Steam muss endlich in die Gänge kommen.

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Lange Jahre war Steam die PC-Spiele-Downloadplattform schlechthin. Es gab zwar die Konkurrenz in Form von Publisher-eigenen Lösungen, etwa Ubisofts Uplay, EAs Origin, Blizzards und seit kurzem auch Bethesdas Launcher, den Microsoft Store sowie weitaus kleinere Konkurrenten wie GOG Galaxy, Twitch und Discord, und dann gab es noch den Indie-Kramladen itch.io. Wirkliche Konkurrenz für Steam war keines davon.

Erst mit dem Start des Epic Game Launchers vor Weihnachten letzten Jahres regte sich ein echter Rivale – mit besonders tiefen Taschen. Dank des hyperlukrativen "Fortnite" kann sich Epics Plattformfrischling die Ambition leisten, Valve den Fehdehandschuh hinzuwerfen. 125 Millionen Menschen sind dabei als Anfangskapital keine Kleinigkeit. So viele Menschen spielen "Fortnite" und nehmen daher seit kurzem bei jedem Spielstart den Weg direkt über Epics neuen Store. Und weil dieses Publikum dank globalen Erfolgs des F2P-Battle-Royale-Phänomens allein im letzten Jahr drei Milliarden Dollar in Epics Kasse gespült hat, hat man auch das Kleingeld, um den Krieg zu wagen. Angriffsart der Wahl ist derzeit die jüngst verkündete Plattformexklusivität heiß erwarteter Titel wie Metro: Exodus sowie die für Entwickler und Publisher lockenden besseren Konditionen.

Begraben unter Hentai-Mädchen

Man mag vom noch eher unhandlichen Epic Launcher und auch der fragwürdigen Strategie, sich das Publikum durch plattformexklusive Bindung großer Titel zu angeln, halten, was man will, eins ist allerdings unbestritten: Steam hatte auch schon vorher Probleme. Und zwar solche, die sich durch den langjährigen bequemen Platzhirschstatus ergeben haben: Als quasi konkurrenz- und alternativloser Quasimonopolist konnte sich Valve das Ausrasten auf seinen Lorbeeren erlauben.

Zum Schaden des Ökosystems: Steams Katalog einen Dschungel zu nennen wäre untertrieben. 30.000 Spiele gibt es zur Auswahl, allein 2018 kamen 9.300 dazu – 25 pro Tag. Vehement hat sich Valve vor allem in den letzten Jahren gegen die oft erhobene Forderung nach Kuration oder auch nur stärkerer Qualitätskontrollen gestemmt. Der seit der Einführung von Steam Direct hyperliberale Laissez-faire-Approach – jeder Entwickler darf auf Steam veröffentlichen, solange er eine Gebühr von 100 Dollar bezahlt und eine Reihe formaler und inhaltlicher Regeln einhält – wurde dabei nur halbherzig durch community-basierte Qualitätskontrollen abgefedert.

Das sieht man: Wie die ähnlich aufgebauten Mobile-App-Stores von Apple und Google wird auch Steam mit Schrott förmlich überschwemmt, zunehmend aus chinesischer Billigstproduktion. Die niedrige Eintrittshürde bringt buchstäblich hunderte minderwertige, lieblos gemachte Neuerscheinungen, die qualitätsvollere kleine Titel unter der schieren Masse sowie kulleräugigem Hentai-Girl-Overkill begraben. Die allermeisten der neu erschienenen Indie-Titel bringen es auch nach Wochen nicht einmal auf eine einzige Rezension. Steam liefert somit tagtäglich den traurigen Beweis für die seit Jahren von Entwicklern beklagte "Indiepocalypse".

Experimente, Algorithmen und Trolle

Dabei scheint Valve ohnehin kaum mehr Interesse an der Unzahl kleiner Entwickler zu haben, die geschätzte 98 Prozent der Spiele auf Steam liefern: Die im Herbst angekündigten neuen Konditionen bevorzugen die Hersteller großer Spiele, die besonders lukrativ sind, und ein ebenso im Herbst letzten Jahres neu zum Einsatz gebrachter Algorithmus, der Kundinnen und Kunden auf für sie interessante Spiele hinweisen soll, wurde augenscheinlich so verändert, dass er ebenso, unabhängig von den Präferenzen der eigenen Spielebibliothek, hauptsächlich große Titel noch sichtbarer macht. Dass es sich dabei nur um einen Bug gehandelt haben soll, wie Valve versicherte, darf man angesichts weiter sinkender Zugriffe auf kleine Titel und des verstärkten Umwerbens großer Publisher vonseiten Valves zumindest infrage stellen.

Überhaupt scheint es Valve, bei allem Erfolg, oft an Konsequenz oder auch nur Strategie zu mangeln. Ambitionierte Projekte der letzten Jahre, auch ins Hardware-Geschäft einzusteigen – Stichwort: Steam-Machines, Steam-Link und Steam-Controller –, waren von chaotischer Fahrigkeit und letztlich Misserfolg gekennzeichnet. Für eine derart lukrative, marktbeherrschende Plattform zeugen diese Rohrkrepierer, die allesamt nach vollmundig als Revolutionen angekündigten Starts früher oder später als halbverwaiste Technikruinen endeten, nicht gerade von Weitsichtigkeit der Strategen bei Valve. Immerhin: Nötig hatte man es ja auch nicht.

Angesichts derartiger Experimente am lebenden Objekt, anhaltender unkuratierter Überflutung mit Spielen minderer Qualität und nicht zuletzt einer verwöhnten, oft rabiaten, durch Review-Bombing und Ausnutzen der Rückgabefristen unbequemen Käuferschaft zeigen sich die Entwickler zunehmend unzufrieden mit Steam, das noch dazu mit 30 Prozent nicht wenig vom Verkauf in die eigenen Taschen wandern lässt.

Quo vadis, Steam?

Die neue, aggressive Konkurrenz durch den Epic Store mag kurzfristig unbequem sein für Spielerinnen und Spieler, die sich jahrelang an die eine, einzige Anlaufstelle für alle PC-Spiele sowie deren relativ kundenfreundliche Politik gewöhnt hatten, für den Markt, die Entwickler und letztlich die Spielerinnen und Spieler selbst ist dieses Herausfordern des fett gewordenen Incumbents allerdings ein Segen. Dass Valve sich irgendwann endlich zu den sinnvollen, dringend notwendigen Reparaturen von Store, Sichtbarkeit und Konzept herablässt, wird so weitaus wahrscheinlicher.

Im Moment reagiert Steam auf die aggressive Duellansage noch wehleidig: Es sei "unfair" gegenüber den Kunden, dass sich Metro: Exodus plattformexklusiv nur bei Epic finden würde, jammerte der offenbar ebenso überraschte Quasimonopolist – und immerhin fanden sich zahlreiche Spielerinnen und Spieler, die sich dieser Sichtweise mit gewohnt lautstarkem Protest anschlossen.

Ein lukrativer Incumbent beklagt sich über "unfaire" Praktiken von Herausforderern, noch dazu im Namen seiner Kundschaft – mit ähnlichen Angstgesängen sind vermutlich schon viele Dinosaurier ausgestorben. So weit ist es allerdings natürlich noch lange nicht. Ja, es mag unbequem für Spielerinnen und Spieler sein, ein weiteres Frontend auf ihren Rechnern installieren zu müssen, und ja, die Zersplitterung der einzelnen Games-Bibliotheken auf lauter verschiedene Programme ist ebenso ein Ärgernis. Allerdings kann es, anders betrachtet, nur von Vorteil sein, wenn sich Steam angesichts des Herausforderers endlich mit neuer Motivation der Baustellen annimmt, die man seit Jahren nur träge bearbeitet und letztlich zum Großteil maximal verschlimmbessert hat.

Wenn die neue Konkurrenz dazu führt, dass Steam sein Überflutungsproblem löst – etwa durch Kuration und sinnvollere Filterungsoptionen –, bleibt es zweifellos ebenso lukrativ und für Spielerinnen und Spieler unverzichtbar. Wenn es sich dazu aufraffen kann, nicht nur die besonders großen Titel, sondern auch kleine, vielfältige Indies fair zu behandeln, kann es allein dank seiner Größe zu einem Marktplatz werden, der nicht nur kommerziell, sondern auch kulturell bedeutsam ist. Wenn durch verstärkte Community-Moderation der teilweise wild wuchernde Lurch in seinen Foren und Rezensionen gleich mitbekämpft wird, ist das ebenso begrüßenswert.

Kurzum: Wenn Steam dank endlich ernstzunehmender Konkurrenz seine Milliarden nicht nur hortet, sondern sinnvoll in Weiterentwicklung investiert, haben letztlich alle etwas davon. Mr. Newell – krempeln Sie endlich die Ärmel hoch! (Rainer Sigl, 3.2.2019)