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Ken Read ist 1983 zu seinen Bedingungen zurückgetreten.

Foto: Toronto Star via Getty Images/Rene Johnston

STANDARD: 1980 haben Sie als erster Nichteuropäer die Weltcup-Abfahrt in Kitzbühel gewonnen. Es heißt, Sie hätten damals einen lebenden Gockel bekommen.

Read: Ein Jahr nach meinem Sieg haben mich die Kitzbüheler in Garmisch mit einem Hahn besucht und wollten mich in Kitzbühel zum Essen einladen. Aber ich verletzte mich in Garmisch und versäumte das Rennen. Im Frühling bekam ich ein Paket mit der Post, darin der Hahn – ausgestopft. Er stand dann jahrelang in einem Eck. Ich erfuhr, dass das kanadische Sportmuseum außergewöhnliche Sportartefakte für internationale Erfolge suchte. Mir war sofort klar, was ich mit dem Gockel machen würde. Bei Olympia 1988 in Calgary, dem perfekten Zeitpunkt, wurde dann vor hunderten Menschen Ken Reads Cock in Kanadas Hall of Fame präsentiert. Die Menge war amüsiert.

STANDARD: Seinerzeit soll gerne ausschweifend gefeiert worden sein. Waren Sie ein Partytiger?

Read: Kitzbühel war immer das Highlight. Es gab viele Partys und Termine. 1980 hat der britische Skifahrer Konrad Bartelski zu einem Clubbesitzer gesagt: "Champagner für alle Rennfahrer, wenn ein englischsprachiger gewinnt." Und so kam es dann auch. Ich musste zur Siegerehrung, zu den Medien und zu all den Terminen. Als ich kam, war die Fete fast vorbei. Ich war kein Partytiger.

STANDARD: Wussten Sie, dass Werner Grissmann damals 1000 Schilling verlor, weil er wettete, dass er gewinnt?

Read: Nein, aber 1000 Schilling waren ja auch nicht so viel Geld.

STANDARD: Wie war es möglich, die Europäer zu bezwingen?

Read: Als Erstes mussten wir das Vertrauen der Skiindustrie gewinnen, wir mussten beweisen, dass wir es draufhatten. Damals war ein gewisser Chauvinismus vorherrschend, wer gut ist und wer nicht. Und die Europäer waren gut. Wir mussten Ergebnisse liefern. Wir haben uns ausgemacht, dass wir als Teamkollegen zusammenarbeiten, was in einem Sport voller Individualisten ungewöhnlich ist, weil wir Informationen weitergaben, die es einem Kollegen ermöglichten, dich zu schlagen. Aber wir mussten das tun und härter an uns arbeiten. Wir hatten eine professionelle Arbeitsmoral. Und das half uns enorm, die traditionellen Kräfte zu schlagen.

STANDARD: Können Sie sich an das erste Mal in Kitz erinnern?

Read: Ich kann mich an alle Rennen hier ziemlich gut erinnern. Kitzbühel war die Nummer eins, war das prestigeträchtigste, härteste Rennen. Es war großartig, ich war begeistert. Bei jedem Rennen war man nervös, weil man wusste, dass man an die Grenzen gehen musste. Manchmal war ich frustriert, aber das war ein Lernprozess. Einmal bin ich mit Steve Podborski die Streif hinaufgewandert. Das hat uns ein besseres Gefühl für die Strecke und den ganzen Berg verschafft. Solche Kleinigkeiten können einen Unterschied ausmachen.

STANDARD: Einer Ihrer zwei Siege in Morzine wurde Ihnen wegen eines nicht regelkonformen Rennanzuges aberkannt. Ging dabei alles mit rechten Dingen zu?

Read: Nicht ganz. Es gab eine Maschine bei den Rennen, mit der Anzüge geprüft wurden, aber sie war nicht rechtzeitig da. Sie sagten, wir könnten die Anzüge verwenden, aber falls jemand protestieren sollte, müsse der Anzug ins offizielle Schweizer Testinstitut geschickt werden. Das geschah dann auch und es stellte sich heraus, dass meiner zu wenig luftdurchlässig war. Seltsamer Weise aber entsprachen die anderen drei meiner Kollegen nach einer späteren Überprüfung vor Ort der Norm. Diese Unstimmigkeit hätte man untersuchen können, hätte es eine Möglichkeit gegeben, das zu beanstanden. Ich dachte davor, es sei alles korrekt. Ich habe die Konsequenzen akzeptiert.
Damals änderten sich die Anzüge. Erst war die Kunststoffschicht außen, dann innen. Das war ziemlich ungesund, im Ziel war man komplett nass. Man begann dann nach neuen Materialien zu suchen.

STANDARD: Warum sind Sie 1983 mit 27 schon zurückgetreten?

Read: Damals war es noch nicht üblich, mit 30 noch Rennen zu fahren. Es gab kein Internet, zu Hause anzurufen war teuer, wir schrieben Telegramme und Briefe, lebten aus dem Koffer. Ich wollte als Spitzenläufer, zu meinen Bedingungen und nicht wegen einer Verletzung zurücktreten.

Banff Mount Norquay: Ken Read mit seiner Frau Lynda und ihren Söhnen Kevyn, Jeffrey und Erik beim Skifahren.
Foto: Ken Read

STANDARD: Zwei Ihrer Söhne fahren ebenfalls Rennen. Erik (27) war bereits 2017 Siebter auf dem Ganslern, Jeffrey (21) am Montag Neunter in der Europacup-Abfahrt. Was darf man von ihnen erwarten?

Read: Jeffrey ist größer und schwerer als Erik, prädestiniert für den Schwerkraftsport, er ist im Kommen, ist aber noch jung, er braucht noch viel Geduld. Selbst wenn man im amerikanischen Kontinentalcup spitze ist, braucht man im Weltcup einige Jahre, um reüssieren zu können. Es ist ein knallharter Wettbewerb. Für Erik lief es vergangene Saison nicht mehr ganz so gut, er war aber Elfter im Olympia-Riesentorlauf. Er kämpft immer wieder um die Qualifikation für den zweiten Lauf, ist auf der Suche nach Konstanz, aber er macht zu viele Fehler. Er muss hart arbeiten. Talente wie Clément Noël tauchen nur alle paar Jahre auf.

STANDARD: Haben Ihre Söhne Ihr Talent geerbt?

Read: Es wäre schön, wenn man das behaupten könnte. Entscheidend sind die Körpermaße. Wenn wir uns Skifahrer anschauen, dann fällt auf, dass viele zwischen 1,80 und 1,90 Meter groß sind. Skirennfahrer können nie gute Basketballer werden, und Basketballer werden nie gute Skifahrer. Entscheidend, dass Erik und Jeffrey auch Rennfahrer wurden, war wohl, dass meine Frau auch Rennen bestritt. In unser beiden Familien gab es viele Rennfahrer, Skifahren war immer eine Familienangelegenheit. Aber uns war wichtig, dass es von Herzen kommt, dass sie es machen wollten.

STANDARD: Sind Sie Mentor und Manager oder auch Trainer?

Read: Ich helfe ihnen beim Management und mit den Verträgen, aber auf dem Berg sind die Trainer zuständig. Da mische ich mich nicht ein. Wenn ich dabei wäre, wäre das eher kontraproduktiv. Aber ich bin für sie da, wenn sie Fragen haben. Für mich war immer wichtig, dass man eine Beziehung mit dem Coach aufbaut, weil man täglich zusammenarbeitet, miteinander kommunizieren, sich verstehen muss.

STANDARD: Ist es ein Vorteil oder eher ein Nachteil, einen erfolgreichen Skifahrer als Vater zu haben?

Read: Es gab Zeiten, da war es hart für sie. Auch die Trainer erzählten mir, dass immer wieder jemand der Auffassung war, dass sie begünstigt würden. Aber es ist von Vorteil, dass es in Kanada keine mit Österreich vergleichbare Präsenz des Skisports gibt. Sie haben nicht denselben Druck.

STANDARD: Wie ist es um den kanadischen Skirennsport bestellt?

Read: Es ist sehr schwer, Sponsoren zu finden. Das TV verändert sich. Geld und Performance gehen Hand in Hand. Das kanadische Team ist momentan nicht stark, aber positiv ist, dass ein Generationswechsel stattfindet. Erik Guay war am Ende einer großen Ära. Manuel Osborne-Paradis will nach der Verletzungspause ein Comeback geben, Dustin Cook ist ziemlich allein im Super-G, er braucht ein Team um sich, es ist nicht einfach. Benjamin Thomsen musste kämpfen, um im Team zu bleiben. Jetzt fährt er seine beste Saison. Aber es gibt eine große Kluft zwischen Jung und Alt. Man muss optimistisch sein. Es ist ein harter Sport, auch andere Verbände haben Probleme. (Thomas Hirner, 25.1,2019)