"Wir dürfen uns an die Sprache der Niedertracht, der Zerstörung und des Hasses nicht gewöhnen." Martin Pollack in seiner Gastrede zum Österreichischen Filmpreis, die ob seiner Erkankung von Schauspieler Peter Simonischek vorgetragen wurde.

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Für Intellektuelle, Autorinnen und Autoren, Publizistinnen und Publizisten ist die Sprache eine wichtige Grundlage ihres Schaffens, das gilt auch für Filmemacherinnen, Drehbuchschreiberinnen, Regisseurinnen und Schauspielerinnen (die weibliche Form möge hier für beide Geschlechter stehen). Wir alle sind der Sprache verpflichtet, der Sprache im Dienste der Wahrheit und Menschlichkeit, auch wenn das banal klingen mag. Eine Binsenweisheit. Doch diese Erkenntnis gewinnt zunehmend an Aktualität, da wir uns mit einer Entwicklung konfrontiert sehen, die uns nicht gleichgültig lassen kann: Politiker aller rechten Schattierungen, Rechtspopulisten wie Rechtsradikale, bemächtigen sich der Sprache, um sie für ihre Zwecke zu manipulieren und zu missbrauchen.

Brutalisierung der Sprache

Wir erleben seit einigen Jahren einen illiberalen, reaktionären Backlash, einhergehend mit einem rabiaten Nationalismus, wachsender Fremdenfeindlichkeit und einer fortschreitenden Brutalisierung der Sprache, die fatale Auswirkungen auf die Gesellschaft zeitigt. Dazu kommen die ständigen Angriffe der Rechten gegen die liberale Demokratie und ihre Institutionen. Wie das geht, hat kürzlich ein notorisch auffälliger niederösterreichischer FPÖ-Landesrat vorgeführt, der auf die Kritik der Volksanwaltschaft an einem in seiner Verantwortung liegenden Asylquartier für unbegleitete Jugendliche mit der Drohung reagierte, man müsse die Abschaffung der Volksanwaltschaft, eines Kontrollorgans des Parlaments, andenken.

Noch radikaler stellt Innenminister Herbert Kickl den Rechtsstaat in Frage, wenn er den Grundsatz durchsetzen möchte, dass "das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht".

Dieser europa- und demokratiefeindliche Rechtsruck ist in Österreich ebenso zu beobachten wie in Ungarn und Polen, in Italien und Deutschland, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Wir schwimmen auf der "Titanic"

Angesichts dieser existenziellen Bedrohung der Demokratie können wir nicht gleichgültig bleiben. "Wir befinden uns in einer neuen, brandgefährlichen Situation – als Menschen und als Planet", sagte die polnische Filmemacherin Agnieszka Holland kürzlich in einer Rede. "In der nächsten Dekade kann alles passieren, sogar das Schlimmste. Wir schwimmen auf der 'Titanic'. Aber aus dem Blickpunkt von Filmemachern hat so eine Situation auch ihre Vorteile. Sie stellt uns vor neue Herausforderungen. Sie zwingt uns dazu, die Zone des Komforts zu verlassen und einen neuen Blick auf die Wirklichkeit und uns selber zu werfen."

Agnieszka Holland ist eine hervorragende Regisseurin und Drehbuchautorin und zugleich eine mutige Vertreterin der polnischen Zivilgesellschaft, die sich von der autoritären Regierung in ihrem Land nicht einschüchtern lässt.

Primitives Freund-Feind-Schema

Rechtspopulisten und Rechtsradikale, völkische Nationalisten und Anhänger eines rückwärtsgewandten Europas der Vaterländer setzen auf die Angst als wichtigen Verbündeten. Sie schüren dumpfe Ängste und Misstrauen, um ihre Politik der Härte und Unmenschlichkeit zu legitimieren. Ängste vor Flüchtlingen, die angeblich das Land überschwemmen und den Einheimischen Arbeitsplätze und Frauen rauben, Misstrauen gegenüber kritischen Intellektuellen und Künstlern, die sich dem Vormarsch der Rechten entgegenstellen.

Feindbilder der Rechten gibt es zur Genüge, und sie erfinden immer neue, um Freiheiten einschränken zu können. Dabei bedienen sie sich eines primitiven Freund-Feind-Schemas nach dem Motto: Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns, der ist unser Gegner, den es zu bekämpfen gilt, mit allen Mitteln. Das erklärt die zunehmende Aggressivität der Sprache, die wir heute erleben.

Ungehemmte Hate Speech

Wohin eine ungehemmte Hate Speech führen kann, hat zuletzt die Ermordung des liberalen Danziger Bürgermeisters Paweł Adamowicz gezeigt, der schon seit längerer Zeit Zielscheibe hasserfüllter Angriffe der rechtskonservativen PiS-Regierung in Warschau war (PiS steht absurderweise für Recht und Gerechtigkeit).

So weit ist es bei uns noch nicht. Österreich ist nicht Polen oder Ungarn, noch nicht! Aber die FPÖ, Koalitionspartner in der Regierung, steuert beharrlich in diese Richtung. H. C. Strache und Herbert Kickl halten die Flüchtlingskrise ständig am Köcheln, im Widerspruch zu den Fakten, um auf diese Weise die Menschen zu verunsichern und auf einen autoritären Überwachungsstaat einzustimmen. Von dem ist dann der Weg zu einem autoritären Staat á la Putins Russland oder Orbáns Ungarn nicht mehr weit. Es ist kein Zufall, dass die genannten Politiker zu den erklärten Vorbildern der FPÖ zählen.

So eine Entwicklung dürfen wir nicht hinnehmen, wir dürfen nicht wegschauen und den Kopf in den Sand stecken. Das gilt für Autorinnen und Autoren ebenso wie für Filmemacherinnen und ihre männlichen Kollegen. Wir dürfen uns an die Sprache des Hasses, der Niedertracht und Verhetzung nicht gewöhnen. Gewöhnung ist wie ein schleichendes Gift, das die Gehirne zersetzt und die Menschen demoralisiert, habe ich vor über einem Jahr in einer Rede in Potsdam gesagt. Daran hat sich nichts geändert, im Gegenteil, die Gefahr ist größer denn je, weil die Reaktionären an Macht und Einfluss gewinnen und die Hate Speech längst in die Alltagssprache eingeführt haben.

Die österreichischen Filmemacherinnen und Filmemacher zeigen mit ihrem Schaffen, dass sie bereit sind, sich diesen Entwicklungen entgegenzustellen und die Auswirkungen der reaktionären Politik auf die Gesellschaft zu thematisieren. Österreich bietet dafür, Gott sei’s geklagt, mehr als genügend Stoff. In der Geschichte wie in der Gegenwart. Ich möchte hier, beispielhaft, auf den jüngsten Film von Ruth Beckermann verweisen. "Waldheims Walzer" beschäftigt sich mit den Begriffen Erinnern und Vergessen, Lüge und Wahrheit, aber auch mit den aktuellen Phänomenen der alternativen Fakten und der Hate Speech, mit denen rechte Politiker so gern agieren. Obwohl der Film ein bereits historisches Ereignis zum Thema hat, ist er von einer beklemmenden Aktualität, die einem förmlich den Atem raubt.

Szene aus Ruth Beckermanns Film "Waldheims Walzer".
Foto: Ruth Beckermann Filmproduktion

Die Ziele der Rechten

Die Sprache des Hasses korrumpiert die Gesellschaft, indem sie den Zusammenhalt zerstört und die Menschen gegeneinander ausspielt. Wer Solidarität mit den Schwachen einfordert, wird zum Verräter am eigenen Volk stilisiert. Das Recht des Stärkeren soll uns leiten. Ein starker Mann soll uns regieren. Auch auf die Gefahr hin, dass dabei die Demokratie beschädigt oder gänzlich zerstört wird. Genau das sind die Ziele der Rechten. Auch in Österreich. Sie forcieren die Spaltung der Gesellschaft und den Kampf gegen imaginäre innere und äußere Feinde, vor allem gegen Flüchtlinge, die idealen Sündenböcke. Dabei agieren die Rechten angeblich stets aus der Defensive heraus. Die Angreifer sind immer die Anderen, sie selber sind die Opfer, die sich zur Wehr setzen müssen.

Das beobachten wir auch in autoritären Staaten wie Russland, das von Strache und Konsorten so bewundert wird. Putin sieht in der Freiheit des Wortes und der Kunst, der freien Zivilgesellschaft und überhaupt der freien Demokratie eine Bedrohung seiner Herrschaft, die er aus der Welt schaffen muss. Mit bedingungsloser Härte. Wie das in der Praxis ausschaut, zeigt der Fall des von der annektierten Krim stammenden ukrainischen Filmemachers Oleg Senzow, der in einem Schauprozess zu jahrelanger Lagerhaft verurteilt wurde. Stalin lässt grüßen.

Das zeigt, wie wichtig unsere Solidarität mit Menschen wie Senzow ist, der hier stellvertretend für eine lange Reihe drangsalierter, eingesperrter und ermordeter Künstler und Intellektueller steht.

Der ukrainische Filmemacher Oleg Senzow, von einem russischen Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt
Fotos: APA/AFP/SERGEI SUPINSKY/Anton Naumlyuk

Vor kurzem habe ich aus Kiew einen Essay der ukrainischen Autorin Kateryna Mishchenko mit dem Titel "Senzows Camera" erhalten, der im Herbst in Deutschland erscheinen soll. Dort schreibt die junge Autorin über den Häftling Senzow: "Er verfasste bereits ein Testament – denn seinen Tod fürchten alle, selbst seine Feinde. Es gelingt ihm, die Realität außerhalb seiner Gefängniszelle zu beeinflussen, und das macht ihn gefährlich."

In der Wahrheit leben

Darum geht es. Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, schon gar nicht durch brutale Gewalt. Wir dürfen uns nicht beugen und Selbstzensur üben. Nur das nicht! Wir müssen uns der Realität stellen und Strategien entwickeln, um den Einfluss der Rechten zurückzudrängen. Wir müssen darauf bestehen, in der Wahrheit zu leben und zu schaffen, um ein Wort von Václav Havel zu paraphrasieren.

Zum Schluss noch ein Satz von Agnieszka Holland: "Wir Filmemacher stehen heute vor der Frage, ob und worauf wir Einfluss nehmen können." Das muss jeder für sich entscheiden. Die hier versammelten Filmschaffenden zeigen, dass sie bereit sind, Einfluss auf die sie umgebende Wirklichkeit zu nehmen. Dafür haben wir ihnen zu danken. (Martin Pollack, 31.1.2019)