Aus den oft jahrhundertealten Stufenbrunnen holen Frauen in Rajasthan auch heute noch Wasser.

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Jodhpur, die blaue Stadt, liegt zu Füßen der Festung Meherangarh.

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Das Hawa Mahal, auch "Palast der Winde" genannt, in der Altstadt von Jaipur.

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Udaipur lebt von seiner Lage am künstlichen Pichhola-See und seinem über Jahrhunderte ausgebauten Stadtpalast.

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Das Chittor Fort oder Chittorgarh ist eines der größten Forts in Indien. Es ist ein UNESCO-Weltkulturerbe.

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Motor- statt Fahrradrikschas. Smartphones in praktisch jeder Hand. Ein paar elegante Boutiquen auf den Einkaufsmeilen. Eine Dunstglocke über den Städten, in der sich die höchste Schadstoffbelastung der Welt versteckt. Eintrittspreise, die für westliche Besucher recht saftig geworden sind. Und Massen von einheimischen Touristen, die mit ihrer westlichen Kleidung auch in Paris und New York kaum auffallen würden.

Das waren die Zeichen, dass sich in Indien in den vergangenen 27 Jahren einiges verändert hat. Im Frühjahr 1991 bereiste ich zum ersten Mal das Land, damals mit Rucksack und knappem Budget. Das war vor der wirtschaftlichen Öffnung, die Indien seither zur siebentgrößten Volkswirtschaft der Welt gemacht hat. Nach mehreren Besuchen im Süden kehrte ich jetzt erstmals in den Norden zurück – für eine individuelle Rundreise entlang der klassischen Delhi-Agra-Rajasthan-Route.

Das andere Land

Aber es dauerte nicht lange bis zu einer anderen Erkenntnis: Ich mag nun doppelt so alt sein, aber Indien ist das geblieben, was es war – das eine ganz große Land, das sich auch dank des Englisch, das fast jeder spricht, dem Besucher wie kaum ein anderes öffnet und dabei selbstbewusst jeder kulturellen Gleichmacherei verweigert. Indien ist anders – teils, weil vieles, was in anderen Schwellenländern klaglos funktioniert, an der Bürokratie, der Demokratie oder der Mentalität scheitert; teils, weil es die eigene Identität zelebriert. Eine Indien-Reise bedeutet ein Eintauchen in Bilder, Töne, Gerüche und Gespräche, wie man sie sonst nicht erlebt. Etwa mit Shambhu, dem charmanten Rikschafahrer in Agra, der nie eine Schule besucht, aber von einem australischen Lehrer gutes Englisch gelernt hat. Er zeigt uns stolz die Bilder seiner jungen Frau, die er am Tag der Hochzeit erstmals getroffen hat.

Arpit, der Physiotherapie in Udaipur lernt, erzählt auf der Busfahrt nach Jodhpur hingegen von seiner "Love-Relationship". Seine Freundin lebt in einer anderen Stadt, er hat sie über Instagram kennengelernt und erst einmal getroffen. Aber er ist entschlossen, sie zu heiraten und keine von den Eltern arrangierte Ehe einzugehen.

Visuelle und kulturelle Höhepunkte

Die Armut ist allgegenwärtig, und die Bilder von Familien, die auf der Straße übernachten, sind nicht leicht zu nehmen. Aber selbst diese Menschen strahlen eine Würde aus – was auch an den farbenfrohen Saris liegt, den gerade die ärmeren Frauen tragen.

Und zwischen diesen Bildern und Begegnungen ist Indien voller visueller und kultureller Höhepunkte. Im Norden sind es vor allem die Paläste und Festungen, die das muslimische Mogulreich ab dem 16. Jahrhundert hinterlassen hat, mit einem Prunk, der fast alles in Europa in den Schatten stellt. Dazu zählt natürlich das Taj Mahal, ein Liebesbekenntnis aus Marmor, das tatsächlich so schön ist, wie es auf den Millionen Fotos erscheint.

Dafür zahlt sich nach der Ankunft in Delhi ein Abstecher in die ausgesprochen hässliche Stadt Agra und der Eintrittspreis von umgerechnet 16 Euro aus. Die meisten Besucher unternehmen einen Tagesausflug, aber wer in der Stadt übernachtet, kann auch das Agra Fort besuchen, wo der kaiserliche Erbauer des Taj Mahal als Gefangener seines Sohnes seinen Lebensabend verbrachte, sowie die nach nur wenigen Jahren verlassene Residenzstadt Fatehpur Sikri, die bis heute gespenstisch wirkt.

Plaudern im Zug

Wie vor 27 Jahren ist das beste Transportmittel in Indien die Bahn. Manche Verbindungen sind schneller geworden, wie etwa die von Delhi nach Agra. Sonst zuckeln die Züge immer noch behäbig durch das Land, sind aber billiger, komfortabler und meist schneller als die Fahrt mit Privatauto und Minibus auf den überfüllten Straßen. Und jede Zugreise ist eine Gelegenheit, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Die Buchung der Bahnkarten geht heute übers Internet – doch für Ausländer nur theoretisch, denn das System verlangt eine indische Mobilfunknummer. Da zahlt es sich auch für Individualisten aus, ein lokales Reisebüro zu benutzen.

Per Zug ging es abends von Agra nach Jaipur, dem ersten Stopp in Rajasthan. In der "Pink City" sind Mauern und Gebäude der Altstadt in Ocker-Orange gefärbt, der Verkehr ist ruhiger und die Luft etwas besser. Keinesfalls soll man auf den Ausflug zum Amber Fort außerhalb der Stadt verzichten.

Unschöne Spuren

Die Bahnfahrt nach Udaipur unterbrachen wir in Chittorgagh, einer hinduistischen Festung, die von den Mogulen erobert und zerstört wurde. Udaipur lebt von seiner Lage am künstlichen Pichhola-See und seinem über Jahrhunderte ausgebauten Stadtpalast. Hier zu heiraten ist der Traum vieler indischer Paare. Doch der Massentourismus hat auch unschöne Spuren hinterlassen. Nur noch wenige Gassen strahlen jene stille Idylle aus, die mir vom ersten Besuch im Gedächtnis geblieben sind.

Diese fanden wir dafür in Jodhpur, der blauen Stadt im Schatten der Festung Meherangarh, wo man beim Streifen durch die Altstadt ständig die Kamera zücken will. Den schönsten Blick auf das beleuchtete Fort bietet ein Nachtmahl in einem der Restaurants mit Dachterrasse. Aber noch besser und spottbillig isst man im kleinen Omelette Shop am Uhrturm, wo Ramkishan seit 40 Jahren Indiens beste Eiergerichte kocht. (Eric Frey, 1.2.2019)