Reise geht ist klar. Es wird das Schicksal des Einzelnen in beispielloser Weise den Interessen des Ein-Parteien-Staates unterordnen.

Ich finde das Sozialkredit-System furchteinflößend und widerlich. Leider finden es manche Chinesen ziemlich attraktiv, weil es Informationen und Dienstleistungen bereitstellt, die bisher nicht verfügbar sind, und zudem gesetzestreue Bürger vor Staatsfeinden schützen kann.

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Software des chinesischen Start-ups SenseTime mit Information über Mensch und Fahrzeug.
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Halten Sie sich an die Vorschriften, heißt es in dieser Durchsage im Schnellzug auf der Strecke zwischen Peking und Schanghai, die ein britischer Journalist 2018 aufgenommen hat. Vergehen würden sich auf das "individuelle Kreditinformationssystem" niederschlagen.

Ideologie, Fortschritt und die Sehnsucht nach Freiheit

China ist nicht das einzige autoritäre Regime auf der Welt, aber es ist unzweifelhaft das reichste, mächtigste und im Bereich maschinellen Lernens und künstlicher Intelligenz am weitesten fortgeschrittene. Dies macht Xi zum gefährlichsten Gegner jener, die an das Konzept einer offenen Gesellschaft glauben. Doch Xi ist nicht allein. Autoritäre Regime breiten sich derzeit überall auf der Welt aus, und wenn sie Erfolg haben, werden sie sich zu totalitären Regimen entwickeln.

Als Gründer der Open Society Foundations habe ich mein Leben der Bekämpfung totalisierender, extremistischer Ideologien gewidmet, die fälschlich behaupten, dass der Zweck die Mittel heilige. Ich bin überzeugt, dass die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit sich nicht dauerhaft unterdrücken lässt. Doch mir ist bewusst, dass die offenen Gesellschaften gegenwärtig in großer Gefahr schweben.

Ich verwende den Begriff "offene Gesellschaft" als Kürzel für eine Gesellschaft, in der die Rechtsstaatlichkeit Vorrang genießt vor der Herrschaft einer Einzelperson und in der die Rolle des Staates darin besteht, die Menschenrechte und die Freiheit des Einzelnen zu schützen. Aus meiner Sicht sollte eine offene Gesellschaft denjenigen besondere Aufmerksamkeit widmen, die unter Diskriminierung oder sozialer Ausgrenzung leiden, und denen, die sich nicht selbst wehren können.

Wie lassen sich offene Gesellschaften schützen, wenn diese neuen Technologien autoritären Regimen einen eingebauten Vorteil bieten? Das ist die Frage, die mich derzeit umtreibt. Und sie sollte auch all diejenigen beschäftigen, die lieber in einer offenen Gesellschaft leben möchten.

Auf der Suche nach der offenen Gesellschaft

Meine tiefe Sorge bei diesem Thema rührt aus meiner persönlichen Geschichte. Ich wurde 1930 in Ungarn geboren, und ich bin Jude. Ich war 13 Jahre alt, als die Deutschen Ungarn besetzten und begannen, die Juden in Vernichtungslager zu deportieren. Ich hatte viel Glück, denn mein Vater war sich des Wesens des Naziregimes bewusst und besorgte gefälschte Ausweise und Verstecke für alle Mitglieder seiner Familie und für eine Anzahl weiterer Juden. Die meisten von uns überlebten.

Das Jahr 1944 war die prägende Erfahrung meines Lebens. Ich lernte in jungen Jahren, wie wichtig es ist, welche Art von politischem Regime sich durchsetzt. Als das Naziregime durch die sowjetische Besatzung abgelöst wurde, verließ ich Ungarn so schnell ich konnte und fand Zuflucht in England.

An der London School of Economics entwickelte ich unter dem Einfluss meines Mentors Karl Popper mein konzeptionelles Grundgerüst. Dieses Gerüst erwies sich als unerwartet nützlich, als ich später Arbeit an den Finanzmärkten fand. Es hatte nichts mit Finanzwirtschaft zu tun, aber basiert auf kritischem Denken. Dies versetzte mich in die Lage, die Mängel der vorherrschenden Theorien zu analysieren, von denen sich institutionelle Anleger leiten ließen. Ich wurde ein erfolgreicher Hedgefondsmanager und war stolz darauf, der höchstbezahlte Kritiker der Welt zu sein.

Geschlossene Gesellschaften öffnen

Einen Hedgefonds zu leiten war sehr nervenaufreibend. Als ich mehr als genug Geld für mich und meine Familie verdient hatte, geriet ich in eine Art Midlife Crisis. Warum sollte ich mich totarbeiten, um noch mehr Geld zu verdienen? Ich grübelte lange darüber nach, was mir wirklich wichtig war, und gründete dann 1979 den Open Society Fund. Ich legte für ihn die folgenden Ziele fest: Er sollte dazu beitragen, geschlossene Gesellschaften zu öffnen, die Mängel offener Gesellschaften zu verringern und kritisches Denken zu fördern.

Meine ersten Bemühungen zielten darauf ab, das Apartheidsystem in Südafrika zu untergraben. Dann wandte ich meine Aufmerksamkeit dem Sowjetsystem zu. Ich gründete eine Gemeinschaftsunternehmung mit der ungarischen Akademie der Wissenschaften, die unter kommunistischer Kontrolle stand, aber deren Vertreter insgeheim mit meinen Bemühungen sympathisierten. Dieses Arrangement war erfolgreicher, als ich mir das in meinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Ich begeisterte mich für diese "politische Philanthropie". Das war 1984.

In den folgenden Jahren versuchte ich, meinen Erfolg in Ungarn und anderen kommunistischen Ländern zu wiederholen. Im Sowjetreich, einschließlich der Sowjetunion selbst, war ich relativ erfolgreich. In China sah die Geschichte anders aus.

Diktatur mit chinesischen Merkmalen

Meine ersten Bemühungen in China sahen recht vielversprechend aus. Sie umfassten einen Besucheraustausch zwischen ungarischen Ökonomen, die in der kommunistischen Welt sehr bewundert wurden, und einem Team einer neu gegründeten chinesischen Denkfabrik, deren Mitglieder sehr daran interessiert waren, von den Ungarn zu lernen.

Auf der Grundlage dieses anfänglichen Erfolgs schlug ich Chen Yizi, dem Leiter der Denkfabrik, vor, das ungarische Modell in China zu reproduzieren. Chen gewann dafür die Unterstützung von Ministerpräsident Zhao Ziyang und seinem reformorientierten Politiksekretär Bao Tong. Eine Gemeinschaftsunternehmung mit dem Namen "China Fund" nahm im Oktober 1986 die Arbeit auf. Es war eine Einrichtung, wie es in China keine zweite gab. Auf dem Papier genoss sie völlige Autonomie.

Bao war ihr Fürsprecher. Doch die Gegner radikaler Reformen – und davon gab es viele – rotteten sich zusammen, um gegen ihn vorzugehen. Sie behaupteten, ich sei ein CIA-Agent, und beauftragten die interne Sicherheitsbehörde mit einer Untersuchung. Um sich zu schützen, ersetze Zhao Chen durch einen hochrangigen Beamten der externen Sicherheitspolizei. Da beide Organisationen einander gleichgestellt waren, konnten sie sich nicht in die Angelegenheiten der jeweils anderen einmischen.

Politische Grabenkämpfe

Ich war mit dieser Änderung einverstanden, weil ich mich geärgert hatte, dass Chen zu viele Stipendien an Mitglieder seines eigenen Instituts vergab, und war mir der politischen Grabenkämpfe hinter den Kulissen nicht bewusst. Doch die Antragsteller des China Fund erkannten schnell, dass die Organisation unter die Kontrolle der politischen Polizei geraten war, und blieben weg. Niemand hatte den Mut, mir den Grund dafür zu erklären.

Irgendwann besuchte mich ein chinesischer Stipendiat in New York und erzählte mir – unter beträchtlichem Risiko für sich selbst –, was passiert war. Wenig später wurde Zhao aus dem Amt entfernt, und ich nutzte dies als Ausrede, um die Stiftung zu schließen. Dies geschah unmittelbar vor dem Massaker vom Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 und setzte die mit der Stiftung verbundenen Personen einem schweren Makel aus. Sie unternahmen große Anstrengungen, ihre Namen reinzuwaschen. Letztlich hatten sie Erfolg damit.

Im Rückblick ist klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte, indem ich versuchte, eine Stiftung zu gründen, deren Arbeitsweise den Menschen in China fremd war. Damals schuf die Vergabe eines Stipendiums ein Gefühl der Verpflichtung zwischen dem Geber und dem Empfänger und verpflichtete beide, für immer loyal zueinander zu sein.

Verrat an der Reform

So viel zum geschichtlichen Hintergrund. Wenden wir uns nun den Entwicklungen im letzten Jahr zu, von denen einige eine Überraschung für mich darstellten.

Als ich China zuerst besuchte, traf ich viele Menschen in Machtstellungen, die glühende Anhänger der Grundsätze der offenen Gesellschaft waren. In ihrer Jugend waren sie zur Umerziehung aufs Land deportiert worden und hatten häufig Härten erlitten, die viel schlimmer waren als meine in Ungarn. Aber wir hatten viel gemeinsam. Wir alle hatten in einer Diktatur Übles erlebt.

Sie waren sehr daran interessiert, von mir zu hören, was Popper über die offene Gesellschaft dachte. Während sie das Konzept sehr attraktiv fanden, interpretierten sie es doch etwas anders als ich. Sie waren mit der konfuzianischen Tradition vertraut, doch eine Tradition von Wahlen gab es in China nicht. Ihr Denken blieb hierarchisch, nicht egalitär, und war durch einen eingebauten Respekt vor hohen Ämtern geprägt. Ich andererseits wollte, dass jeder eine Stimme haben sollte.

Ich war nicht überrascht, als Xi zu Hause auf ernsten Widerstand stieß, aber ich war überrascht von der Form, die dieser annahm. Bei der Führungssitzung im Seebad Beidaihe im letzten Jahr wurde Xi anscheinend zur Ordnung gerufen. Obwohl es kein offizielles Communiqué gab, kursierten Gerüchte, dass die Versammlung mit der Abschaffung der Amtszeitbeschränkung und dem Personenkult, den Xi um sich herum errichtet hatte, unzufrieden war.

Übertragung einer Rede Xi Jinpings an der Universität Huaibei Normal im Dezember 2018.
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Die überzeugten Verteidiger der offenen Gesellschaft in China, die in etwa in meinem Alter sind, sind überwiegend im Ruhestand, und an ihre Stelle sind Jüngere getreten, die für ihr Vorwärtskommen von Xi abhängig sind. Tatsächlich waren es im Ruhestand befindliche Führungsmitglieder wie Zhu Rongji, die Berichten zufolge auf der Sitzung in Beidaihe Kritik übten.

Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass diese Kritik nur eine Warnung an Xi wegen seiner Exzesse war, aber die Aufhebung der Begrenzung auf zwei Amtszeiten nicht rückgängig machte. Zudem wurde das "Gedankengut Xi Jinpings", das er als sein Destillat kommunistischer Theorie bewarb, auf dasselbe Niveau erhoben wie das "Gedankengut Mao Zedongs". Xi bleibt also oberster Führer, und das möglicherweise auf Lebenszeit. Zu welchem Ergebnis die aktuellen politischen Grabenkämpfe letztlich führen werden, bleibt unklar.

Ein Bündnis gegen die Feinde der offenen Gesellschaft

Ich habe mich im Vorherigen auf China konzentriert, doch haben die offenen Gesellschaften noch viele weitere Feinde, an erster Stelle Putins Russland. Und das gefährlichste Szenario ist eines, in dem diese Feinde miteinander konspirieren und voneinander lernen, um ihre Bevölkerungen noch wirksamer zu unterdrücken.

Was können wir tun, um sie zu stoppen?

Der erste Schritt besteht darin, die Gefahr anzuerkennen. Das ist der Grund, warum ich mich zu Wort melde. Aber nun kommt der schwierige Teil. Diejenigen unter uns, die die offene Gesellschaft bewahren möchten, müssen zusammenarbeiten und ein wirksames Bündnis schließen. Wir haben eine Aufgabe, die nicht den Regierungen überlassen bleiben kann. Die Geschichte zeigt, dass selbst Regierungen, die die Freiheit des Einzelnen schützen wollen, viele andere Interessen haben, und dass sie zudem der Freiheit ihrer eigenen Bürger Vorrang vor der Freiheit des Einzelnen als abstraktem Konzept einräumen.

Meine Open Society Foundations haben sich dem Schutz der Menschenrechte verschrieben, insbesondere für diejenigen, die keine Regierung haben, die sie verteidigt. Als wir vor vier Jahrzehnten mit unserer Arbeit begannen, unterstützen viele Regierungen unsere Bemühungen. Leider haben sich ihre Reihen gelichtet. Die USA und Europa, einst unsere stärksten Verbündeten, sind nun mit eigenen Problemen beschäftigt.

Daher möchte ich mich auf die meiner Ansicht nach wichtigste Frage für offene Gesellschaften konzentrieren: Was wird in China passieren?

Nur das chinesische Volk kann diese Frage beantworten. Wir können nichts weiter tun, als eine deutliche Unterscheidung zwischen ihm und Xi zu treffen. Seit Xi sich als Feind der offenen Gesellschaft geoutet hat, ist die chinesische Bevölkerung der wichtigste Quell der Hoffnung.

Und tatsächlich gibt es Gründe, hoffnungsfroh zu sein. Wie einige China-Experten mir erklärt haben, besteht eine konfuzianische Tradition, gemäß welcher von den Beratern des Kaisers erwartet wird, dass sie sich zu Wort melden, wenn sie eine seiner Maßnahmen oder Verordnungen stark ablehnen – und zwar in dem vollen Bewusstsein, dass dies ihr Exil oder sogar ihre Hinrichtung zur Folge haben kann. Dies war eine große Erleichterung für mich, als ich am Rande der Verzweiflung stand. Es bedeutet, dass eine neue politische Elite entstanden ist, die bereit ist, die konfuzianische Tradition in China aufrechtzuerhalten, und dass Xi auch weiterhin Gegner in China haben wird.

Die bröckelnde "Seidenstraße"

Xi stellt China als Vorbild dar, dem andere Länder nacheifern sollten, doch er stößt auch im Ausland auf Kritik. Seine Neue-Seidenstraßen-Initiative läuft inzwischen lange genug, um ihre Mängel sichtbar werden zu lassen. Zum Einen wurde sie darauf ausgelegt, die Interessen Chinas und nicht der Empfängerländer zu fördern. Zum Anderen wurden ihre ehrgeizigen Infrastrukturprojekte überwiegend über Kredite und nicht über Zuwendungen finanziert, und oft wurden ausländische Amtsträger bestochen, damit sie sie akzeptierten. Und viele dieser Projekte haben sich als wirtschaftlich unsolide erwiesen.

Das Paradebeispiel ist in Sri Lanka. China räumte Sri Lanka Kredite ein, um China für den Bau eines Hafens zu bezahlen, der Chinas strategischen Interessen dient. Doch erreichte der Hafen keine ausreichende wirtschaftliche Auslastung, um Sri Lanka in die Lage zu versetzen, seine Schulden zu bedienen, was China in die Lage versetzte, den Hafen in Besitz zu nehmen. Es gibt mehrere ähnliche Fälle anderswo, und sie rufen Verbitterung hervor.

Malaysia führt die Gegenbewegung an. Die letzte, von Najib Razak geführte Regierung betrieb den Ausverkauf gegenüber China. Doch bei der Wahl im Mai 2018 wurde Najib von einer von Mahathir Mohamad geführten Koalition abgelöst. Mahathirs Regierung stoppte sofort mehrere von chinesischen Unternehmen durchgeführte große Infrastrukturprojekte und verhandelt derzeit darüber, wie viel Malaysia noch an China zu zahlen hat.

Weniger klar ist die Lage in Pakistan, dem größten Empfänger chinesischer Investitionen. Die pakistanische Armee ist China völlig hörig, doch die Haltung von Imran Khan, der im vergangenen August Premierminister wurde, ist weniger eindeutig. Anfang 2018 verkündeten China und Pakistan grandiose Pläne für eine militärische Zusammenarbeit. Ende des Jahres dann steckte Pakistan in einer tiefen Finanzkrise. Eins jedoch zeigte sich: China beabsichtigt, die Neue Seidenstraße auch für militärische Zwecke zu nutzen.

All diese Rückschläge zwangen Xi, seine Einstellung gegenüber der Neuen Seidenstraße zu ändern. Im September kündigte er an, dass "Prestigeprojekte" künftig zugunsten von sorgfältiger konzipierten Initiativen vermieden werden sollten, und im Oktober warnte die Zeitschrift "People’s Daily", dass Projekte den Interessen der Empfängerländer dienen müssten.

Die Kunden sind inzwischen vorgewarnt, und eine Reihe von ihnen – von Sierra Leone bis Ecuador – stellen Projekte in Frage oder sind dabei, sie nachzuverhandeln. Xi hat zudem seine Äußerungen über "Made in China 2025" (im Vorjahr noch das Kernstück seiner Eigenwerbung) eingestellt.

Containment 2.0?

Am bedeutsamsten ist, dass die US-Regierung China inzwischen als "strategischen Rivalen" einstuft. Präsident Donald Trump ist berüchtigt für seine Unberechenbarkeit; diese Entscheidung jedoch war das Resultat eines sorgfältig vorbereiteten strategischen Plans. Trumps idiosynkratisches Verhalten hat inzwischen weitgehend einer durch Regierungsbehörden umgesetzten und durch den Berater für Asienfragen des Nationalen Sicherheitsrates, Matthew Pottinger, und andere beaufsichtigten Chinapolitik Platz gemacht. Diese Politik wurde in einer am 4. Oktober 2018 von Vizepräsident Mike Pence in einer Grundsatzrede skizziert.

Trotzdem ist es eine zu starke Vereinfachung, China zum strategischen Rivalen zu erklären. China ist ein wichtiger globaler Akteur. Eine wirksame Politik gegenüber China lässt sich nicht in einer Verallgemeinerung zusammenfassen. Sie muss sehr viel ausgeklügelter, detaillierter und pragmatischer sein, und sie muss eine wirtschaftliche Reaktion der USA auf die Neue Seidenstraße umfassen. Der Pottinger-Plan macht nicht deutlich, ob das letztliche Ziel darin besteht, faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen oder sich von China loszulösen.

Xi hat die Bedrohung, die die neue US-Politik für seine Führung darstellt, klar erkannt. Er setzte auf ein persönliches Treffen mit Trump bei der G20-Tagung in Buenos Aires am 1. Dezember. In der Zwischenzeit verschärfte sich die Gefahr eines globalen Handelskrieges. Ein Ausverkauf am Aktienmarkt schuf Probleme für die Regierung Trump, die all ihre Energie und Aufmerksamkeit auf die Zwischenwahlen des Vormonats konzentriert hatte. Als sich Trump und Xi trafen, waren beide Seiten dringend an einer Einigung interessiert. Also erreichten sie eine, aber was sie vereinbarten – ein 90-tägiger Waffenstillstand – ist sehr uneindeutig.

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Xi und Trump in Buenos Aires.
Foto: REUTERS/Kevin Lamarque

Doch gibt es klare Anzeichen für einen wirtschaftlichen Abschwung auf breiter Basis in China, der die übrige Welt in Mitleidenschaft zieht. Eine weltweite Konjunktureintrübung ist das Letzte, was sich der Markt wünscht.

Der stillschweigende Gesellschaftsvertrag in China beruht auf einem stetig steigenden Lebensstandard. Wenn der Abschwung der chinesischen Volkswirtschaft und des chinesischen Aktienmarktes schwer genug ausfällt, könnte das diesen Gesellschaftsvertrag untergraben, und selbst die Wirtschaft wird sich dann möglicherweise gegen Xi aussprechen. Ein derartiger Abschwung könnte zugleich das Ende der Neuen Seidenstraße einläuten, weil Xi die Mittel ausgehen könnten, um weiter so viele verlustbringende Investitionen zu finanzieren.

In der breiter gefassten Frage der globalen Regulierung des Internets gibt es einen stillschweigenden Konflikt zwischen China und dem Westen. China will die Regeln und Verfahren diktieren, die die digitale Wirtschaft steuern, indem es die Entwicklungsländer durch seine neuen Plattformen und Technologien dominiert. Dies ist eine Gefahr für die Freiheit des Internets und die offene Gesellschaft selbst.

Härtere Maßnahmen gegen ZTE und Huawei

Im vergangenen Jahr war ich noch der Ansicht, dass man China tiefer in die Institutionen zur globalen Steuerung einbinden sollte. Doch aufgrund von Xis Verhalten habe ich inzwischen meine Meinung geändert. Meine Ansicht ist jetzt, dass die USA sich auf China konzentrieren sollen, statt einen Handelskrieg gegen praktisch die ganze Welt zu führen. Statt ZTE und Huawei glimpflich davonkommen zu lassen, müssen die USA harte Maßnahmen gegen sie ergreifen. Sollten diese Unternehmen irgendwann den 5G-Markt beherrschen, würden sie ein unannehmbares Sicherheitsrisiko für die übrige Welt darstellen.

Bedauerlicherweise scheint Präsident Trump einen anderen Kurs zu verfolgen: China Konzessionen zu machen und sich zum Sieger zu erklären, während er seine Angriffe auf US-Verbündete fortsetzt. Dies ist geeignet, das politische Ziel der USA zu untergraben, Chinas Verstößen und Exzessen Grenzen zu setzen.

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Ein hoffnungsvolles Fazit

Weil Xi der gefährlichste Feind der offenen Gesellschaften ist, müssen wir unsere Hoffnungen auf das chinesische Volk setzen und insbesondere auf die durch die konfuzianische Tradition inspirierte politische Elite. Das bedeutet nicht, dass diejenigen unter uns, die an die offene Gesellschaft glauben, passiv bleiben sollten. Die Wahrheit ist, dass wir uns in einem Kalten Krieg befinden, der sich nun in einen heißen Krieg zu verwandeln droht. Andererseits böte sich, wenn Xi und Trump nicht mehr an der Macht wären, eine Gelegenheit, eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den beiden Cyber-Supermächten herbeizuführen.

Es ist möglich, von etwas Ähnlichem wie dem UN-Vertrag am Ende des Zweiten Weltkriegs zu träumen. Dies wäre das angemessene Ende des gegenwärtigen Konfliktzyklus zwischen den USA und China. Es würde wieder für internationale Zusammenarbeit sorgen und den offenen Gesellschaften ermöglichen, zu florieren. (George Soros, Übersetzung: Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 27.1.2019)