Ein Kindsmann, der mit dem Fuß alles kann, aber sonst nicht viel. "Diamantino", gespielt von Carloto Cotta, dringt ins leere Innere von Ronaldo vor.

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Schweden gegen Portugal – wer 2018 auf dieses Finale der Fußball-WM getippt hätte, hätte eine Menge Geld gewinnen können. Allerdings kam es zu dieser Begegnung nicht in der Wirklichkeit, sondern nur in dem fiktiven Universum eines sehr schrägen Films: In "Diamantino" steht es wenige Minuten vor dem Schlusspfiff 1:0 für Schweden, und es gibt Elfmeter für Portugal.

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Wer wird schießen? Keine Frage, das ist eine Aufgabe für CR7. Cristiano Ronaldo. Der prominenteste Fußballer der Galaxie ist aber nicht nur ein besonderer Fußballer, sondern auch seine eigene Marke. Das bedeutet, dass man sich nicht einfach eine Geschichte über ihn und mit ihm ausdenken kann. Den Elfmeter schießt also Diamantino Matamouros. Aber jeder weiß, wer gemeint ist.

Stattdessen ein Verlierer...

Zwischen Diamantino und CR7 gibt es in dem Film von Gabriel Abrantes und Daniel Schmidt jedoch noch einen Unterschied: Diamantino ist nämlich ein Verlierer. Er denkt beim Dribbling an flauschige Welpen, und überhaupt ist sein intellektueller Haushalt recht reduziert – zwischendurch bescheinigt ihm jemand "die kognitiven Fähigkeiten eines Kindes". Das kann man dann auch wieder als kleine Gemeinheit gegen CR7 lesen. Die beiden Filmemacher haben Diamantino überdeutlich auf ihn gemünzt, erzählen aber eine so abstruse Geschichte, dass jegliche Ähnlichkeiten unübersehbar, aber niemals gerichtlich belangbar sind.

Fußball ist heute das Opium des Volkes, heißt es in "Diamantino". Insofern liegt es nahe, die aktuelle Welle des Populismus mit der wichtigsten Nebensache der Welt (eine andere geläufige Definition des Fußballs) zusammenzubringen. Damit ist man aber auch gleich bei einem anderen Großthema, nämlich der globalen Migration, und als wäre das nicht schon eine Menge Stoff, machen Abrantes und Schmidt sich auch noch über die Football-Leaks (mit einer unangenehmen Steuersache für CR7) und über einen allgemeinen Trend zum Mauerbau (oder zu Mauerprojekten) lustig.

Möpse statt Muskeln

Dazu kommt eine spezielle Variante des Leib-Seele-Problems à la Diamantino: Er verfügt über einen optimalen Körper, aber sein Gehirn "ist absolut leer". Bei einem Versuch, den Körper mit einem Klonexperiment in Serie gehen zu lassen, entgleist aber der Hormonspiegel von Diamantino. Ihm wachsen Möpse dort, wo man eigentlich Brustmuskeldefinitionen erwarten würde.

Gabriel Abrantes kommt eigentlich von der bildenden Kunst, bei einem seiner früheren Filme berief er sich auf Wittgenstein, der sagte, dass grundlegende Probleme sich möglicherweise am besten in Form von Witzen lösen lassen. Mit "Diamantino" hat er sich, gemeinsam mit Daniel Schmidt, nun einen abendfüllenden Witz gegönnt, der es im Vorjahr auch nach Cannes geschafft hat.

Dass die Geschichte von Diamantino ziemlich haarsträubend erscheint, mag man dabei sogar verstehen: CR7 ist ja eigentlich nicht parodierbar. Der Schauspieler Carloto Cotta vollbringt einen bemerkenswerten Balanceakt zwischen gnadenloser Mimesis und ergreifender Vermenschlichung. In einem geheimen Kämmerchen im Innersten des Mythos von CR7 richtet Cotta das Bild eines Menschen auf, der als Einfaltspinsel auf den Verlust seiner Unschuld wartet. "Muss cool sein, aber auch kompliziert", das ist sein Wissen über Sex. Vorläufig lebt er sein Begehren mit Selfies aus ("Spitz die Lippen wie ein Fisch, das wirkt profunder"), nach seinem Auftritt im Finale gegen Schweden ist er reif für eine Epiphanie.

Nicht jede der zahllosen Ideen von Abrantes und Schmidt ist über jeden Zweifel erhaben, zum Beispiel sind die beiden Schwestern von Diamantino ziemlich grobe (und latent misogyne) Karikaturen. Aber insgesamt reicht die Gewitztheit in jedem Fall für einen sehenswerten Film.

Ab Freitag im Kino. (Bert Rebhandl, 29.1.2019)