Etwa so stellen sich die Physiker die neue Materieform vor, die aus einem Helium-3-Isotop mit zwei Protonen (blau) und einem Neutron (grün) entstanden ist. Das beschleunigte Anti-Kaon (rot) ersetzt das Neutron und sorgt damit für eine enorme Bindungsenergie im so entstandenen Kerncluster.

Illustr.: ÖAW/Harald Ritsch

Die wegweisenden Experimente fanden am J-Parc-Teilchenbeschleuniger (Japan Proton Accelerator Research Complex) statt, wo Protonen auf 30 Gigaelektronenvolt beschleunigt werden.

Foto: RIKEN/J-PARC/ÖAW

Der Kosmos ist für Wissenschafter immer noch wie eine gewaltige unentdeckte Höhle, in der man sich gerade einmal im Zwielicht des Eingangs umsehen konnte: Nur 17 Prozent der Gesamtmasse im beobachtbaren Universum lässt sich als herkömmliche Materie identifizieren, so zumindest will es das aktuellen Standardmodell der Kosmologie. Physiker sprechen in diesem Zusammenhang häufig von "baryonischer Materie", also jene Substanz, die aus Atomen aufgebaut ist. Der überwiegende Rest von 83 Prozent gilt als unentdecktes Land, als Dunkle Materie.

Um Licht in diese finsteren Gefilde zu bringen, begeben sich nicht nur Astronomen auf die Suche: Auf der Spur der ultimativen kosmischen Bausteinen zerlegen Teilchenphysiker mit ihren riesigen Instrumenten die Materie in immer kleinere Partikel. Jedes neue entdeckte Mitglied im mittlerweile gewaltigen Teilchenzoo ist zugleich ein weiteres Mosaiksteinchen zum kosmischen Gesamtbild – und es gewährt unschätzbare Einblicke in den Ablauf des Urknalls vor rund 13,8 Milliarden Jahren.

Ein solches Puzzleteil haben nun internationale Physiker am japanischen J-Parc-Teilchenbeschleuniger bei Tokio geliefert: Dem Team, dem auch heimische Wissenschafter um Johann Zmeskal vom Stefan-Meyer-Institut für subatomare Physik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften angehörten, ist es gelungen, eine neue Form von Materie mit einem äußerst dichten Kern herzustellen, indem sie in einem Helium-3-Isotop ein Neutron durch eine völlig andere, exotische Teilchensorte, ein sogenanntes Anti-Kaon ersetzten.

Überraschend stabiler Kern

Im Unterschied zu den schweren Baryonen – subatomare Teilchen wie Neutronen und Protonen, die aus drei Quarks bestehen – setzen sich Kaonen nur aus zwei Quarks, einem einem Quark-Antiquark-Paar, zusammen. Derartige Partikel können in geringer Zahl auch in der kosmischen Strahlung vorkommen, normalerweise findet man sie jedoch nur in Teilchenbeschleunigern. Dass Kaonen im Atomkern etwas bewirken könnten, vermutet man bereits seit Jahrzehnten. Entsprechende Experimente ergaben allerdings recht divergente Resultate. Das dürfte sich nun geändert haben: Wie die Physiker im Fachjournal "Physics Letters B" berichten, konnten sie erstmals "mehr oder weniger zweifelsfrei" nachweisen, dass ein Anti-Kaon mit zwei Protonen eine überraschend stabile Einheit bildet.

Im Rahmen ihrer Experimente beschossen die Wissenschafter Helium-3-Isotope mit hochenergetischen Anti-Kaonen. Bei diesem Bombardement trifft in seltenen Fällen ein Kaon das Neutron genau so, dass es herausgeschlagen werden kann. Eigentlich sollten die beiden somit nicht mehr aneinander gebundenen Protonen auseinander fliegen, doch manchmal wurde dies von dem Anti-Kaon verhindert. Indem es den Platz des Neutrons einnahm, hielt es die übrigen Protonen zusammen und "generierte einen gebundenen Zustand", so Zmeskal.

Neuartiger Kerncluster

Auf diese Weise entstand ein völlig neuer Kerncluster, der nicht nur über eine enorme Bindungsenergie verfügte, sondern auch weitaus stabiler war als von den Physikern erwartet. "Das Besondere an diesem Nachweis ist, dass ein Anti-Kaon tatsächlich im Kern als eigenständiger Baustein existieren kann. Dadurch können wir Kernmaterie mit hoher Dichte erzeugen", sagt Zmeskal, dessen Gruppe vor allem Simulationen und Datenanalysen beigesteuert hat.

Die Wissenschafter hoffen, dass das Verständnis dieser neuartigen Materieform unter anderem Antworten auf die grundlegenden kosmologischen Fragen liefert: Wie die Masse des beobachtbaren Universums zustandekommt und wie sich die Materie während des Urknalls überhaupt gebildet hat. Darüber hinaus helfen die neuen Erkenntnisse auch näher liegende astrophysikalische Phänomene zu klären, etwa woraus die extrem dichten Neutronensterne tatsächlich aufgebaut sind. (tberg, red, 29.1.2019)