Die Erste muss auch Nein sagen können zu ihren Kunden, sagt ihr Vorstandschef Andreas Treichl. Die Wirtschaft solle Teil der Zivilgesellschaft werden.

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Üben Sie schon?

Treichl: Ja.

STANDARD: Was üben Sie?

Treichl: Das Klavierkonzert in G-Dur von Ravel.

STANDARD: Nicht "Die Biene" von Eduard Strauß? Die Polka hat er zum 60-Jahr-Jubiläum der Ersten Oesterreichischen Spar-Casse 1879 komponiert. Ich dachte, Sie würden die zum heurigen 200-Jahr-Jubiläum am Klavier spielen.

Treichl: "Die Biene" ist liab, aber recht uninteressant. Nein: Ich bereite kein Musikstück vor. Ich denke noch nach, wir haben Zeit bis Oktober.

STANDARD: Die erste Sparkasse wurde am 4. Oktober 1819 eröffnet. Sparkassen ermöglichten sozial Schwachen, zu sparen und Kredite zu nehmen, das Kapital kam von Reichen. Auf den sozialen Auftrag berufen sich Erste und Sparkassen heute noch. "Die Erste Bank ist bei all ihrem Erfolg in ihrem Wesen immer noch eine Sparkasse geblieben, die ihr Wesen nicht verändert hat." Stimmen Sie zu?

Treichl: Wer sagt das?

STANDARD: Sie, vor rund 20 Jahren.

Treichl: Egal wie wir uns bezeichnen: Das Wichtige ist, dass wir uns und unserem Gründungszweck treu bleiben. Dass wir für alle in der Region, in der wir tätig sind, da sind und Wohlstand bringen.

STANDARD: Vor 20 Jahren hielt die Stiftung, die sich sozialen Zwecken verschrieben hat, noch 30 Prozent an der Ersten, heute elf. Neben den Sparkassen sind Wiener Städtische (VIG), spanische Caixa und der US-Hedgefonds Blackrock beteiligt. Wenn es stimmt, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, hat sich das Wesen der Ersten allein durch die Aktionärsstruktur verändert.

Treichl: Das glaube ich gar nicht. Stiftung, Sparkassen, VIG und Caixa halten gemeinsam mehr als 30 Prozent, und alle haben sich unserem Unternehmenszweck untergeordnet. Die Erste ist in diesen 20 Jahren auch sehr gewachsen, so schnell kann eine Stiftung nicht mitziehen. Das Wesen der Ersten verändert sich nicht durch ihre Eigentümerstruktur. Sollte sich die so ändern, dass die Stiftung nicht damit leben kann, würde sie wahrscheinlich als Aktionärin aussteigen. Trotz unserer Fehler haben wir den Weg zu unserem Zweck gut gefunden, der geht nicht verloren und wird immer stark bleiben.

STANDARD: Sie verbrämen normales Bankgeschäft mit dem Guten ...

Treichl: Nein. Wir sind eine börsennotierte Gesellschaft und dazu da, Gewinne zu machen, und darauf angewiesen, dass unsere Aktionäre zufrieden sind. Ob Caixa oder VIG oder Blackrock: Alle würden aussteigen, wenn wir Blödsinn machen, und auch die Stiftung kann ihr Vermögen nicht verprassen, denn sie braucht das Geld, um damit Wohltätiges zu machen. Natürlich müssen wir verdienen, aber wir dürfen das nicht tun, indem wir unseren Kunden Produkte verkaufen, die sie nicht brauchen oder die ihnen schaden. Wir sind dazu verpflichtet, Nein zu sagen, wenn wir uns ernsthaft um das finanzielle Wohl unserer Kunden kümmern wollen.

STANDARD: Vor der Krise 2008 haben Sie sehr wohl komplizierte Produkte verkauft, Kunden verloren Geld.

Treichl: Ja, durch Fremdwährungskredite zum Beispiel. Aber es gab auch die 20 Jahre davor, in denen die Leute davon profitiert haben – obwohl das Produkt an sich ein Unvernünftiges war. Aber: Auch Österreicher streben nach Profit und sind nicht immer nur vernünftig.

STANDARD: In uralten Wien-Reiseführern wurde die Erste als "Humanitätsanstalt" und "Wohltätigkeitseinrichtung" gelistet. Das schaffen Sie heute nicht mehr.

Treichl: Die Erste war damals viel wohltätiger, als man glaubt, sie war eine NGO. Die Kapitalgeber bekamen keinen Ertrag, Gewinne mussten wieder in Wohltätiges investiert werden. Aber man kann die Zeiten nicht vergleichen. Heute könnten wir nicht existieren als wohltätiges Institut, das Spenden bekommt, um Kredite an nichtbankfähige Kunden zu geben.

STANDARD: Da würde Ihnen die FPÖ "Profitgier" vorwerfen, wie der Caritas. Was sagen Sie zu dieser Zuschreibung?

Treichl: Solche Äußerungen kann man im Glauben an die Zukunft Österreichs nur verdrängen und sagen: Der, der das gesagt hat, ist wurscht. Das ist weit über der Schmerzgrenze.

STANDARD: Man könnte Ihr Geschäftsmodell auch ganz schlicht so beschreiben: Die Erste Group ist eine Bank mit sympathischem Beiwerk, selbiges ist die Stiftung, die ihr Geld für gute Zwecke ausgibt.

"Den Aufsichtsratschef der Erste-Stiftung mach ich dann die nächsten 200 Jahre": Andreas Treichl wechselt 2020 in die Erste-Stiftung.
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Treichl: Nein. Bank und Mitarbeiter müssen in Zukunft die Partner sein, auf die sich die Bürger in der Region verlassen können, wenn sie ein finanzielles Problem haben. Das ist unsere Aufgabe, daran müssen unsere Führungskräfte in den nächsten 200 Jahren zu 100 Prozent glauben. Können wir nur überleben, wenn wir so viele Produkte wie möglich rausschleudern, und ist der allerbeste Mitarbeiter jener, der am meisten verkauft, dann sollte die Stiftung aus dem Bankgeschäft aussteigen. Denn dafür wurden wir nicht gegründet. Das werde ich in meiner neuen Funktion sicherstellen.

STANDARD: Sie werden Aufsichtsratschef der Stiftung ...

Treichl: ... und das mach' ich dann die nächsten 200 Jahre.

STANDARD: Genau. Die Stiftung fördert soziale Innovation, europäischen Zusammenhalt und Demokratie, zeitgenössische Kultur. Künftig soll sie mehr für Finanzbildung tun. Wie passt das dazu?

Treichl: Die Stiftung soll einen Teil der finanziellen Unbildung in unserer Region bekämpfen, das kann man dem europäischen Bildungsthema zuordnen. Ein Teil der Probleme in Europa ist die mangelnde politische Bildung. Die Leute müssen Zusammenhänge, Geschichte verstehen, um sich eine Meinung bilden zu können. Die Änderung der Kommunikationsgewohnheiten und Medien begünstigt Populismus, denn der ist leicht in kurze, prägnante Formeln zu fassen. Komplizierte politische Prozesse sind schwer zu formulieren und zu verkaufen. Die Antwort muss sein: Je unvorhersehbarer die Politik ist, desto wichtiger ist die Zivilgesellschaft. Und auch wenn wir gewinnorientiert sind, ist es unsere Aufgabe, Aufgabe der Wirtschaft, Teil davon zu sein. Je größer der Zusammenhalt der Zivilgesellschaft, desto stärker und unabhängiger ist sie von unerwünschten politischen Entwicklungen.

STANDARD: Die Wirtschaft muss vernünftiger sein als die Politik?

Treichl: Ja, die Wirtschaft muss vernünftiger sein und langfristiger denken. Je unvernünftiger die Politik ist, desto mehr Verantwortung liegt in der Wirtschaft. Nehmen Sie Großbritannien: Was da in den vergangenen zwei Jahren passiert ist, ist völlig absurd.

STANDARD: Hat die EU Zukunft?

Treichl: Sicher, Europa als Gesamtgebilde ist nicht so schlecht, man schätzt es nur nicht mehr, weil einem die Bürokraten in Brüssel auf die Nerven gehen. In Wirklichkeit kann man sich nicht groß beschweren. Doch die Politik hat ein Problem: In allen Lebensbereichen gibt es tollen Fortschritt und immer mehr Spezialisten, nur in der Politik ist es anders. Wenn das Staatsgefüge immer komplizierter wird: Wie kann das alles funktionieren? Wie kann das mächtigste Land der Welt von einem mittelmäßigen Immobilienmanager geführt werden? Welche Funktionen haben Politiker noch, wie lange dauert es, bis eine schlechte Führung das System zum Kippen bringt? Wir müssen uns überlegen, ob unsere Demokratie in ihrer jetzigen Form noch funktionieren kann. Ich sinniere nur: Vielleicht sollten Staaten im Wesentlichen von Verwaltungsinstitutionen geführt werden.

STANDARD: Die Politik ist an allem schuld?

Treichl: Nein. Ich finde allgemein, dass wir relativ sorglos mit dem imperfekten, manchmal ärgerlichen, aber im Wesentlichen unfassbar guten Grundzustand umgehen, den wir hier in Europa haben. Wir selbst gefährden Europa.

STANDARD: Sie haben jüngst gesagt, Sie seien für eine Erbschafts- und eine Vermögenssteuer. Warum?

Treichl: Beides wäre kein Problem. Vor allem wären niedrigere Einkommensteuern eine Notwendigkeit für Österreich. Aber ich glaube nicht, dass sich die Regierung drübertraut. Daher kann man alle Pläne, Österreich zu einem digitalen Wunderland für junge Unternehmer zu machen, ad acta legen. Denn dazu müssten wir die richtige Atmosphäre schaffen und auch für Besserverdienende attraktiv werden. Ich würde angesichts der demografischen Entwicklung ein Steuersystem einführen, das ältere Generationen dazu bringt, ihr Geld auszugeben. Die Erbschaftssteuer wäre ein probates Mittel. Das durchschnittliche Erbantrittsalter ist knapp 50 Jahre, der Wert des typischen Einfamilienhauses beträgt 440.000 Euro – eine fünfprozentige Steuer, rund 20.000 Euro, wäre zumutbar. Ich bin für eine Politik, die es Jungen ermöglicht, Vermögen aufzubauen. Für die jetzt Heranwachsenden wird das sehr schwer.

STANDARD: Sie verdienen gut ...

Treichl: Ja?

STANDARD: Wofür spenden Sie?

Treichl: Darüber rede ich nicht.

(Renate Graber, 28.1.2019)