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Theresa May demonstrierte in ihrer Rede atemberaubende Wendigkeit.

Foto: Jessica Taylor/UK Parliament via AP

Die Nachrichtenagenturen hatten die Meldung längst verbreitet, als Theresa May am Dienstagnachmittag ihre neue Brexit-Politik verkündete: 59 Tage vor dem geplanten Austrittstermin wolle die konservative Premierministerin den mit Brüssel vereinbarten Vertrag neu verhandeln. Das Unterhaus solle ihr nun ein klares Mandat geben. "Dieses hohe Haus muss mit einer Stimme sprechen und soll mir nicht die Hände binden." Die Abgeordneten entsprachen der Bitte der Premierministerin nur eingeschränkt: Zwar stimmten sie mit knapper Mehrheit (317 zu 301) für einen Antrag des konservativen Hinterbänklers Graham Brady, signalisierten aber zuvor mit 318 zu 310 Stimmen, dass sie auf keinen Fall ohne Abkommen aus der EU ausscheiden wollen.

Die Regierungschefin interpretierte die Abstimmung über den Brady-Antrag als "beträchtliche und tragfähige Mehrheit" für ihr Vorhaben neuer Verhandlungen. Und das, obwohl sie selbst konstatierte, dass es dafür in der EU "nur begrenzten Appetit" gebe. Es war die Untertreibung des Jahres. May spielte damit auf ein mittägliches Telefonat mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz bezeichnete in einem am Dienstag ausgestrahlten ORF-Interview Neuverhandlungen als "sehr schwierig und unrealistisch". EU-Ratspräsident Donald Tusk lehnt Nachverhandlungen ebenfalls ab.

Oppositionsführer Jeremy Corbyn signalisierte – anders als vor vierzehn Tagen –, er werde Mays Einladung zu Gesprächen folgen. Diese hatte zuvor eine Debatte eingeleitet, die am Abend in insgesamt sieben Abstimmungen über neue Wege aus der Brexit-Krise mündete. Dabei verwarfen die Konservativen sowie die Unionistenpartei DUP, von deren Unterstützung Mays Minderheitsregierung abhängt, sämtliche Versuche der Opposition, dem Parlament größere Rechte einzuräumen. Die Abstimmung, die den No-Deal-Brexit ausschließen sollte, ist rechtlich nicht bindend.

Kampf um die Parteifreunde

Der Brady-Antrag signalisiert Zustimmung zum längst ausgehandelten Austrittsvertrag unter der Voraussetzung, dass "alternative Methoden" zur sogenannten Auffanglösung für Nordirland gefunden werden. Diese dient der Offenhaltung der inneririschen Grenze für den Fall, dass sich das Königreich und die EU bis zum Ende der geplanten Übergangsfrist – wohl Ende 2022 – noch auf keinen Freihandelsvertrag geeinigt haben. In diesem Fall würde das gesamte Land in der EU-Zollunion verbleiben.

Zwar hatte die nordirische Zivilgesellschaft den Deal begrüßt, er läuft aber den Wünschen der Brexit-Ultras bei den Tories und der DUP zuwider. May hat deshalb nach der Ablehnung des Vertrags vor vierzehn Tagen viel Zeit und Energie darauf verwendet, die Gruppierungen in ihrer eigenen Partei zufriedenzustellen.

Zweites Referendum abgelehnt

Einflussreiche Labour-Abgeordnete wie die Ausschussvorsitzenden Rachel Reeves und Yvette Cooper hatten in überparteilichen Gesprächen Möglichkeiten ausgelotet, wie das Unterhaus die Brexit-Initiative an sich reißen könnte. Als aussichtsreicher Antrag stand am Dienstagabend eine Idee von Cooper und dem Tory-Hinterbänkler Nicholas Boles zur Abstimmung: Er sollte die Möglichkeit eines Chaos-Brexit ohne Deal ein für alle Mal ausschließen. Erreicht werden sollte dies durch einen Mitte Februar fälligen Gesetzentwurf, der die Regierung dazu zwingt, den vorgesehenen Austrittstermin (Mitternacht des 29. März) aufs Jahresende zu verlegen. Damit wäre der Weg frei für weitere Verhandlungen, Neuwahlen oder ein zweites Referendum. Der Antrag wurde abgelehnt.

Mays Rede demonstrierte die atemberaubende Wendigkeit, mit der sich die Politikerin zugunsten des Wohls ihrer Partei von zuvor noch als unverrückbar dargestellten Positionen verabschiedet. Aufgepeitscht vom Zustimmungsgeschrei ihrer Fraktion, erwies sich die Regierungschefin als gewandte Debattenrednerin, ließ immer neue Zwischenfragen zu und Kritisches von sich abperlen.

Hingegen machte Jeremy Corbyn in seiner Erwiderung deutlich, warum er vor seiner Wahl zum Labour-Chef über 30 Jahre Hinterbänkler gewesen war. Stur ratterte der Oppositionsführer seine Rede herunter, machte sich nicht einmal freundliche Zwischenfragen zunutze und reagierte hilflos auf eine Unterbrechung durch die Premierministerin. Corbyn habe "keine Ahnung", höhnte May – die steinernen Mienen auf den Labour-Bänken verrieten, dass viele seiner Fraktionskollegen die Einschätzung der politischen Gegnerin teilten. Corbyns Antrag, einen Verbleib in der Zollunion mit der EU anzustreben, wurde abgelehnt. (Sebastian Borger aus London, 29.1.2019)