Komplexe Choreografie, virtuos ausgeführt: Das Tanzstück "Coppélia" im Volkstheater ist ein kollektiver Erfolg – ebenso wie der von Natascha Mair.

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Eine clevere junge Frau legt den alten Nerd und Automatenbastler Coppélius herein. Das ist der Höhepunkt in dem romantischen Ballett "Coppélia oder Das Mädchen mit den Emaille-Augen", das am Sonntag in der Wiener Volksoper Premiere hatte. Die Protagonistin heißt Swanilda. Sie führt mit Leichtfüßigkeit nach einem Muster aus dem 19. Jahrhundert die Hybris der Robotiktechnologie vor.

Mit der Technik hat sich im Lauf der Zeit die Selbstüberschätzung der dazugehörenden Freaks weiterentwickelt. Und weil die kritische Auseinandersetzung mit technologischen Revolutionen für den zeitgenössischen Tanz kaum ein Thema ist, wirkt der Klassiker beinahe so, als wäre er auf dieser Ebene der Gegenwart voraus.

Drohender Krieg

Coppélias Uraufführung fand am 25. Mai 1870 in Paris statt, keinen Monat später ließ sich Frankreich zum Krieg gegen Preußen hinreißen. Die Oper wurde geschlossen und bezahlte keine Löhne mehr. Die erste Swanilda, Giuseppina Bozzacchi, starb ein halbes Jahr später mit 17 Jahren an Pocken.

Der ebenfalls tragisch endende Nathanael aus E. T. A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann" (1816), die zu den Quellen der "Coppélia" zählt, ist im Tanzstück gestrichen. Dessen Librettisten haben sich mehr an der Opéra-comique "La poupée de Nuremberg" (1852) orientiert. Aber das Thema der Täuschung durch den mechanischen "Androiden", der bei Hoffmann Olimpia und im Ballett "Coppélia" heißt, ist geblieben. Ebenso die Überlegenheit der Frauenfiguren: Aus Nathanaels aufklärerischer Verlobter Clara wurde die scharfsichtige und trickreiche Swanilda. Beiden ist ein Happy End beschieden: Trautes Glück scheint alles abzusichern. Doch das täuscht.

Aus für die Monarchie

Der Französisch-Deutsche Krieg 1870/71 brachte das Aus für die Monarchie der Grande Nation. Kaiser Napoleon III. hatte die "Coppélia"-Uraufführung gesehen, in deren drittem Akt vor Krieg gewarnt wurde. Dieser Teil verschwand sofort. Erst Pierre Lacotte, dessen Rekonstruktion von 1973 die Volksoper jetzt zeigt, hat ihn wiedererweckt.

Die Momente, in denen die Zeichen des Krieges irritieren, sind bei der Wiener "Coppélia" leider nur angedeutet. Abgesehen davon ist dieses Ballett ein echter Hit geworden. Natascha Mair tanzt die Premierenbesetzung der Swanilda perfekt, mit Witz und Natürlichkeit. Ihr windiger Verlobter Franz ist eine ideale Rolle für Denys Cherevychko, und Alexis Forabosco gibt dem Coppélius den grotesken Anstrich eines Unholds aus dem Kindertheater. Die Compagnie führt die komplexe Choreografie echt virtuos vor, und die Musik von Leo Delibes ist beim Orchester der Volksoper unter Simon Hewett in guten Händen. (Helmut Ploebst, 28.1.2019)