Keine Impfpflicht, aber mehr Druck fordern Experten.

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Wie umgehen mit Eltern, die hartnäckig eine wirksame Schutzimpfung für ihre Kinder verweigern? Diese Frage stand im Zentrum einer STANDARD-Livediskussion am Donnerstagabend in Wien zwischen der Virologin Heidemarie Holzmann von der Med-Uni Wien und dem Kinderarzt Peter Voitl.

Die STANDARD-Livediskussion zum Nachschauen.
DER STANDARD

Eine generelle Impfpflicht in Österreich sehen beide Experten skeptisch. So drastische Krankheitsausbrüche der Masern wie in Italien gebe es hierzulande schließlich noch nicht. Zunächst gebe es eine Reihe anderer Maßnahmen, die ergriffen werden sollten. Virologin Holzmann fordert: "Es muss unbequemer werden für hartnäckige Impfgegner in Österreich." Vorbild dafür könnten die USA sein, wo in einigen Bundesstaaten Eltern, die Impfungen verweigern, zu verpflichtenden Gesprächen in Schulen gerufen werden. Solche Gespräche sind für Betroffene oft unangenehm und schaffen damit sozialen Druck, so Holzmann.

Zusätzlich sollte die Vorlage eines Impfpasses in allen Kindergärten verpflichtend sein. So weit, dass nur geimpfte Kinder einen Kindergarten besuchen dürfen sollen, wollte Voitl nicht gehen. Denn da sei die Gefahr groß, dass diese Eltern sich dafür entscheiden, ihre Kinder ganz aus dem öffentlichen Bildungssystem zu nehmen.

Die Auszahlung der Familienbeihilfe daran zu knüpfen, dass geimpft wird, hält der Kinderarzt Voitl deswegen für keine kluge Maßnahme, weil man dann zwar sozial Schwächere zur Impfung drängt, wohlhabendere Eltern aber einfach auf das Geld verzichten würden. Holzmann würde zudem eine Gegenreaktion erwarten: Wenn staatlicher Druck ausgeübt wird, würden Eltern vermehrt Wege suchen, um dem Zwang und damit der Impfung zu entkommen.

Der Kinderarzt berichtete, dass aus seiner Erfahrung nur ein kleiner Teil der Eltern wirkliche Impfgegner seien, etwa zwei Prozent. Diese Gruppe, für die Impfungen zur Glaubensfrage werden, sei auch für "rationale Argumente" nicht erreichbar. Ganz anders sei das bei der viel größeren Gruppe an Eltern, die impfskeptisch sind.

Ärzte, die gegen Impfen sind

Sie lehnen Impfungen nicht strikt ab, stellen aber eigene Nachforschungen zum Thema an, lesen sich ein und kommen mit kritischen Fragen in die Ordination. Seine Empfehlung an Eltern: immer darauf achten, wer die Betreiber der Seiten sind. Es sollte deutlich erkennbar sein, welche Qualifikation die Betreiber haben. Fehlt so ein Hinweis, sollten die Internetseiten nicht als vertrauenswürdig eingestuft werden.

Unterschiedlicher Meinung waren Voitl und Holzmann darüber, wie mit Kinderärzten umgegangen werden sollte, die explizite Impfgegner sind. Virologin Holzmann kann sich durchaus vorstellen, hier Medizinern die Approbation zu entziehen. Faktisch sei ein solcher Schritt aber nicht möglich, weil sich die Ärzteschaft dagegen wehren würde. Der Arzt Voitl dagegen stand bei dem Thema klar auf der Bremse: Erst wenn es zu Schadensfällen wegen Nichtimpfung komme, sollten Maßnahmen angedacht werden.

Egoismus der Eltern

Holzmann plädierte allerdings dafür, Impfgegner medial nicht auf eine Stufe mit Impfbefürwortern zu stellen. Es gebe einen wissenschaftlichen Konsens zum Thema, "Medien dürfen nicht so tun, als seien hier alle Meinungen gleichwertig".

Unterschiedlich beschrieben die beiden auch die Gruppe der Impfverweigerer. Kinderarzt Voitl sagte, dass aus seiner Erfahrung Skepsis in allen sozialen Schichten vorhanden ist. Holzmann dagegen sieht ein Problem vor allem in wohlhabenderen Gesellschaftsschichten. Und: Sie sieht auch ein Problem im Egoismus. So gebe es auch eine große Gruppe an Eltern, die das eigene Kind nicht impfen lassen wollen, weil die anderen ohnehin geimpft sind.

Voitl ergänzte, dass Eltern auch deshalb skeptisch werden, weil Krankheiten wie Masern oder Keuchhusten selten vorkämen, vielen also die Angst abhandengekommen ist. Das größte Problem bei Durchimpfungsraten besteht laut Holzmann in der Gruppe der 15- bis 35-Jährigen, wo gut eine halbe Million Menschen keinen ausreichenden Impfschutz gegen Masern haben. Vor allem diese Gruppe der Erwachsenen gehöre geimpft. Aktuell können Kinderärzte erwachsene Patienten nicht impfen – das gehöre dringend geändert, so Voitl. (András Szigetvari, 31.1.2019)