Es gibt wenig Zweifel daran, dass Innenminister Herbert Kickl den Rechtsstaat aushebeln würde, wenn er könnte – und dies bereits versucht. Auch das erklärt, warum seine Aussagen zu Recht und Politik eine solche Welle der Empörung ausgelöst haben. Allerdings machen auch die Kritiker einen Fehler: Die inhaltliche Frage, die die FPÖ aufwirft, nämlich die Beziehung zwischen nationalen Gesetzen und internationalen Konventionen, ist legitim und sollte emotionslos diskutiert werden. Sonst überlässt man in einer Schlüsselfrage der Politik den Verbalrabauken das Feld.

Rechte Parteien in ganz Europa kämpfen heute für eine Renationalisierung des Rechts, damit Entscheidungen im eigenen Land fallen und nicht von außen aufgezwungen werden. Das ist angesichts globaler Herausforderungen oft unsinnig, aber es findet in der Öffentlichkeit breiten Anklang, wie etwa das Brexit-Referendum in Großbritannien gezeigt hat.

Diese Kräfte haben auch Argumente auf ihrer Seite. Denn "das Recht geht vom Volke aus" steht etwa in der österreichischen Bundesverfassung. Und sie reagieren damit auf die gerade in Österreich weitverbreitete Tendenz, Völkerrecht zu einem unantastbaren Kodex hochzustilisieren, und es stehe über dem nationalen Recht. Doch Gesetze dienen einem politischen Zweck und werden deshalb in einem Parlament beschlossen oder abgeändert. Um internationale Konventionen zu novellieren, braucht es hingegen langwierige Verhandlungen. Das ist demokratiepolitisch ihre größte Schwäche.

Völkerrecht als Totschlagargument

In der politischen Auseinandersetzung setzen dennoch auch renommierte Juristen das Völkerrecht gerne als Totschlagargument ein: Sie erklären das, was sie moralisch ablehnen, für rechtswidrig – und die eigenen politischen Institutionen für machtlos. Das war besonders während der Flüchtlingskrise 2015 zu spüren.

Aber so eindeutig ist das Völkerrecht selten. Die Europäische Menschenrechtskonvention ist meist recht allgemein gehalten. Bei Themen wie den Rechten von Angeklagten urteilt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg oft streng, räumt aber sonst betroffenen Staaten viel Spielraum ein. Auch bei der Frage, welche Flüchtlinge ein Land aufnehmen und behalten muss, sind die Regeln weniger klar als oft behauptet. So untersagt die EU-Grundrechtscharta die Abschiebung straffälliger Flüchtlinge, die Kickl erleichtern will, nur in Fällen, in denen ihnen in der Heimat große Gefahr droht.

Dazu kommt, dass die Genfer Flüchtlingskonvention für die Flucht vor dem NS-Terror und nicht für die heutigen Migrationswellen konzipiert worden ist – und daher nicht der beste Maßstab für eine sinnvolle Zuwanderungspolitik ist. Deshalb wäre auch der Ruf der FPÖ nach Diskussion und Neuinterpretation nicht grundsätzlich falsch. In der EU ist das Rechtskorsett viel enger, aber auch dort ist in vielen Sachbereichen die nationale Souveränität immer noch garantiert.

Wohl geht es Kickl und Co nicht um Rechtsdogmatik, sondern um die eigene Macht und den Abbau von unverzichtbaren Grundrechten. Aber diesem Bestreben muss in der Sache entgegnet werden – und nicht, indem man das Völkerrecht auf ein Podest hebt, auf das sonst religiöse Fundamentalisten ihre heiligen Schriften stellen, und dann "Rechtsbruch" schreit. Wer so tut, als ob ein Staat nichts mehr zu entscheiden hätte, spielt bloß jenen in die Hände, die internationale Kooperation überhaupt ablehnen. (Eric Frey, 28.1.2019)