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John Bercow ist ein Exzentriker, so viel steht fest.

Foto: AP Photo/Alastair Grant, File

Spielte sich das Schmierenstück Brexit anstatt im altehrwürdigen House of Commons auf den Brettern einer Londoner Theaterbühne ab, John Bercow, seines Zeichens Sprecher des Unterhauses, wäre auf die Rolle des exzentrischen Kauzes abonniert. Und, mangels Alternativen, auf jene des Publikumslieblings.

Der studierte Politologe, von Berufs wegen bei seinen Auftritten stets in schwarze Robe gewandet, hat sich dank seiner Mahnungen ("order!") an die "right honourable friends" in den Rängen des Parlaments in die internationalen Schlagzeilen gebrüllt. Während Minister und Hinterbänkler in diesen düsteren Tagen nämlich kommen und gehen, Brexiteers und Remainers einander spinnefeind sind und ein Riss das weite Land zwischen Dover und Belfast spaltet, verkörpert Bercow mit Verve den Geist des Parlamentarismus. Als Speaker ist er zur Unparteilichkeit verpflichtet.

Brüllen auch abseits der Kameras

Dabei wohnt dem Vater dreier Kinder Berichten zufolge keineswegs jener Sanftmut inne, den er den Abgeordneten vor laufenden Kameras gerne abverlangt. Anschuldigungen, hinter dem beliebten Bercow verberge sich ein "Bully", der seine Mitarbeiter deftig anbrüllt, sind Legion. Es gebe eben Leute, denen seine Modernisierung des House of Commons gegen den Strich geht, wies Bercow die Vorwürfe im vergangenen Jahr lakonisch zurück. Er weiß, wie man harte Bälle retourniert: Schließlich ist er aus gebildeter Tennislehrer und wollte in seiner Jugend Tennisprofi werden.

1997 als konservativer Abgeordneter ins Unterhaus gewählt, oszillierte der Nordlondoner früh zwischen den politischen Lagern. So wurde der Sohn eines Taxifahrers 2009 mit den Stimmen der Labour-Partei zum Speaker gekürt – und 2010 und 2017 wiedergewählt. Vor zwei Jahren ließ er erstmals auch jenseits des Ärmelkanals aufhorchen, weil er Donald Trump Redezeit im Haus an der Themse verwehrte.

2016 stimmte er, einmal mehr zum Unverständnis vieler Tories, gegen den Brexit. Dass seine Ehefrau Sally, Labour-Mitglied und 2011 Protagonistin in der TV-Sendung Big Brother, einen Anti-Brexit-Aufkleber auf der Stoßstange ihres Autos zur Schau stellt, machte ihm einer dieser Parteifreunde im Vorjahr schließlich zum Vorwurf. "Ich bin mir sicher", entgegnete Bercow, "dass der ehrenhafte Gentleman nicht andeuten wollte, eine Frau sei das Eigentum ihres Mannes." Spiel, Satz und Sieg: Bercow. (Florian Niederndorfer, 29.1.2019)