Ein Strohfeuer war "Uni brennt" 2009. An den Unis herrscht heute Ruhe.

Foto: Matthias Cremer

Universitäten sind gut beraten, bei der Wahl ihrer Führung, also vor allem der Rektoren und Rektorinnen, mit absoluter Sorgfalt vorzugehen. Christian Fleck von der Uni Graz hat an dieser Stelle (siehe Warum ich nicht Rektor in Graz werde) darauf hingewiesen, wie die dazu beauftragten Leitungskräfte aus Uni-Rat und Senat hohe Wachsamkeit haben walten lassen, dass nicht ein Keim von Unruhe sich an die Spitze der höchsten Schulen verirre. Deshalb dürfen natürlich Bewerber mit kritischen, visionären Vorschlägen zur zukünftigen Uni-Gestaltung, die im Widerspruch zum heutigen Universitätsgetriebe stehen, tunlichst nicht weit kommen – am besten nicht einmal bis zu den Bewerbungsvorträgen, weil dort diese kritischen Töne eine gewisse Öffentlichkeit erlangten.

Nur ja keine Unruhe

Andernorts, etwa an meinem Ex-Dienstort Innsbruck, kommt es wohl gleich gar nicht zu Bewerbungsvorträgen, weil der amtierende Rektor trotz seiner 75 Lenze und nach drei Amtsperioden schon zum zweiten Mal eine Bestellung ohne Ausschreibung anstrebt. Dazu muss er danach trachten, es möglichst allen (Mächtigen) an der Uni recht zu machen, um somit eine satte Mehrheit in Senat und Uni-Rat zu erreichen. Zudem ist der Marathon-Rektor sozusagen allseits bekannt, und man braucht sich deshalb nicht vor eventuellen Unberechenbarkeiten zu fürchten. Auch kann er immer wieder zeigen, dass "seine" Uni in von ihm recht kritiklos verherrlichten Rankings relativ gut liegt (wohl auch dank der global anerkannten Physiker); und das schlägt innovative und noch dazu kritische Vorhaben eines Konkurrenten allemal um Längen.

Und sogar den Studierenden, die ja auch im Senat sitzen, dient man sich an, indem sämtliche und mancherorts sinnvolle neue Zugangsbeschränkungen nun für die Tiroler Uni ausgeschlossen werden – während sich etwa Vorgänger Karlheinz Töchterle damals noch über die roten Beharrungstendenzen für einen angeblich offenen Hochschulzugang geärgert hatte. Tempora mutantur.

Die "verbetriebswirtschaftlichte" Universität

Allgemein meine ich, manche Rektoren und Rektorinnen müssten es durchaus begrüßen, dass – mit Ausnahme des "Uni brennt"-Strohfeuers – weiterhin Ruhe herrscht. Universitäten als Ort kritischer Intelligenz, lautstarker Proteste gegen bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen – von denen wir zuhauf hätten –, als Ort der Visionen, kühner Spekulationen und innovativer, nicht nur naturwissenschaftlicher, sondern auch sozialer Projekte lassen sich auch nicht so leicht in die aus der Betriebswirtschaft entlehnten Leistungsvereinbarungen pressen – also in jene Knebelungsverträge mit dem Ministerium, die uns das Universitätsgesetz 2002 beschert hat und ohne deren brave Befolgung keine "Kohle" fließt.

Insofern brauchen wir natürlich Rektoren und Rektorinnen, die sich weitgehend affirmativ zur "verbetriebswirtschaftlichten" Universität verhalten. Diese erscheint durch eine immer ungehemmtere neoliberale Ökonomisierung gekennzeichnet, ihre Mitglieder stehen unter hohem Arbeitsdruck, rastloser Betriebsamkeit, unter dem Druck von Effizienz im Sinne immer größeren Outputs, wofür aufwendige Evaluations- und Controlling-Maßnahmen gesetzt werden.

Das hat auch zur Folge, dass weder Studierende noch die meisten Lehrenden Zeit und Sinn für eine kritische Weltsicht abseits begrenzter Fachthemen haben. Die Studierenden sind zusätzlich wohl auch deshalb schon verstummt, weil ein Gutteil der Lehrenden ebenso entpolitisiert und angepasst vor sich hin werkelt (und vielleicht noch über die lahmen Studierenden jammert). Kein Wunder also, dass – wie Fleck feststellt – unter Studierenden politische Inaktivität und Gesellschaftspessimismus vorherrschen.

Schleichende Anpassung

Ist es nicht auch bemerkenswert, wie sich Anpassung und Widerstandslosigkeit im Uni-Personal entwickelt haben? Universitätsinterne Kritik etwa ist von der wachsenden Zahl befristet Angestellter oder jenen mit "Laufbahnverträgen" kaum zu erwarten – Mundhalten als Karriereförderung? Die (ohnehin stets eine Minderheit bildenden) kritischen, "linken" Intellektuellen sind mittlerweile in gute oder gar Führungspositionen aufgestiegen, und siehe da: Auf einmal gibt es kaum mehr Kritik an der Uni-Führung – man will ja seine Bittgänge um Ressourcen nicht konterkarieren -, und die Seilschaften von oft überlang an ihren Ämtern hängenden Monokraten "befrieden" das Szenario. Auch am zuständigen Ministerium findet, wegen der Knebelungsmöglichkeiten, kaum mehr jemand Kritisierenswertes – höchstens interner Zank und Neid beleben noch das universitäre Konfliktgeschehen. Kritiker und Kritikerinnen sind jedenfalls unerwünscht und bekommen das mehr denn je zu spüren – nicht nur von Rektoraten, auch von jenen aufgestiegenen Kollegen und Kolleginnen, die vor 20 oder 30 Jahren noch ihre Fäuste schwangen und einander "Genossen und Genossinnen" genannt hatten.

Wenn ich mich erinnere, wie einst das uns durch Schüssel-Gehrer bescherte Universitätsgesetz 2002 von vielen Kollegen und Kolleginnen beargwöhnt und bekämpft wurde – vor allem wegen der darin festgeschriebenen Entdemokratisierung, der Ökonomisierung von Bildung und der Schaffung monokratischer Entscheidungsstrukturen – und wie es heute von vielen Uni-Führungsorganen kritiklos bejubelt wird, dann frage ich mich, wie man innerhalb weniger Jahre so vergesslich sein kann.

Fleck ist also zuzustimmen: Alles, was auf eine kritische Kursänderung hinweist – weg von den eingepeitschten neoliberalen Normen, weg von den alle Ebenen durchziehenden betriebswirtschaftlichen Lenkungsinstrumenten, weg von der Illusion der Messbarkeit und wirtschaftlichen Verwertbarkeit allen wissenschaftlichen Tuns, weg von der Unterwerfung unter ministerielle Instanzen –, beeinträchtigt die Chancen auf höhere Uni-Weihen nachhaltig. Was das für die akademische Weiter- oder Rückentwicklung bedeutet, darf übrigens zu Recht pessimistisch stimmen. (Josef Christian Aigner, 30.1.2019)