Auf eine Million Einwohner kommen in Österreich rund neun Masernfälle. Lücken in der Durchimpfungsrate sind vor allem für Babys gefährlich

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Graz – Es war unbedacht: Ein Bub, nicht wissend, dass er das Virus in sich trägt, steckte in der Ambulanz der Kinderklinik der Universitätsklinik Graz weitere Kinder mit Masernviren an. Mittlerweile sind 14 Kinder in der Steiermark an Masern erkrankt. Die Zahl wird sich laut Auskunft der Landessanitätsdirektion in den nächsten Tagen und Wochen erhöhen.

Angst vor Masern in Österreich.
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Es war kein Einzelfall, immer wieder geraten Kinder in Ambulanzen und Wartezimmern in Kontakt mit ansteckenden Kindern. Zuletzt ereignete sich ein deckungsgleicher Fall 2017 in der Grazer Kinderklinik. Und wie damals breitete sich die hochansteckende Krankheit rasch aus – auch in die Bezirke, da eines der Kinder aus der Grazer Ambulanz bei einem Arztbesuch im Heimatort wiederum in Kontakt mit anderen Kindern kam.

Ungeimpfte Kinder bekommen schulfrei

Fazit: Neben den 14 Kindern, die erkrankt sind, wurden präventiv auch 28 Babys zur Therapie mit Immunglobulinen stationär in der Kinderklinik aufgenommen – mittlerweile wurden 27 von ihnen wieder in häusliche Obhut gegeben. Die Bezirkshauptmannschaft Weiz in der Oststeiermark hat unterdessen nach einem Masernfall 26 ungeimpften Kindern der Volksschule Anger bis zum Ende der möglichen Inkubationszeit den Schulbesuch behördlich verboten. Sie bekamen schulfrei, da auch sie in Kontakt mit einem "Masernkind" gekommen waren.

Die neuerliche Ansteckungskette zeige wieder, "was ein einzelner Fall auslösen kann", sagt Marianne Wassermann-Neuhold von der steirischen Landessanitätsdirektion. Weitere Krankheitsfälle seien zu erwarten, ergänzt Infektionsspezialistin Andrea Grisold von der Med-Uni Graz. Sie ist auch Vorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin.

Ist es Alarmismus?

Nach dem neuerlicher Auftauchen von Masernerkrankungen herrscht unter Gesundheitsexperten und -politikern jedenfalls helle Aufregung, Krisensitzungen werden einberufen. Fragen werden gestellt, wie das nur wieder passieren konnte und warum Sicherheitsvorkehrungen nicht funktionieren. Hat sich an der Qualität der Masernviren etwas geändert, was nun vermehrt Anlass zur Sorge vor einer Ansteckung gibt? Gibt es doch kaum einen Erwachsenen, der in der Kindheit nicht Masern überstand.

Die Medizinerin Grisold, die auch am Zentrum für Molekulare Biomedizin der Grazer Med-Uni forscht, sagt im STANDARD-Gespräch: "Es sind nach wie vor dieselben Viren, und sie sind genauso gefährlich wie früher. Man übersieht vielleicht, dass es auch früher immer wieder zu gefährlichen Komplikationen wie Lungen- oder Gehirnentzündungen gekommen ist." Aber dieses Erinnerung an frühere Zeiten, in denen Eltern, wenn ein Kind an Masern erkrankte, die anderen gleich ins selbe Bett gesteckt hätten, um die Kinderkrankheit "in einem Aufwaschen" hinter sich zu bringen, sei wahrscheinlich ein Grund für eine Verharmlosung und die geringe Durchimpfungsrate.

"Wir kommen bei der Impfung einfach nicht durch, selbst wenn die Impfung gratis ist. Es ist schwer zu überzeugen, dass Impfen notwendig ist", sagt Grisold. Viele betroffene Kinder seien jünger als ein Jahr. Bei diesen kleinen Patienten sei das Risiko von Spätfolgen der Masern besonders hoch: Die verspätete Gehirnentzündung (SSPE) trete erst Jahre nach der Maserninfektion auf und könne zu schweren Gehirnschäden führen – in Einzelfällen auch zum Tod. Aber in erster Linie gehe es darum, "diese Schwächsten der Schwachen, die Babys", zu schützen. "An die müssen wir denken", sagt Grisold, weshalb sie auch für eine strenge Regelung bei den Impfungen eintrete. Sie verlangt, dass auch die Masernimpfung in den Mutter-Kind-Pass aufgenommen wird.

Volksanwaltschaft will Impfpflicht gegen Masern

Das fordert auch die Volksanwaltschaft. Volksanwalt Günther Kräuter urgiert seit längerem, die Masern-Impfpflicht in den Mutter-Kind-Pass aufzunehmen. Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) lehnt das aber rigoros ab. "Mit einer völlig hanebüchenen Argumentation", sagt Kräuter. Hartinger-Klein ließ die Volksanwaltschaft kürzlich schriftlich wissen: "Eine Koppelung von Impfungen wie der Masernimpfungen an den Mutter-Kind-Pass hätte zur Folge, dass Personen, die es sich leisten können, frei zu wählen, ob sie entsprechende Impfungen erhalten möchten oder nicht, von den Intentionen einer solchen Regelung schlicht nicht erfasst würden. Im Gegensatz dazu wären Personen, welche auf derartige Sozialleistungen angewiesen sind, zu den Impfungen mehr oder weniger verpflichtet."

Mutter-Kind-Pass wäre obsolet

"Was nichts anderes heißt", sagt Kräuter, "als dass man nach dieser Argumentation den gesamten Mutter-Kind-Pass streichen kann. Das würde dann alle Basisuntersuchungen treffen. Das Argument, dass Wohlhabende profitieren könnten, weil sie sich eine Kürzung der Kinderbetreuungsgelder leisten können, wenn sie ihre Kinder nicht impfen lassen, geht völlig daneben."

Hartinger-Klein unterstrich am Mittwoch, dass sie eine Impfpflicht ablehne und mehr auf "Selbstbestimmung" setze. "Wie aber", wendet Kräuter ein, "können Babys selbst bestimmen, ob sie geimpft werden wollen oder nicht?" (Walter Müller, 30.1.2019)