Ob es sinnvoll ist, Geschichte an einem "Schicksalsjahr" festmachen zu wollen, ja, darüber kann man trefflich streiten. Ein sogenanntes historisches Ereignis fällt ja nicht vom Himmel: Es ist das Ergebnis einer Entwicklung, und diese Entwicklung ist der Kontext – nicht eine simple Jahreszahl. Wann fiel der Ausschlag für die Revolution im Iran, wann, dass sie am Ende "islamisch" sein würde? Und wäre 1979 noch The Year that Shaped the Modern Middle East - wie das bereits 2001 erschienene Buch des Nahosthistorikers David W. Lesch heißt -, wenn die Sowjettruppen noch zugewartet hätten und nicht Ende Dezember, sondern erst im Jänner 1980 in Afghanistan einmarschiert wären?

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Teheran, 10. Dezember 1978: Demonstranten zeigen während Protesten gegen den Schah das Konterfei Ajatollah Khomeinis.
Foto: AP

Andererseits kann man gerade heute, wo wir einem Nahen Osten gegenüberstehen, in dem kein Stein auf dem anderen zu bleiben scheint, jede Verständnishilfe, jede Krücke auf dem Weg durchs Dickicht gut brauchen. Wenn man die wichtigsten chronologischen Stationen von 1979 wie ein Mosaik zusammensetzt, werden tatsächlich die Umrisse dessen, was heute da ist, besser sichtbar.

Drei Pflöcke, die für nicht nur regional, sondern auch geopolitisch bedeutsame Daten stehen, kann man einschlagen: Da ist erst einmal die bereits erwähnte Islamische Revolution im Iran, die am 11. Februar 1979 kulminierte. Am Jahresende, genauer am 25. Dezember 1979, steht die sowjetische Invasion in Afghanistan. Das hat fast jeder, der sich ein wenig mit Zeitgeschichte befasst, parat.

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Afghanistan, 27. Dezember 1979: Muslimische Rebellen inspezieren einen eroberten Sowjet-Panzer.
Foto: AP/Steve McCurry

Das ist beim dritten Ereignis auf der Liste wahrscheinlich schon weniger der Fall: Am 26. März 1979 unterschrieben Israels Premier Menachem Begin und der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat in Washington den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag. Die Fotos, mit US-Präsident Jimmy Carter vor dem Weißen Haus, sind jederzeit abrufbar. Aber das stärkste Bild aus diesem Geschichtsstrang wird dennoch jenes von Sadat 1977 in der Knesset in Jerusalem bleiben, und das bekannteste Schlagwort für den israelisch-ägyptischen Friedensprozess ist Camp David.

Islambuli-Straße in Teheran

Schah Mohammed Reza Pahlevi sollte Ende Juli 1980 in Kairo sterben – da hatte Sadat noch 14 Monate zu leben: Er wurde im Oktober 1981 von dem islamistischen Extremisten Khalid Islambuli ermordet, nach dem in der Folge eine Straße in Teheran benannt wurde (sie wurde 2004 wieder umbenannt).

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Teheran, 16. Jänner 1979: Schah Mohammad Reza Pahlavi am Flughafen Mehrabad verlässt den Iran. Mit der Rückkehr Ajatollah Khomeinis, stand der Sieg der Islamischen Revolution fest.
Foto: AP

Aber das sind an der Oberfläche gesponnene Fäden, die Verbindungen zwischen den Ereignissen laufen viel tiefer. Bis in die Gegenwart: Als ausgerechnet am 11. Februar 2011 der ägyptische Präsident Hosni Mubarak – nach 30 Jahren an der Macht und nur wenigen Wochen Protesten – zurücktrat, konnte die Assoziation mit dem 11. Februar 1979 nicht ausbleiben. Die im Iran propagierte Einschätzung der Revolution in Ägypten als "islamisch" erzeugte Abwehrreaktionen in arabischen Staatskanzleien, aber auch in Teilen der arabischen Gesellschaften, die man damals gar nicht richtig einschätzen konnte: Da war es plötzlich wieder, das Gespenst der islamistisch-revolutionären Ansteckungsgefahr, die nach der Machtergreifung der Mullahs 1979 vom Iran ausging. Beziehungsweise als "Revolutionsexport" aktiv betrieben wurde.

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Teheran, 1. Februar 1979: Khomeini verlässt am Flughafen Mehrabad die Maschine der Air France.
Foto: Getty

Darauf baut etwa das heutige Saudi-Arabien unter Kronprinz Mohammed bin Salman sein Narrativ der jüngeren Vergangenheit auf: Der ultrakonservative, strenge Islam im Königreich sei das Resultat einer Wende nach 1979: eine Reaktion auf die Revolution im Iran und das Erstarken der eigenen radikalen Kräfte. Da ist schon ein Körnchen Wahrheit dabei, auch wenn nicht die ganze Geschichte erzählt wird: dass das saudische Regime seine eigenen Islamisten, die die Familie Saud für unislamisch befanden, vernichten musste, dazu den Sanktus des Klerus brauchte und diesem in der Folge mehr Macht über die Gesellschaft einräumen musste.

Zu den drei "großen" Daten kommen kleinere, aber in ihrem eigenen Rahmen ebenso traumatische: im Fall von Saudi-Arabien die Besetzung der Großen Moschee von Mekka, die vom 20. November bis zum 5. Dezember 1979 dauerte. 500 Anhänger einer eschatologischen – antisaudischen, antiwestlichen – Sekte erstürmten die Moschee und nahmen hunderte Geiseln. Für die Wiedereroberung durch die Sicherheitskräfte brauchte es, da es sich um einen heiligen Ort handelte, die Erlaubnis per Fatwa. Der Kampf kostete hunderte, nach inoffiziellen Schätzungen tausende Menschen das Leben.

In der Folge kam es zu schweren antiamerikanischen Übergriffen in etlichen islamischen Ländern. Die Botschaft der Obskuranten hatte gegriffen – aber nicht im Westen, genauer gesagt in Washington. Denn kurze Zeit später waren islamistische Mujahedin die hochgerüsteten Verbündeten des Westens beim Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan.

Einer davon hieß bekanntlich Osama bin Laden. Er sollte sich von Saudi-Arabien erst abwenden, als König Fahd 1990 angesichts der Bedrohung durch Saddam Hussein, der im August Kuwait erobert hatte, US-amerikanische Truppen ins Land der heiligen islamischen Stätten einlud.

Entscheidung in Bagdad

Saddam Hussein, das ist das Stichwort für das fünfte Ereignis in jenem Jahr, das die Region nachhaltig prägte, auch wenn es einstweilen nur eine Veränderung auf lokaler Ebene war: Im Juli 1979 ergriff der damalige Vizepräsident des Irak die Macht, die er bis zum Einmarsch der USA und ihrer Alliierten 2003 behalten sollte.

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Havanna, 2. September 1979: Der irakische Machthaber Saddam Hussein triff bei einem Gipfel der Blockfreien Staaten den Vorsitzenden der Palästinensischen Befreiungsorganisation Jassir Arafat.
Foto: ap

Saddam verwandelte 1979 das Regime der Baath-Partei in eine rein autokratische Herrschaft. Der Rücktritt von Präsident Hassan al-Bakr hatte sich bereits abgezeichnet, aber was zuerst wie ein glatter Machtwechsel aussah, geriet ein paar Tage später zur Gewaltorgie. Angebliche Putschpläne führten zur Säuberung der Partei von allem, was dem neuen Diktator im Wege stehen konnte. Per Video wurden die Schreckensszenen von der Parteiversammlung verbreitet, auch in der irakischen Diaspora. Die "Republik der Angst" war geboren.

Saddams Beweggründe – seine Persönlichkeit einmal beiseite – sind in den Kontext von 1979 einzubetten. Da ist einmal das Land, das angeblich hinter den Putschisten stand: Syrien, vom anderen Teil der Baath-Partei regiert, mit einem starken Hafiz al-Assad an der Spitze. Es gab Anhänger der Idee einer syrisch-irakischen Union, Präsident Bakr galt als einer davon. Mit Assad als Nummer zwei wäre Saddam Hussein im Rang nach hinten gerückt.

Aber auch die Revolution im Iran spielte hinein: Bakr stand dem neuen Regime im Iran und den eigenen religiösen Schiiten im Irak pragmatischer gegenüber als Saddam. Der sah sich als Bollwerk gegen die revolutionäre Welle – was er ja auch für seine Trumpfkarte in Washington hielt. Die USA würden ihn brauchen, um den Iran in Schach zu halten. Und 1991 stimmte Saddams Annahme noch, als sich die USA im Golfkrieg mit seiner Vertreibung aus Kuwait zufriedengaben.

US-Präsident George W. Bush entschied 2003 bekanntlich anders. Die Bilder der Millionen Schiiten, die nach dem Sturz Saddams in Najaf und Kerbala erstmals frei ihre religiösen Rituale verrichteten, verstörten Sunniten weltweit. Und für die arabischen Regierungen vor allem am Golf hatte sich der Kreis zum Februar 1979 geschlossen. Und heute sind wir mitten in der Fortsetzung genau dieser Geschichte. (Gudrun Harrer, 26.1.2019)