Es ist nicht verkehrt, in Clint Eastwood einen Spätentwickler zu sehen. Den ersten Western mit Sergio Leone drehte er erst mit 31, als Regisseur begann er seine Laufbahn zehn Jahre später (Play Misty For Me). Aber mit seinen inzwischen 88 Jahren ist er so lange im Geschäft, dass man ihn schon ewig zu kennen meint. Die kleinsten Verschiebungen und Variationen innerhalb seiner ziemlich konstanten Themen meint man deshalb als Veränderungen zu entlarven.

In The Mule spielt Eastwood, angeblich in seiner definitiv letzten Leinwandrolle, einen "late bloomer" anderer Art. Earl Stone, ein betagter Koreakriegsveteran, hat sein Leben der Zucht von Taglilien verschrieben, jetzt wurde sein Geschäft jedoch vom Onlinehandel ("Damn you, Internet!") verdrängt. Seine Familie will von dem Grantscherm nichts mehr wissen, denn die wichtigsten Ereignisse hat er, so der wiederholte Vorwurf, aufgrund seiner Arbeit in der Vergangenheit verpasst.

Deshalb steht Earl nun ziemlich allein da. Die Lösung ist unorthodox, hat jedoch ein reales Vorbild. Nick Schenk stützt sich in seinem Drehbuch auf die Geschichte Leonard Sharps, auch "El tata", "der Opa", genannt: eines 90-jährigen Mannes, der für das mexikanische Drogenkartell kiloweise Kokain durchs Land fuhr.

Das Bild täuscht ein wenig, denn Clint Eastwood legt Earl Stone in "The Mule" eigentlich recht freundlich an – die alte Knorrigkeit kommt dann aber auch noch durch.
Foto: Warner Film

Für Clint Eastwood ist das schon deshalb ein interessanter Part, weil er wie im furiosen Gran Torino (2009), wo er sich widerwillig mit seinen Nachbarn befassen musste, nochmals an seiner Leinwandpersona herummodellieren darf. Was man kann, das kann man, denkt sich der vergleichsweise milde Earl trotz seiner vielen Lenze. Die Fragilität, die dem edel zerknitterten Körper des US-Stars mittlerweile zu eigen ist, erzählt die eigentliche Geschichte des Films. Manchmal fürchtet man, ein Windstoß könnte ihn umwerfen. Dann wieder kommt die bekannte Knorrigkeit zum Vorschein, die an die eines übellaunigen Hundes erinnert, an dem niemand so einfach vorbeischleichen kann.

Eastwood war immer schon gut darin, in bisweilen eher mittelprächtigem Genrematerial weitere Ebenen einzuführen, die auf gegenwärtige Verhältnisse der USA reagieren. In Earl Stone zeichnet er nun das Bild eines abgehängten weißen Mannes, der sich wie viele andere seiner Generation leicht im Kummer hätte verlieren können. Doch Earl findet eine – wenn auch – illegale Nische, und seinen neuen Reichtum reinvestiert er dann auch in jene Infrastruktur, die um ihn herum langsam wegbricht. Er handelt mithin nicht nur aus Eigensinn, sondern lässt beispielsweise sein Stammbeisl um die Ecke wieder aufbauen, das durch ein Feuer verwüstet wurde. Das ist endlich einmal eine andere Geschichte als eine von Wonnen in der geteilten Best-Agers-WG.

Warner Bros. Pictures

Politisch korrekt, das geht nicht mehr

Zugleich will sich Eastwood, der sich 2012 für einen wenig subtilen Anti-Obama-Spot einspannen ließ, nochmals anders im Trump-Amerika verorten. The Mule bezieht auffallend oft Minderheiten in seine Erzählung ein – Earl verhält sich kauzig, aus der Zeit gefallen, aber immerhin. Politisch korrekt, das geht mit ihm nicht mehr. Doch die untere Liga der mexikanischen Kartellmitarbeiter wird von ihm freundlich geherzt; einem schwarzen Pärchen ist er bei einer Autopanne behilflich, benutzt dabei aber das N-Wort. Eine Gruppe von Bikern stellt sich als freundliche "Dykes" heraus. Die vielen Meilen, die "El tata" mit seinem Pick-up absolviert, werden durch diese Konfrontationen auch zu einer Imagetour für einen moderaten Konservativen, der seinen Individualismus dezidiert in einem integrativen Modell von Amerika aufgehoben sieht.

Foto: Warner Film

Man muss es nicht als Vermächtnis einer Leinwandpersona sehen, doch Eastwood lenkt hier stärker als sonst und auch mit weniger Selbstironie auf die Läuterung zu. Earl, der so lange abwesende Vater, erhält noch eine Chance, das Band zu erneuern, und wird damit dem Sinn des "late bloomers" noch auf andere Weise gerecht. Die Szene mit seiner sterbenden Ex-Frau (die große Dianne Wiest) weiß er dann auch mit jener Zurückhaltung zu inszenieren, die die Sentimentalität in Zaum hält.

Bevor es jedoch zu diesem Akt der Aussöhnung kommt, zelebriert der Film eine Männlichkeit, die ein letztes Mal ganz bei sich selbst sein kann. Allein im Auto durch die weiten Landschaften zu fahren und dabei mit Dean Martin "How lucky can one guy be?" zu trällern oder zwei Aufpassern mit dem besten Pulled-Pork-Sandwich weit und breit auf die Nerven zu gehen – das ist die Aufregung wert. (Dominik Kamalzadeh, 2. 2. 2019)