Zoran Barisic in der Warteschleife: "Wir leben in einer Welt der sozialen Kälte, alles wird schneller, extremer, aggressiver. Ich möchte ein ehrlicher Mensch bleiben."

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Der Fußball sei aber nicht krank, "sonst würde er als Wirtschaftszweig nicht wachsen".

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Der 6. Juni ist im Leben des Zoran Barisic ein blödes Datum. Er hat es verdrängt oder vergessen. Der Erinnerung kann nachgeholfen werden, was der 48-Jährige als "sehr interessant" empfindet. Da er ein lernwilliger Mensch ist, zieht er daraus Lehren. "Ich werde diesen Tag meiden, mich einsperren."

6. Juni 1999: Barisic bestreitet zwei Länderspiele, sein erstes und letztes. Österreich verliert in Israel im Rahmen der EM-Quali nur 0:5, Teamchef war Otto Baric. "So deppert es auch klingen mag, ich spielte gar nicht so schlecht im Mittelfeld." Der "Zoki" aus Wien ist quasi der Einbeinige unter den Bloßfüßigen. Verwundert hat ihn das unprofessionelle Umfeld. "Zum Essen wurde Cola, Fanta, Sprite serviert. In der Minibar war auch nicht nur Wasser."

Die Vorahnung

6. Juni 2016: Anruf von Rapid-Präsident Michael Krammer, er ersucht um ein Vieraugengespräch in seiner Firma, nicht morgen, sofort. Es sind dann acht Augen, der damalige Sportdirektor Andreas Müller und Manager Stefan Ebner haben auch je zwei. Trainer Barisic hat die Saisonplanung abgeschlossen, ihm ist die Nachhaltigkeit ein Anliegen, es geht um die Stärkung des Fundaments. "Ich wollte die besten 18-Jährigen, zusätzlich zwei Betreuer mit pädagogischer Ausbildung." Rapid steht unmittelbar vor der Übersiedlung ins neue Stadion. "Man wollte eine Mannschaft, die um den Titel mitspielt."

Barisic hat nach dem Telefonat eine Vorahnung. "In der Nachbetrachtung war mir klar, dass hinter meinem Rücken viel passiert ist, meine Entlassung war geplant, gesteuert. Ich will im Nachhinein niemanden anschütten, so bin ich nicht konzipiert."

Ende Jänner 2019, ein Kaffeehaus im Wiener Donauzentrum. Der 6. Juni 2019 wäre zu weit weg und zu riskant gewesen. Barisic hat Zeit, er hängt in der Warteschleife. Wieder einmal. Manager hat er keinen, er will Entscheidungen selbst treffen. "Ich bin überzeugt, ein guter Trainer zu sein. Ich bin nicht panisch, aber du wirst ungeduldig, unsicher."

Über die aktuelle Situation von Rapid will er nicht plaudern, erstens sei er Didi Kühbauer freundschaftlich verbunden, zweitens "tut man das nicht. Ich bin nicht der Alte aus der Muppet Show, der vom Balkon runterkeppelt." Nach der Entlassung sei er in Schockstarre verfallen. "Weil ich nicht wusste, warum." Er habe Fehler bei sich gesucht. "Natürlich gab es welche. Ich habe immer Selbstzweifel, die sind mein Antrieb, um besser zu werden." Krammer sagte vor nicht allzu langer Zeit, die Trennung sei der größte Irrtum seiner Amtszeit gewesen. Die endet heuer im November. Die Erkenntnis des Präsidenten freut Barisic. "Das zeugt von Charakter, ist ein Zeichen des Respekts gegenüber meiner Person."

Wunden verheilen, Narben bleiben. Körperliche. Seelische. Barisic ist kein Fan von Kalendersprüchen, "in ihrer Banalität stimmen sie allerdings". Carpe diem, einmal öfter aufstehen als hinfallen und so weiter. Der Lebenssinn? "Glücklich sein."

Barisic plagte das Gefühl der Wehrlosigkeit. Er sah sich Behauptungen und Gerüchten ausgesetzt, die sozialen Medien waren enthemmt und gnadenlos. Er sei dem Alkohol zugetan, habe mit den Spielern gefeiert und gesoffen. Fakt ist: 2013 wurde ihm der Führerschein entzogen. Für zwei Wochen. Nach einem Match hatte er den einen Schluck zu viel intus. "Ein Vergehen, es darf nicht passieren. Ich bin kein Lebemann, lungere nicht herum, geh nicht fort. Ich weiß nicht, was in den Köpfen jener Mensch vorgeht, die solche Dinge verbreiten. Das sind Heckenschützen auf Treibjagd. Ich kann und will mich gar nicht wehren. Warum sollte ich auf Lügen reagieren?"

Kein Kumpeltyp

Er sei kein Kumpeltyp. "Ich war nie der Haberer der Spieler. Mir war und ist eine gute Beziehung wichtig. Es geht um ein Vertrauensverhältnis. Nur wer Vertrauen und Respekt spürt, kann Höchstleistungen bringen. Man braucht eine positive Atmosphäre. Du arbeitest mit jungen Menschen zusammen, willst sie verbessern und ihnen auch menschlich etwas vermitteln." Das Leben als aktiver Kicker sei im Vergleich zu jenem als Trainer "sorgenfrei. Aber Trainer ist ein toller Job. Du hast Woche für Woche Prüfungen."

Barisic ist ein Verfechter des schönen Spiels. "Man muss meinen Teams zuschauen können. Wir spielen fürs Publikum, ohne Publikum gibt es keinen Fußball, die Leute zahlen Eintritt." Rapid kickte unter Barisic von 2013 bis 2016 in der Tat ziemlich sehenswert. Und im Vergleich zur Zeit danach auch sehr erfolgreich.

Im Februar 2017 brach Barisic aus der Warteschleife aus, der türkische Erstligist Kardemir Karabükspor engagierte ihn. Karabükspor ist nicht unbedingt ein Sehnsuchtsort, eine an Schönheit überbietbare Stahlstadt. "Ich wollte ins Ausland, vielleicht war es eine Form von Flucht." Barisic verbuchte Erfolge, im Kader standen 14 Legionäre. "Die nonverbale Kommunikation klappte, eine wichtige Erfahrung." Gehalt hat er allerdings keines bekommen, im Juni (nicht am 6.) machte er von seinem Kündigungsrecht Gebrauch – wieder Warteschleife.

Im September 2018 hat ihn Olimpija Ljubljana verpflichtet. Nur eine Niederlage in 15 Partien, wieder Erfolg, wieder attraktiver Fußball, die slowenischen Fans jauchzten. Der Klubboss hielt sich aber nicht an Abmachungen. Seit Dezember ist Barisic zurück in der Warteschleife.

Der Realismus

Der globale Fußball, sagt er, sei nicht krank. "Sonst würde er als Wirtschaftszweig nicht wachsen. Das Gefälle wird aber größer. Er ist nur total verrückt und durchgeknallt, wenn man die Ablösen und Gagen anschaut." Hin und wieder verspüre er Existenzängste. "So bin ich gestrickt." Barisic verfolgt andere Trainerkarrieren, von Jürgen Klopp über Adi Hütter bis hin zu Oliver Glasner, "der beim LASK sensationell arbeitet". In Rapids Allianz-Stadion ist er nur ein einziges Mal gewesen, beim Abschiedsspiel von Steffen Hofmann. "Das gehörte sich." Er sei kein Träumer, sondern Realist. "Es ist ein Problem, dass ich bei Rapid, also weit oben, angefangen habe." Trotzdem sei er überzeugt, dass er die Zukunft nicht hinter sich hat. "Ich will zu einem Klub mit Perspektive."

Er werde notgedrungen in der Warteschleife ausharren. "Ich verbiege mich nicht. Wir leben in einer Welt der sozialen Kälte, alles wird schneller, extremer, aggressiver. Ich möchte ein ehrlicher Mensch bleiben." Am 6. Juni und an allen anderen Tagen. (Christian Hackl, 2.2.2019)