Ein konkreter Ausweg aus der Pattsituation beim Brexit zeichnet sich derzeit nicht ab.

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Nach ersten Erklärungen von EU-Ratspräsident Donald Tusk zur Forderung des Unterhauses in London auf Nachverhandlung des Brexit-Deals konnte man Mittwoch den Eindruck gewinnen, dass die EU-Partner die Regierung von Theresa May glatt auflaufen lassen. Der im November vereinbarte Deal sei "der beste und einzige Weg", einen geordneten EU-Austritt sicherzustellen.

Er sei für Nachverhandlungen nicht offen, ließ Tusk wissen. Das gelte auch für den Backstop zu Irland, also jene Regelung, die eine offene Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland garantieren soll. Wenn London mehr Zeit brauche, werde man das in Erwägung ziehen, erklärte Tusk.

Etwas offener zeigte sich Kommissionschef Jean-Claude Juncker im EU-Parlament in Brüssel. Es gelte nach wie vor, dass das von den Regierungschefs der EU-27 mit May vereinbarte "Austrittsabkommen nicht neu verhandelt wird". Gleichwohl seien die Partner zu Gesprächen bereit, sagte Juncker, nach der "Goldenen Regel", das Austrittsabkommen beizubehalten und die Erklärung zu den künftigen Beziehungen zu verändern. Der Präsident machte aber auch klar, dass die Lage ernst ist: "Wir müssen und auf das Schlimmste vorbereiten", sprich den ungeregelten EU-Austritt der Briten. Die Kommission bereite weiter alle Notmaßnahmen dazu vor, erklärte er den Abgeordneten.

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Der Backstop sieht vor, dass Nordirland auch dann in der Zollunion bleiben kann, wenn es nach dem EU-Austritt nicht zu einem Freihandels- und Zollabkommen mit dem künftigen Drittland Großbritannien kommt. An sich ist vereinbart, dass dieser Fall nie eintreten sollte, weil man die neue Beziehung bis spätestens Ende 2022 nach einer Übergangszeit geklärt haben will. Brexit-Hardliner lehnen das ab. Mitgliedsland Irland hingegen will eine Garantie dafür, dass es nie mehr Grenzkontrollen im Norden der Insel geben wird.

Besonders Frankreichs Präsident Emmanuel Macron steht da dahinter. Im Hintergrund laufen dennoch zwischen den Regierungszentralen der EU-27 bereits intensive Gespräche, wie man einen Ausweg finden könnte. Am deutlichsten brachte das der deutsche Außenminister Heiko Maas zum Ausdruck. Die britische Regierung habe bisher nicht erklärt, welche Änderungen genau sie beim Backstop wolle: "Sie muss nun sehr rasch sagen, was sie will." Und: "Wir sind zu Gesprächen bereit."

Chaos-Brexit verhindern

Die Aussagen des deutschen Außenministers, der mit seinen EU-Kollegen ab Donnerstag bei einem informellen Treffen in der rumänischen Hauptstadt Bukarest auch über den Brexit beraten wird, sind ein erster Fingerzeig, dass das Nein zu Brexit-Nachverhandlungen nicht ganz so hart ist, wie es klingt. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier betonte, dass ein ungeregelter Brexit verhindert werden müsse. Dafür werde man alles tun.

Einen Chaos-Brexit verhindern wollen auch das sonst total zerstrittene Unterhaus und die britische Regierung. Maas: "Es ist wichtig, dass sich das Parlament gegen einen ungeregelten Brexit ausgesprochen hat. Niemand kann an so etwas ein Interesse haben."

Wie man die Pattsituation auflösen könnte, steht freilich in den Sternen. Die entscheidende Frage der kommenden Wochen wird sein, wie man den Backstop so neu formuliert, dass beiden Seiten gedient ist – ohne dass der fertige Austrittsvertrag verändert wird.

May demnächst in Brüssel

An diesem Punkt war man schon mehrmals seit Juni 2017. Beim EU-Gipfel vergangenen Dezember hatte man sich mit May auf Zusatzerklärungen geeinigt, wonach der Backstop jedenfalls zeitlich begrenzt sei, nannte aber kein Datum. Im Unterhaus gab es dafür keine Mehrheit. Da wird man ansetzen. May wird möglicherweise bald zum Gespräch mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach Brüssel reisen. Der sagte, er stehe "Tag und Nacht" zur Verfügung und sei auch "optimistisch, dass wir ein Abkommen bekommen werden".

Juncker kann Vorschläge zur Kompromissfindung machen, aber nicht allein entscheiden. Dazu bedarf es eines einstimmigen Beschlusses der Staats- und Regierungschefs der EU, die das Mandat der Brexit-Verhandlungen seit 2017 vorgegeben haben. De facto heißt das, dass es wieder einen EU-Sondergipfel mit May in Brüssel geben muss. Die Premierministerin hat bereits angekündigt, dass sie bis 14. Februar im Unterhaus eine Erklärung abgeben wird, über die abgestimmt werden soll. Ob sie bereits eine modifizierte Backstoplösung vorlegen kann, ist offen. (Thomas Mayer, 30.1.2019)