Dass Wiener von heute auf morgen für rohen Fisch Schlange stehen würden, hätte sich Mi-Ja Chun, Gründerin von Akakiko, nicht träumen lassen. Heuer feiert die Restaurantkette mit über 350 Mitarbeitern ihr 25-Jahr-Jubiläum. Bei einem Besuch in der größten Filiale im Wiener Kaufhaus Gerngross erzählt die gebürtige Koreanerin bei einer Tasse Tee über schwierige Anfänge in Österreich, kulturelle Unterschiede in der Geschäftskultur und wie Integration funktioniert, ohne seine Wurzeln zu verlieren.

STANDARD: Sie sind der Liebe wegen vor vierzig Jahren nach Wien gezogen, Ihr damaliger Mann kam zum Studieren her. War das ein Kulturschock?

Chun: Ziehen lassen ...

STANDARD: Wie bitte?

Chun: Den Tee muss man ziehen lassen, etwa drei Minuten, und ein bisschen bewegen. Ja, als ich nach Wien kam: Das war von null auf hundert, wegen der Sprache und auch wegen des Essens. Koreanisches Essen benötigt traditionelle Zutaten, die es damals in Österreich nicht gab. Ich musste Semmeln kaufen! (lacht)

Zehn Jahre will Mi-Ja Chun (61) noch aktiv sein.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Sie wussten also gar nicht, was Sie in Wien tun werden?

Chun: Oh doch. Eigentlich hatte ich nach der Matura in der Buchhaltung eines Konzerns gearbeitet. Aber um nach Österreich ziehen zu können, besuchte ich die Krankenschwesterschule. Damals gab es einen Mangel, und man erhielt leicht eine Arbeitserlaubnis. Zuerst musste ich noch Deutsch lernen, also habe ich zehn Monate lang wirklich, wirklich fleißig gelernt. Dann bekam ich sofort eine Stelle als Krankenschwester.

STANDARD: Dann übernahmen Sie 1985 das koreanische Lokal Ihrer Schwägerin. Hatten Sie einen Bezug zur Gastronomie?

Chun: Ich bin kurz nach dem Bürgerkrieg (1950-1953, Anm.) geboren, wir hatten damals wenig zu essen – Reis, Süßkartoffeln, Feldfrüchte. Meine Mutter konnte mit wenigen Zutaten sehr gut kochen, sie hatte ein kleines Lokal. Damals im Wiederaufbau sind viele schon um vier Uhr auf der Straße gestanden und haben aufgeräumt. Die Männer brauchten ein stärkendes Frühstück. Meine Mutter machte eine wundervolle Suppe aus Rindsknochen und Zwiebeln. Diesen Duft habe ich immer noch bei mir, das hat mich schon ein bisschen geprägt. Sie hat vorgelebt, wie man liebevoll und mit Herz seine Gäste bewirtet.

STANDARD: Aber gleich ein eigenes Lokal führen?

Chun: Ich konnte noch nie gut unter jemandem arbeiten. Damals ergriff ich die Gelegenheit, das Lokal zu übernehmen, bereits davor hatte ich auch am Naschmarkt einen Obst- und Gemüsestand. Aber ich habe weiterhin daneben als Krankenschwester gearbeitet.

STANDARD: Vor 25 Jahren eröffneten Sie das erste Akakiko und sattelten auf japanisches Sushi um.

Chun: Für das koreanische Restaurant brauchte man sehr spezielle Zutaten wie getrocknetes Gemüse und getrockneten Fisch oder ganz bestimmte Saucen, das musste man alles selbst importieren. Das kostet und dauert bis zu ein Jahr mit dem Containerschiff. Aber mir war aufgefallen, dass es doch sehr frischen Fisch gibt in Österreich.

STANDARD: Im Land der Berge, abseits der See?

Chun: Ja, vor allem Lachs. Der wird fangfrisch auf Eis aus Norwegen mit dem Flieger importiert. Auch über die Niederlande und Deutschland haben wir Händler, die frische Qualität liefern.

Mi-Ja-Chun hat ihr Lokal im Gerngross laufend erweitert.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Zwischenfrage: Sie mögen keinen Käse und keinen Wein. Was schätze Sie an österreichischer Küche?

Chun: Backhendl! Aber nicht so fett, sondern ohne Haut. Und Zwiebelrostbraten mit Senf.

STANDARD: Ich habe mich länger mit einem Japanisch-Wörterbuch spielen müssen, um Akakiko einzuordnen. Das Beste, worauf ich kam, ist "aka iko", also "rotes Herz".

Chun: Wirklich? (lacht)

STANDARD: Sie haben den Namen erfunden?

Chun: Ja, ein Fantasiewort. Weil es leicht auszusprechen ist, auch ein Kind schafft das. Und Aka, das Rot, setzten wir viel in unserem Auftritt ein, Kiko ist eigentlich ein Mädchenname. Darum hatten wir auch lange ein Mädchen im Logo.

Ihr selber kreierter Tee kommt bei den Kunden gut an.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Der Name ist erfunden, die Küche authentisch?

Chun: Ich habe mir anfangs Sorgen gemacht, ob die Österreicher echtes Sushi mit rohem Fisch essen werden. Zu Beginn haben wir sehr vorsichtig und dünn geschnitten. Das war natürlich gut für uns (lacht). Den Reis haben wir stärker als normal gewürzt. Aber immer den besten Sushi-Reis.

STANDARD: Aus Japan?

Chun: Aus Kalifornien, die haben den besten. Aber meine Sorgen waren unbegründet, die Kunden liebten Sushi. Wie haben unser erstes Lokal in der Shopping City Süd aufgemacht. Am ersten Tag standen die Leute Schlange, ich habe meinen Augen nicht getraut. Wir hatten nur 20 Sitzplätze, aber viele bestellten telefonisch und nahmen das Essen mit.

STANDARD: Anstrengende Zeiten?

Chun: Das war eine sehr schwere Zeit für mich. Ich musste alles einkaufen, hatte vier Kinder, darunter ein Neugeborenes: Meine jüngste Tochter habe ich gestillt. Aber das hat mein Leben geprägt. Danach war alles im Vergleich einfach. Jetzt haben wir 17 Filialen sowie zwei koreanische Restaurants (Yori und das Kimchi, Anm.).

STANDARD: Anfangs haben Sie Sushi in Österreich bei einer breiten Schicht populär gemacht, mittlerweile gibt es an jedem dritten Eck ein asiatisches Lokal, das Sushi anbietet, oft zu stark reduzierten Preisen; die Speisekarten sind oft dauerhaft 50 Prozent reduziert. Wie gehen Sie mit dieser Konkurrenz um?

Chun: Wir setzen auf Qualität, und nicht auf Rabatte. Fisch muss frisch sein, das rieche ich sofort. Beim allerkleinsten Verdacht kommt er weg.

STANDARD: Heute arbeiten auch zwei Ihrer Kinder mit.

Chun: Ja, sie konzentrieren sich auf die Erneuerung der Speisekarte, den Werbeauftritt, bauen die Zustellung aus.

STANDARD: Mit Zulieferern verhandeln aber Sie. Angeblich sehr geschickt. Wo lernt man das?

Chun: Ich weiß, wo die Grenze liegt, und ich weiß, wer wie viel einkaufen kann. Ich konnte schon immer sehr gut rechnen. Schon als Kleinkind war ich gut mit dem Abakus und später im Kopfrechnen. Das habe ich zehn Jahre lang immer nach der Schule geübt. Das hat mir ein Gefühl für Zahlen gegeben. Manche bereuen es sehr nach dem Verhandeln. Aber bei kleinen Geschäften verhandle ich nie so hart, nur mit den Großhändlern.

STANDARD: Verhandeln Österreicher anders als Koreaner?

Chun: Ja, Österreicher sind Gentlemen. Die wissen gar nicht, was Verhandeln ist. Auch im Geschäft, wenn man über Preise reden will, weisen sie verdutzt auf das Etikett. Mittlerweile geht das besser.

Behördliche Kontrollen seien wichtig. Aber bitte: Etwas dezenter auftreten!
Foto: Robert Newald

STANDARD: Was raten Sie jemandem, der aus dem Ausland nach Österreich kommt?

Chun: Das Wichtigste ist, die Sprache schnell zu lernen. Wer kommunizieren kann, ist nicht böse, wenn ein anderer lacht oder schimpft, sondern kann etwas dagegen sagen. Und zweitens: Man muss das Land akzeptieren und sich an die Gesetze halten. Dann kann man sich allmählich integrieren, ohne seien Wurzeln aufgeben zu müssen. Ich bin Koreanerin und lebe hier, auch mit Dingen, die mir nicht so passen ...

STANDARD: Zum Beispiel?

Chun: Wir zahlen schon sehr viel Steuer. Über 5000 Gäste essen am Tag bei uns. Es geht uns gut. Aber wir haben einen höheren Personalaufwand als viele ander Gastronomen, wegen des vielen kleinen Geschirrs, der dekorierten Portionen, das kommt uns teuer.

STANDARD: Finden Sie gute Leute?

Chun: Ja, die kommen automatisch. Als Arbeitgeber verstehen wir uns gut mit den Arbeitnehmern, wir sitzen in einem Boot. Das spricht sich herum. Die meisten unserer Mitarbeiter kommen aus dem asiatischen Raum.

STANDARD: Ist Ihnen das wichtig?.

Chun: Unser Lokal ist schon authentischer mit mehr asiatischem Personal, die haben selbst den Bezug zur Küche.

STANDARD: Was wünschen Sie sich von der Politik?

Chun: (überlegt) Wenn die Finanzpolizei kommt oder Hygienekontrollen stattfinden, könnte man gemäßigter vorgehen. Gut, dass es sie gibt, wir haben keine Angst. Aber sie müssen ja nicht zur Mittagszeit groß auftreten. Manchmal wurden Mitarbeiter abgeführt wie Kriminelle, weil sie den Ausweis nicht dabeihatten. Natürlich muss man den legalen Aufenthalt prüfen. Aber man könnte das auch vormittags und dezenter abwickeln.

STANDARD: Und die Lohnkosten?

Chun: Ich will nicht bei den Leuten sparen, ich habe selbst früher wenig gehabt. Ich bin auch bereit, mehr zu bezahlen. Niedrige Gewinnsteuern wären der bessere Weg. Ich habe in Ihrer Zeitung gelesen, wie wenig große Konzerne Steuer zahlen. Ist das normal?

STANDARD: Mit Steuertricks in anderen Ländern.

Chun: (lacht) Das will ich auch lernen.

STANDARD: Akakiko Luxemburg?

Chun: Na, ich bin sehr zufrieden in Österreich.

STANDARD: Zum 25-Jahr-Jubiläum haben Sie jetzt ein Akakiko-Kochbuch herausgebracht. Wie geht es weiter für Sie?

Chun: Im Mai will ich ein neues kleines koreanisches Lokal aufmachen, konzipiert von einem ganz tollen Koch aus London. Im September soll Akakiko in Salzburg aufmachen. In Griechenland und Zypern starten wir erstmals mit elf Franchise-Filialen. Wie fanden Sie den Tee? Den habe ich kreiert: Hibiskus, Zitronengras und Eisenkraut ... Der geht super. (INTERVIEW: Leopold Stefan, 27.1.2019)