Der Wunsch nach mehr Lohn geht in der Pharmaindustrie für viele Frauen auf. Ganz anders sieht es in anderen Industriebranchen für sie aus.

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Ein Siebenstundentag, das wär schön. Damit ein wenig mehr Zeit bleibt und man nicht schon todmüde von der Arbeit kommt, bevor es mit dem Haushalt losgeht. Diesen Wunsch äußerte eine 29-jährige Buchbinderin Anfang der 1930er, deren Stimme die Sozialwissenschafterin Käthe Leichter in ihrer Studie mit dem Titel "So leben wir ..." aus dem Jahr 1932 Gehör verschaffte. Leichter fragte für diese Studie Wiener Industriearbeiterinnen nach ihrem beruflichen und familiären Leben, nach ihrer Gesundheit und wie sie ihre Rolle als Arbeiterin und Familienerhalterin zusammenbringen.

Die Soziologinnen Claudia Sorger und Nadja Bergmann griffen die Forschungsfragen von Käthe Leichter 86 Jahre später wieder auf, und es zeigte sich: Die Befunde von damals sind heute noch aktuell, und einige Probleme von damals bestehen für viele Arbeiterinnen noch immer. Ebenso gibt es auch nach wie vor wenig Forschung über Industriearbeiterinnen.

Deutlich weniger Arbeiterinnen

"Käthe Leichter sprach damals schon von einer Forschungslücke – und die gibt es auch heute noch", sagt Claudia Sorger über die Gründe der Wiederholung der damals bahnbrechenden Studie. Es gebe inzwischen zwar viele Untersuchungen im Bereich der männlich dominierten Industriearbeit, doch Forschungen über die sogenannten Frauenbranchen sind bis heute unterrepräsentiert.

Die Zahl der Industriearbeiterinnen und -arbeiter hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark reduziert. 1932 gab es in Wien noch 174.778 Industriearbeiterinnen und -arbeiter, 53.511 davon waren Frauen. Inzwischen ist der Frauenanteil in der Industriearbeit von 31 Prozent auf 26 Prozent gesunken, insgesamt gibt es in Wien heute 5480 Industriearbeiterinnen. Trotzdem sei es wichtig, diese Beschäftigungsgruppe in den Mittelpunkt zu rücken, sind die Forscherinnen überzeugt. So gibt die Studie "So leben wir heute ..." von 2018, die von der Stadt Wien und der Arbeiterkammer initiiert wurde, deutliche Hinweise auf bestehende Unvereinbarkeiten von Lohnarbeit und reproduktiven Tätigkeiten wie Hausarbeit und Kinderbetreuung.

Schwere, schlecht bezahlte Arbeit

Die gewerkschaftliche Organisation in von Frauen dominierten Industriebereichen, die Probleme von Arbeiterinnen stärker in den Mittelpunkt rücken könnte, hat sich nicht maßgeblich verbessert. Auch das deutlich niedrigere Lohnniveau für Industriebranchen mit einem hohen Frauenanteil besteht noch immer: So erhält eine Arbeiterin in Vollzeit in der Bekleidungsindustrie ein Bruttojahreseinkommen von 20.821 Euro, während ein Arbeiter im Fahrzeugbau 44.405 Euro bekommt.

Trotzdem ist das Einkommen im Industriebereich für Frauen ein wesentlicher Grund, weswegen sie von einer gelernten Tätigkeit als Friseurin oder Verkäuferin in eine ungelernte wechseln, so Nadja Bergmann über die Berichte der Frauen. Um jedoch auf ein besseres Gehalt zu kommen, müssten die Frauen in eine Männerbranche wechseln, also in die Metall-, Elektro- oder Pharmaindustrie statt in die Nahrungsmittel- oder Textilindustrie.

Mit der Schwere der Arbeit kann die große Lohnkluft jedenfalls nicht erklärt werden. In der Nahrungsmittelindustrie zum Beispiel steht sehr harte körperliche Arbeit an. "Die Frauen müssen schwere gefrorene Gebinde herumschleppen, ihre Arbeitsbereiche wechseln zwischen großer Hitze und Kälte – es geht vom heißen Backofen in die Kältestube und wieder retour", schildert Bergmann die Arbeitsbedingungen.

"Heute" statt Vereinsstrukturen

Hier fehlen allerdings die Zulagen, die in anderen Bereichen aufgrund der Schwere der Arbeit bezahlt werden. Sorger: "In der Lebensmittelbranche als klassischer Frauenbranche gibt es ein sehr belastendes Arbeitsumfeld. Daran sieht man, dass nicht nur objektivierbare Gründe zu niedrigeren Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen führen, sondern dass das oft historisch gewachsene Ursachen hat."

Die Befragung der Arbeiterinnen zeigte auch, dass sie im Gegensatz zu früher praktisch gar nicht mehr in Vereinen organisiert sind. Auch das in den 1930er-Jahren noch sehr wichtige Thema der Arbeiterbildung hat heute kaum noch Relevanz. Als gemeinsame Lektüre können die Arbeiterinnen lediglich auf Zeitungen wie "Heute" und "Österreich" zurückgreifen, die – wenn überhaupt – in den Betrieben am ehesten aufliegen.

Neben dem hohen Arbeitsdruck ("Die Schrauben werden ständig angezogen") ist die knappe Freizeit das größte Problem für die Arbeiterinnen. In der Industriearbeit werden oft nur Vollzeitstellen angeboten, nicht selten kommen noch lange Pendelzeiten dazu. Trotzdem geht die Arbeit nach der Arbeit meistens noch weiter. "Für die Frauen ist zu Hause nur Schichtwechsel!", schrieb Käthe Leichter schon 1932. Und das gilt bis heute.

Bis heute gilt: Keine Zeit

Keine einzige der Arbeiterinnen gab in der aktuellen Studie an, genug Zeit für sich selbst zu haben. Dennoch war auch der Wunsch nach mehr Zeit für Kinder und Familie bei Frauen groß, die versuchen, Haushaltsarbeit und die Kinderbetreuung mit ihrer Schichtarbeit und Vollzeitarbeit abzustimmen.

Sorger und Bergmann beobachteten anhand der erhobenen Daten und Gespräche mit den Frauen, dass noch immer sie – ungeachtet ihrer Vollzeitjobs – vorwiegend für die Familienarbeit zuständig sind. "Ja ... also er kann auch staubsaugen", tut es aber "eher weniger", wie es eine Arbeiterin ausdrückt. (Beate Hausbichler, 30.1.2019)