Unsere Sorge um den Boden sei "eh lieb", sagte der Mann an der Kassa – und schmunzelte. Aber wir sollten uns keine Gedanken machen und uns bitte nicht schüchtern in irgendein abgelegenes Eckerl verdrücken. "Ich weiß zwar nicht genau, was Ihr an den Sohlen habt, aber das Eis wird es wohl aushalten. Unsere Eismaschine wiegt sieben Tonnen – und hat auch Spikes: Wir machen uns wegen euch da also nicht allzu viele Sorgen."

Dann kam sein Kollege aus dem Kassakammerl des Wiener Eislaufvereins nach vorne – und öffnete uns das Drehkreuz: "Die Kollegen hinten sind eh instruiert, dass ihr kommt. Viel Spaß."

Foto: thomas rottenberg

Manchmal ist das Leben ganz einfach – wenn man es sich selbst und den anderen nicht künstlich kompliziert macht: Die netten Menschen vom Wiener Eislaufverein haben ja keine Ahnung, was ich von anderen Eislaufplätzen für Antworten bekommen hatte, als ich per Rundschreiben fragte, ob wir Eis-Laufen kommen dürften. Nein, nicht mit Eislaufschuhen – sondern mit Eis-Laufschuhen. Also mit Laufschuhen mit einer Handvoll über die gesamte Sohle verteilten, etwa zwei Millimeter aus der Sohle ragenden Stahl- oder Sonstwas-Stiften: Spikes eben.

Das geht gar nicht, lernte ich: Dass es Schlittschuhläufer irritieren könne, wenn da eine oder zwei Nasen mit Laufschuhen übers Eis schlittern, hätte ich verstanden. Aber: Das sagte niemand. Stattdessen wurde – wenn es überhaupt eine Antwort gab – wortreich erklärt, wie sehr das Eis Schaden nehmen würde. Und dass es daher nur "widmungskonform" genutzt werden dürfe: Ich bin alt genug, ein "Nein, nicht interessiert" zu verkraften – wieso man da lieber herumschwurbelt, muss ich ja nicht verstehen. Trotzdem beruhigte es mich, dass der Mann an der WEV-Kassa die offiziell immer mit "großem Bedauern" vorgebrachten Bedenken anderer Eisreviere wohl auch nicht ganz nachvollziehen konnte.

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Eis-Laufen also. Das Warum erklärt sich von selbst: Winter bedeutet nicht nur kalt, sondern auch nass. Die Kombination ergibt Eis. Oder zumindest Spiegelglätte. Oder Eisgraupeliges. Dann wird Laufen zaach. Mitunter auch gefährlich. Und es sind längst nicht unerfahrene Läuferinnen und Läufer, die dann mehr schlittern und fluchen, als tatsächlich zu laufen.

Nicht weiter verwunderlich: Wenn es draußen glatt und grausig ist, bleiben Nichtfreaks eher daheim. Aber weil es in meinen, also den Wiener Breiten meist eher matschig und gatschig denn wirklich spiegelglatt ist, sind auch die Erfahreneren im stadtnahen Flachland dann meist mit "normalen" Schuhen unterwegs.

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Mit Gründen: Trailschuhe sind nicht für Asphalt gemacht. Sie laufen sich da rasch ab und bieten sogar weniger Halt als Straßenlaufschuhe. Umgekehrt ist ein normaler Laufschuh, wenn man halbwegs laufen kann und kein Problem mit waschelnassen und keine Angst vor kalten Füßen hat, im Flachen sogar bei Schnee und Schneematsch meist keine ganz falsche Wahl.

Mit einer Ausnahme: Wenn es rutschig wird – oder eben eisig.

Beim Gruppenlauf für dieses und das vorige Bild (Mitte Dezember) trabte ich ohne auch nur einmal wegzurutschen über die rumpelig-unangenehme und doch rutschige Eiskruspelschicht. Der Rest der Gang fluchte, schlitterte und war wie auf rohen Eiern unterwegs. Es war Zufall, dass ich den Acceleritas trug: Beschrieben hatte ich den Megaseller des hippen schwedischen Labels Icebug ja schon.

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Aber manchmal reicht dann halt auch guter Grip nicht. Etwa dann, wenn aus eisig doch Eis wird: Am spiegelglatten Kunsteis am Heumarkt biss sich dieser Schwede nämlich die Zähne aus. Oder genauer: Erwies sich als zahnlos – weil da nichts war, wo er hätte ansetzen können.

Nicht dass das sonderlich überraschend war: Eis, richtig bockhartes gefrorenes, ist tricky. Glatt, ohne Riffen, Schraffur, Struktur und kaum Triebschnee ist es dann eine Kategorie für sich – und es waren die Schweden selbst gewesen, die gefragt hatten, ob ich nicht einmal … und so weiter.

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Lustigerweise hatten da zwei schwedische Labels zur exakt gleichen Zeit die gleiche Idee gehabt: Praktisch zeitgleich mit Icebug hatte sich auch Salming gemeldet: Ob ich schon einmal einen richtigen Eis-Laufschuh auf richtigem Eis … wie schon gesagt: und so weiter.

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Die Sache hat allerdings drei Haken: In den Revieren, in denen ich gemeinhin laufe, kann man die wirklich eisig-vereisten Tage an den Zehen eines Fußes abzählen. Das Laufen mit Spikes ist ohne Eis zwar möglich – aber unlustig. Und: Dort, wo es dann doch eisig ist, ist das Mitnehmen und Vergleichen von eiskompatiblen Nagelschuhen schwierig. Vor allem: Auf authentischem Terrain will ich den Vergleich mit Referenzschlapfen – also "normalen" Laufschuhen – lieber nicht machen.

Also landeten Eva und ich beim WEV. Mit drei verschiedenen Eis-Laufschuhen: Salmings iSpike und Icebugs Oribi für mich und für Eva den Pytho von Icebug. Ebenfalls im Gepäck hatten wir etliche Schuhe, die zwar richtig fein, aber schlicht und einfach nicht für Eis konzipiert sind.

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Obwohl man sich da mächtig täuschen kann: Den Tarther Japan aus der streng limitierten "Fast Pack"-Serie von Asics hatte ich nur als Gag mitgenommen. Den Schuh hatte ich Ende 2018 bekommen. Und war mit dem in Österreich gar nicht und in Deutschland nur in ein paar ausgewählten Läden und Onlineshops zu Wahnsinns- und Sammlerpreisen jenseits der die 250 Euro erhältlichen Premium-Racer nicht wirklich zurechtgekommen. Der Tarther ist halt wirklich ein Hochleistungs-Rennschuh. Super auf 400 oder 1.000 Metern – aber er überfordert meine Füße bei allem, was über zwei Kilometer dauert. Dafür ist er wunderschön. Darum stach er, als ich damit im Dusika-Stadion im Dezember meine Runden hoppelte, einem heimischen Spitzenläufer sofort ins Auge: Stefan Listabarth. Der Asics-gesponserte Athlet (und Leiter der Wiener Asics-Jedermensch-Lauftreffs) war echt fassungslos: "Den Schuh kriegen ja nicht einmal wir – wie hast du das geschafft?"

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Hätte Listabarth meine Schuhgröße, hätte ich ihm den Schuh überlassen. So aber stand er eben bei mir daheim herum und landete zufällig in der Eislauf-Tasche. Doch als ich ihn dann am Eis anzog, erlebte nicht nur ich eine Überraschung – auch die Eislaufverein-Mitarbeiter, die uns freundlich, interessiert und sehr aufmerksam begleiteten, staunten: Das schicke Sammlerstück hielt von allen mitgebrachten spikelosen Schuhen (auch den Trailschuhen) mit Abstand am besten.

Wieso? Alle – auch Listabarth – hatten bei dem Federgewicht nur auf das supercoole "Retro-Upper" (Pressesheet) geachtet und die Info zur superweichen Sohle wohl für übliches Marketing-Blabla gehalten und sofort vergessen: "Vor allem im vorderen Bereich der Sohle wurde auf verstärkten Grip geachtet, sodass man mit diesem Laufschuh auch bei Regen sein Potenzial voll ausschöpfen kann", steht da nämlich. Das gilt – beinahe – auch auf Eis.

Freilich: Der Schuh ist so leicht und luftig, dass ihn wohl niemand im Winter im Freien anzieht. Ganz abgesehen davon, dass man ihn eh nicht kriegt.

Foto: thomas rottenberg

Hauptsächlich ging es aber doch um Eis-Laufschuhe. Schuhe mit Spikes also. Und da war es gut, dass sich die WEVler einmischten. Robert und sein Kollege Luig (ja, ohne i, und nach Nachnamen fragten wir einander auch nicht) interessierten sich nicht nur für das, was Eva und ich taten, sondern ließen sich auch nicht zweimal bitten, selbst in die Schuhe zu schlüpfen. Das war gut so.

Denn während Eva und ich uns am Eis zumindest anfangs eher zaghaft und ängstlich bewegten, ist dieser Boden für sie eben gewohntes Terrain: Natürlich rutschen sie. Aber sie wissen genau, wann, wo und wie: Man kann sich sogar auf blankem Eis sicher bewegen – auch ohne Spikes. Mit ist es aber einfacher.

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So wie Robert dann mit den auf der ISPO (der größten Sportmesse Europas) ausgezeichneten iSpikes von Salming andrückte, sieht man nicht viele Hobbyläufer bei Sprints Gas geben – egal auf welchem Untergrund: Besser und authentischer kann man genagelte Laufschuhe in ihrem Element nicht testen lassen.

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Die Eismänner stoppten ihre Sprints mit ebenso viel "Bumms" ab, wie sie sie begannen. Und gaben, was den Grip anging, Icebugs und Salmings gleichermaßen und ex aequo Bestnoten: Man konnte hören, wie die Spikes knirschend ins Eis bissen, wenn die Männer landeten – und nicht einmal ansatzweise unkontrolliert schlitterten. Dass der Schwung beim Abstoppen die Nägel zentimeterlange Fahrer ins Eis graben ließ, war klar – das ist Physik. Aber ohne jahrelange Übung auf dem Eis wären wohl bei jedem anderen Tester die Schuhe gestanden – und die Person drüber weitergeflogen: Auch das ist Physik.

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Die Eismänner waren beeindruckt – hatten aber eine Frage: Im Job tragen sie, wenn sie nicht mit Eishockeyschuhen über den Platz flitzen, feste warme Winterarbeitsstiefel. Logisch: Sie stehen und gehen ja vor allem. Und Eis unter der Sohle verlangt auf Dauer eine fette Isolierschicht. Doch die Stiefel sind – obwohl ausschließlich am Platz getragen – spikelos. Die Frage lag also auf der Hand: Ob es diesen Grip auch bei wirklich warmen, soliden Schuhen gebe – und wer die vertreibe.

Ich konnte nur auf die Icebug-Seite verweisen: Im Herbst, als ich zum Traillaufen in Schweden war, hatte uns Icebug-Gründer David Ekelund die Zielgruppen aufgeschlüsselt: neben Trail- und Winterläufern ältere und auf glatten Böden unsichere Personen. Und – wenn auch als Minderheit – Menschen, die sich beim Arbeiten auf den Grip der Schuhe verlassen können müssen: "Safe Grip, free mind" ist nicht zufällig das Motto der Marke. Salming ist als Schuhhersteller ausschließlich im Sportbereich aktiv.

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Bei den kurzen Läufen konnten wir Grip und Halt gut testen. Aber um echte Unterschiede zwischen iSpike und Oribi auszumachen, war das natürlich zu wenig. Obwohl wir brav durchwechselten. Evas Pytho war uns allen, no na, zu klein. Aber dass sie "funktionierten", war offensichtlich: Auch Eva legte nach wenigen Schritten die Scheu vor dem Aus- oder Wegrutschen ab.

Freilich: Um so locker und frei auf Eis zu rennen wie Robert und Luig, müssten wir wohl etliche Stunden am Eislaufplatz im Kreis rennen – und auch wenn am Samstagvormittag bei eher bescheidenem Wetter am Heumarkt nicht wirklich viel los war, wollten wir die "echten" Eisläufer nicht noch mehr stören, als wir es ohnehin taten.

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Tags darauf liefen wir die Nagelschuhe dann aber noch kurz auf Terrain, das wir kennen: Auf der Bahn des LAZ-Wien im Prater und dann auch auf der asphaltierten Hauptallee. Hier passte auch unser Sensorium, um die Laufperformance mit der "klassischer" Laufschuhe zu vergleichen: Der iSpike hat eine Spur mehr Dämpfung als der Oribi. Beide laufen sich präzise und direkt. Der Pytho dürfte, was den Komfort angeht, in etwa dazwischen liegen. Passform und Tragekomfort fand ich ziemlich ähnlich und angenehm – aber das sind absolut subjektive Werte.

Auf der weichen – für Wettkampfspikes ausgelegten – Bahn hat man, wenig überraschend, mit allen Schuhen mehr Vortrieb als mit Normalschuhen, muss aber auch exakter und präziser laufen: So wie bei Bahnschuhen auch, "klebt" der Fuß hier, sobald er Bodenkontakt hat.

Auf weichem, erdigem oder schlammigem Boden, auf Böschungen und im Rindenmulch laufen sich die Spikes dann ähnlich wie Trailschuhe mit aggressiven, direkten Sohlen – greifen aber natürlich noch einen Tick besser.

Ob das ein Vor- oder Nachteil ist, hängt auch davon ab, was man erwartet und wie man läuft: Ich bin manchmal froh, wenn ein Schuh mich nicht beim ersten Bodenkontakt untrennbar mit dem Boden verschweißt – will aber natürlich auch nicht Schlitten fahren.

Das Design macht den iSpike zum auffällig-fröhlichsten der Runde – während der Oribi an grausig-nassen Graupeltagen auch als Stadt-Sneaker durchgeht (solange man niemandem den Parkettboden zerstört).

Foto: thomas rottenberg

Auf Asphalt und der Straße, sagen die Hersteller, "funktionieren" die Schuhe angeblich auch. Jo eh: Ganz falsch ist das natürlich nicht. Aber allein das steppschuh-artige Klackern und Klappern irritiert mich – und wirklich sicher fühlte ich mich auf Steinplatten und Asphalt nicht. No na. Marmorplatten wie die im Burggarten hinter der Nationalbibliothek sind mit Spikes vermutlich sogar unlaufbar.

Wo ich die Nägel allerdings nicht missen will, ist auch klar: Dort, wo sie hingehören. Also auf knackigen winterlich-eisigen Trails – oder Ende März beim Frozen Lake Marathon in Norwegen.

Ob – und wenn ja, über welche Distanz – ich dort wirklich starten kann, wird mir mein Knie noch früh genug verraten. Aber: Das ist eine andere Geschichte. (Thomas Rottenberg, 30.1.2019)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Alle erwähnten Schuhe wurden von den Herstellern für Testzwecke zur Verfügung gestellt. Wir danken dem Wiener Eislaufverein für das "Testgelände" und den Support durch seine Mitarbeiter.

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