Buben, deren Väter neue Männerrollen anbieten. Gillette macht damit Werbung für Rasierer.

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"Es ist Zeit, damit aufzuhören, schlechtes Benehmen zu entschuldigen", twitterte das Unternehmen.

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Burschen, regt euch bitte ab. Keine Geringere als Hollywood-Star Bette Midler richtete sich kürzlich an jene wütenden Männer, die im Netz über die neue Gillette-Werbung herfielen. Und weswegen? Eben das will Midler nicht so recht verstehen. "Es ist ja nicht so, dass Gillette euch auffordert, euren gesamten Körper zu rasieren, Make-up zu tragen, Parfum, High Heels, in der Öffentlichkeit nicht zu viel zu essen und nicht mehr oder weniger als ein ganz bestimmtes Gewicht zu haben", kommentierte Midler den Ärger über die Gillette-Werbung, indem sie die zahllosen Botschaften an Frauen in Werbungen ansprach.

Doch hier, bei der Gillette-Werbung, geht es um etwas Positives. In dem Spot werden Männer als verletzlich und couragiert dargestellt – als Gegenentwurf zu Sexisten, Machos und Raufbolden, die in der neuen Gillette-Kampagne auch vorkommen und kritisch beäugt werden.

Trotzdem scheinen sich noch immer viele Männer mit diesen Attributen wohler zu fühlen als mit moderneren Männerbildern. Mit Fotos von Gillette-Rasieren in Toiletten und dramatischen Aufkündigungen der bislang lebenslangen Kundentreue zeigten sie in den sozialen Medien, dass man Männer und Buben "verdammt noch mal" wie Männer und Buben sein lassen soll.

Was das überhaupt bedeutet und warum für manche Männer und Buben offenbar noch immer Gewaltbereitschaft selbstverständlicher Teil ihrer Identität ist, das wurde wegen der Häufung der Gewalt gegen Frauen, die zuletzt oft tödlich endete, viel diskutiert. Männer- und Bubenarbeit, lautete eine Antwort auf das Problem. Damit sie lernen, anders mit Aggressionen und Konflikten umzugehen, dass jede menschliche Identität wohl um Längen komplexer ist, als es starre Vorstellungen von "Mannsein" zulassen.

Die Aktivisten von "HeForShe Vienna" sahen nach den jüngsten Debatten über Gewalt gegen Frauen und dem Gillette-Shitstorm eine gute Gelegenheit, via soziale Medien die #ToxicMasculinityWeek auszurufen. Der Wien-Ableger der internationalen UN-Kampagne setzt sich seit 2016 dafür ein, mehr Männer für Gleichstellungsthemen zu begeistern, "nur so ist nachhaltige Gleichstellung möglich", ist Gerhard Wagner, Obmann von HeForShe Vienna, überzeugt.

"Was ist denn jetzt 'toxische Maskulinität‘ schon wieder?" – HeForShe Vienna antwortet diese Woche auf Fragen zu toxischer Männlichkeit und beruhigt: Bier trinken und Sport schauen? Völlig okay, aber Gefühle und Schwäche eben auch.

Und was ist eigentlich falsch daran, ein Mann zu sein?

"Bei den Themen Gender, Gleichstellung und Diversität bieten sozialen Medien eine gute Plattform, um seine Emotionen und Ablehnung auszudrücken", sagt Wagner über die häufigen Kampagnen von Maskulinisten, die ein traditionelles Männerbild bewahren wollen. Man dürfe nicht den Fehler machen, von solchen Shitstorms auf alle Männer zu schließen. Trotzdem sei es ein großes Problem, dass es durch soziale Medien oft so wirkt, als gebe es eine breite Front gegen neue Vorstellungen von männlichen Identitäten. "Das vermittelt ja wieder ein sehr negatives Bild von Männer", so Wagner. "Deshalb wollen wir dieser lauten Trollarmee etwas entgegensetzen, denn es gibt sehr viele Männer, die – sozusagen – voll und ganz auf Gillette-Schiene sind."

Trotzdem fühlen sich offenbar auch viele von ihnen kritisiert. Wagner wundert sich, wer sich aller angesprochen fühlt, wenn von toxischer Männlichkeit die Rede ist. "Es ist schon eine interessante Reaktion, wenn man sich angegriffen und in seinem männlichen Stolz verletzt fühlt, obwohl man sich selbst nicht so verhält."

Schädliche Geschlechterstereotype

Frauen sind es seit Jahrtausenden gewohnt, dass "weiblich" konnotierte Eigenschaften zur Herabwürdigungen dienen oder zumindest problematisiert werden. Kümmert sich eine Mutter zu wenig um ihr Kind, ist sie eine Rabenmutter. Kümmert sie sich sehr viel, ist sie eine Glucke. Zahllose diskreditierende Begriffe gibt es exklusiv für Frauen. Und was zwar freundlich klingt, etwa die "hohe Sozialkompetenz", dient nicht selten dazu, Frauen Sachlichkeit abzusprechen. Der Feminismus hat deutlich gezeigt, wie schädlich Geschlechterstereotype sein können. Obwohl diese Botschaft immer schon ebenso für Männer wichtig und auch an sie gerichtet war, stellten sich bis heute meist nur Frauen gegen klischeehafte Zuschreibungen aufgrund ihres Geschlechts. Dass es von erst einmal harmlos klingenden Ansprüchen an Buben wie "durchsetzungsstark" hin zu "aggressiv" oder "gewaltbereit" kippen kann und das als Problem dargestellt wird – daran müssen sich Buben und Männer erst gewöhnen.

Neue Reibungsflächen

Und somit daran, dass es bei den herrschenden Männer- und Bubenbildern Handlungsbedarf gibt. "Es ist auch einen Generationenfrage", sagt Wagner. Das bisher vorgelebte Lebensmodell passt für viele junge Männer nicht mehr, sie wollen sich auch stärker in Familienthemen und in die Erziehung einbringen. Trotzdem sehen sich viele junge Männer gleichzeitig auch als künftige Familienernährer, wie erst kürzlich eine Schweizer Studie zeigte. Vollzeitjob und für das Baby von der ersten Minute an das sein, das kann sich nicht ausgehen. "Dadurch entstehen Reibungsflächen, und das wird künftig mehr Aufmerksamkeit für diese Schwierigkeiten bringen", ist Wagner überzeugt.

Laut Wagner haben Männer und Buben noch immer Angst, sich in profeministischen Initiativen zu engagieren. Angst, dass sie ihren Freundeskreis verlieren, dass sie als unmännlich angesehen werden. Es ist aber nicht nur diese Sorge, schlichtes Machterhalten steckt ebenso hinter Hasstiraden gegen neue Rollenbilder.

"Natürlich sehen manche Männer in Gleichstellungsbemühungen auch eine Gefahr für ihre eigene Machtposition", sagt Wagner. Gewohnte Strukturen und Machtverhältnisse würden hinterfragt, "und wenn Mannsein im klassischen Sinne am Ende des Tages kein Privileg mehr ist, dann erzeugt das Verunsicherung bei all jenen, die gelernt haben, sich gerade darüber zu definieren und zu behaupten". Insofern ist die Wut über prominent platzierte Bilder vom verletzlichen, sensiblen Mann womöglich nachvollziehbar. (Beate Hausbichler, 31.1.2019)