Schüler und Studierende demonstrierten am Freitag auf dem Wiener Heldenplatz für die Umwelt, den Klimaschutz und einen Wandel im System

Foto: Matthias Cremer

"Es wird haas werden" steht auf einem Schild. "There is no planet B" auf einem anderen. Die, die sie halten, singen und stampfen, marschieren im Kreis. Hinter ihnen sitzt Erzherzog Karl auf dem aufbäumenden Pferd und streckt die Fahne in die Luft. Auf der anderen Seite des Reiterdenkmals auf dem Heldenplatz steht ein Fünftklässler auf dem Sockel der Statue und ruft seiner Lehrerin zu: "Beim Lichtermeer waren mehr Menschen hier als beim ‚Anschluss‘!" Manche der paar Dutzend Demonstranten sind den siebenten Freitag in Folge hier statt in der Schule.

Ende Dezember schwappte nach Wien, was sich seit dem Sommer Land für Land immer weiter über den Globus ausbreitet: die Schulstreiks fürs Klima. In über 50 deutschen Städten demonstrieren junge Menschen unter dem Motto #FridaysForFuture: 60 in Hiddenhausen, 200 in Ludwigsburg, 750 in München, 5000 in Berlin. In Brüssel waren 32.000 auf der Straße, bis nach Australien reichen die Proteste.

DER STANDARD

Greta Thunberg, die Galionsfigur

Losgetreten hat all das Greta Thunberg, das Mädchen mit den Zöpfen. Jene junge Schwedin, die am 20. August zum ersten Mal vor dem schwedischen Reichstag saß, mit angewinkelten Knien an die Mauer gelehnt, rechts von ihr ein pinker Rucksack und eine Trinkflasche, links von ihr ein handbemaltes Schild und ein Stapel Papierzettel. Seit diesem Sommertag kocht die mediale Aufmerksamkeit um Thunberg immer weiter hoch. Als sie bei der Klimakonferenz in Kattowitz sagte: "Ihr seid nicht erwachsen genug, um zu sagen, wie es ist. Selbst diese Bürde überlasst ihr uns Kindern", oder als sie beim Weltwirtschaftsforum in Davos sagte: "Ich will nicht, dass ihr Hoffnung habt. Ich will, dass ihr in Panik geratet", da gingen diese Worte um die Welt.

"Ich will, dass ihr in Panik geratet", sagte Thunberg in Davos.
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Thunberg ist eine Galionsfigur. So wie Emma González eine Galionsfigur im Kampf gegen Waffengewalt in den USA war. Nach dem Amoklauf an einer US-amerikanischen Schule, den sogenannten Parkland-Shootings, rief sie in Richtung Präsident Donald Trump: "Schämen Sie sich!" Wenige Wochen danach, am "National Walkout Day", verließen hunderttausende Schüler gleichzeitig ihre Klassenzimmer und gedachten der 17 Parkland-Opfer. Im März 2018 marschierten an hunderten Orten weltweit Schüler und Studenten auf dem "March for Our Lives".

"Schämen Sie sich", rief Emma González (mitte) Richtung Donald Trump.
Foto: APA/AFP/JIM YOUNG

Die Kraft kleiner Mädchen

Das junge Mädchen als mutige Kämpferin ist kein neues Narrativ. 1992, vor über einem Vierteljahrhundert, sprach die Kanadierin Severn Cullis-Suzuki, damals zwölf Jahre alt, in Rio de Janeiro beim UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung. "Ihr wisst nicht, wie ihr es reparieren sollt, also hört auf, es kaputtzumachen", sagte sie. Und: Sie sei nur ein Kind, doch sie wisse, dass wir da gemeinsam drinstecken. Heute noch wird sie als "das Mädchen, das für sechs Minuten die Welt zum Schweigen brachte", bezeichnet.

Als Malala Yousafzai, damals 17, in Oslo als jüngste Preisträgerin der Geschichte den Friedensnobelpreis entgegennahm, tat sie das stellvertretend für all die vergessenen Kinder, die Bildung wollen, all die verängstigten Kinder, die Frieden wollen, und für all die stummen Kinder, die Veränderung wollen.

Neu ist der Hass, der den Protagonistinnen dieser Heldengeschichten entgegenschlägt: Wenn Junge aufstehen, egal wogegen, und dieser Aufstand Wellen schlägt, dauert es oft nicht lang, bis sie diskreditiert werden. Als Emma González und ihre Schulkollegen die Trauer um ihre erschossenen Freunde kanalisierten und auf die Straße gingen, postete die mächtige amerikanische Waffenlobby National Rifle Association (NRA) am selben Tag auf Facebook: "Die Proteste sind nicht spontan. Schusswaffen hassende Milliardäre und Hollywood-Eliten manipulieren und instrumentalisieren Kinder als Teil ihres Plans."

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"Für all die stummen Kinder, die Veränderung wollen", nahm Malala Yousafzai den Friedensnobelpreis entgegen.
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Die Friedensnobelpreisträgerin Yousafzai, die in ihrem Blog-Tagebuch über den Alltag unter der Herrschaft der Taliban in Pakistan schrieb und die mit 14 von den Taliban angeschossen wurde, wurde als Agentin des Westens beschimpft, als Islambeschmutzerin, obendrein sei sie von den USA gekauft. Manche Pakistanis, so schreibt sie in ihrem Buch, warfen ihr "jugendliche Lust am Ruhm" vor und dass sie nun endlich das "Luxusleben im Ausland" habe, das sie immer haben wollte.

Nun wird das Mädchen mit den Zöpfen angefeindet. Als "altklug und verhaltensgestört, von Untergangsfantasien verfolgt" wurde Thunberg auf Twitter bezeichnet. Andere nannten sie psychisch gestört, reduzierten sie auf das Asperger-Syndrom, mit dem sie lebt und zu dem sie sich mehrmals öffentlich geäußert hat. Vor einigen Tagen schrieb Die Weltwoche, herausgegeben von einem Abgeordneten der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei, über Thunberg: "Wir basteln uns eine Klima-Ikone" war der Titel und die Aussage klar: Die kleine Greta werde instrumentalisiert und missbraucht, von einer Mutter, die die Auflage ihres Buches in die Höhe treiben wolle – es erschien kurz nach dem ersten Streik – und von einem PR-Profi.

Auf Facebook wehrt sich die junge Schwedin mit einem langen Statement gegen die Vorwürfe. Sie schreibt unter anderem, dass sie die Gerüchte und der Hass, den sie zu spüren bekommt, nicht verwundern. Vor allem, weil sich die meisten Menschen der Klimakrise nicht bewusst seien – und diese auch nie als solche behandelt wurde. Sie erläutert die Hintergründe zu ihrem Schulstreik. Zum Beispiel, dass ihre Eltern nicht begeistert waren von der Idee, dass sie unabhängig agiert und ihre Reden selbst schreibt. Auch auf ihr Aspergersyndrom geht sie ein. Sie beschreibt es als Geschenk und nicht als Krankheit. Denn wäre sie "normal", würde sie bestimmt nicht machen, was sie momentan macht.

Greta Thunberg wehrt sich gegen die Vorwürfe und Anschuldigungen.


Das Bild der protestfaulen Jugend

Warum wird ausgerechnet den Jungen vorgeworfen, sie würden instrumentalisiert werden? Jugendforscher Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung in Wien sagt: "Man rechnet nicht damit, dass sie von sich aus etwas tun wollen, es existiert ein Bild der protestfaulen Jugend." Wenn sich dann Parteien oder Gewerkschaften mit ihnen solidarisieren würden, "heißt es sofort: ‚Eh klar, dass die nur Instrumente und Marionetten sein können.‘"

Ingmar Rentzhog heißt der, der Greta Thunbergs Fäden ziehen soll. Der Unternehmer und einer der wichtigsten PR-Menschen Schwedens gründete die We-Don’t-Have-Time-Stiftung, die das streikende Mädchen nach Ansicht ihrer Kritiker vor sich hertreibt und dahin brachte, wo sie nun ist. Dem STANDARD antwortet er: "Ich habe Greta geholfen, aber ich bin nicht ‚der Mann hinter Greta Thunberg‘. Sie hat das selbst gemacht, und niemand sollte ihr das wegnehmen." Er sei weder bei der Familie Thunberg angestellt noch Gretas PR-Agent, und er habe ihr nie Geld gegeben. Heute ist Thunberg beratendes Vorstandsmitglied der Stiftung, doch "ich habe sie und ihre Familie nicht gekannt, bevor sie ihren Schulstreik im August gestartet hat", so Rentzhog.

Janine O’Keeffe von der Bewegung Extinction Rebellion arbeitet in Schweden mit Thunberg zusammen. Sie sagt, sie habe das Mädchen am Ende ihrer ersten Protestwoche kennengelernt und ihr nie aufgetragen, was zu tun sei. "Wenn ich Menschen sehe, die für das Klima streiken, gehe ich zu ihnen hin, sage ‚Danke‘ und stelle sicher, dass andere sie sehen und sich mit ihnen zusammentun können", sagt sie.

Viele lose Verbände

Hinter den tausenden Schülern, die an hunderten Punkten der Welt auf die Straße gehen, hinter jenen, die gerade auf dem Heldenplatz "Fight for climate justice" singen, steht kein einzelner Big Player, keine Partei oder Umweltorganisation. In Wien ist Katharina Rogenhofer eine der Mitinitiatorinnen. Die Studentin sagt: "Wir sind, so wie in fast allen Städten, ein loser Verband von Privatpersonen. Aber uns unterstützen viele aus Zivilgesellschaft und Politik oder studentische Organisationen." Greenpeace auf der anderen Seite wartet in den einzelnen Ländern darauf, bis die Jugendlichen auf sie zukommen. Dann unterstützen sie sie, etwa mit Rechtshilfe oder Social-Media-Marketing, sagt Adam Pavlov, Klima- und Energieexperte von Greenpeace Österreich. Man will im Hintergrund bleiben, um die Jungen nicht zu vereinnahmen und ihnen ihre Authentizität nicht zu rauben.

Am 15. März wollen Schüler weltweit marschieren.
Foto: Matthias Cremer

Fragt man die Jugendlichen auf dem Heldenplatz, wie es weitergeht, dann sagen sie: "Wir kommen nächste Woche wieder", dann sprechen sie von stärkerer Vernetzung und vom globalen Marsch am 15. März. Fragt man Jugendforscher Ikrath danach, dann sagt er: "Junge Proteste können einen Tumult erzeugen. Aber die Energie verpufft schnell." Längerfristig würden sie nur funktionieren, wenn die Leute Konsequenzen ihres Handelns sehen würden.

Severn Cullis-Suzuki, die 1997 als Zwölfjährige in Rio auf dem UN-Gipfel sprach, sagte 20 Jahre später zur Deutschen Welle: "Heute würde ich sagen, wir haben es nicht geschafft, die Welt nachhaltiger zu gestalten." (Gabriele Scherndl, 2.2.2019)