Tenor Piotr Beczala produziert noch fleißig CDs. Als Opernstar ist er damit in der Glückslage, von Labels herzlich umsorgt zu werden. Als Hörer ist der Pole Nostalgiker. Gerne zieht er sich zurück, um alte Aufnahmen zu genießen, der digitale Musikkosmos genießt keine Priorität: "Youtube nutze ich, das ist eine Fundgrube!" Streamingportale jedoch konnten Beczala noch nicht gewinnen, obwohl das Angebot selbst für den Genrekenner durchaus Neues böte. Branchenriese Spotify bietet über 35 Millionen Musikexponate.

Klassische Streamingfirmen machen es möglich: per Handy zum Vervier-Festival, wo Meisterpianist Mikhail Pletnev Beethoven und Rachmaninow spielte. – Aber der digitale Musikmarkt bleibt schwierig: Auch die großen Anbieter wie Spotify und Deezer machen nach wie vor Verluste.
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Er zählt an die 83 Millionen zahlende Kunden und beglückt 100 Millionen Hörer gratis, die Werbeeinschaltungen akzeptieren. Amazon Music Unlimited dürfte an die 50 Millionen Hörer versorgen, Deezer etwa 14 Millionen. Mit im Streaminggeschäft, das auch dem Download-Markt schwer zusetzt, der einst der CD zusetzte, sind auch Google Play Music und Napster. Kürzlich ging auch Tencent Music an die Börse.

Dieser Musikmarkt wächst also rasant: 2018 wurde in Deutschland erstmals mehr Geld für Streaming-Abonnements ausgegeben als für CDs.

Song-Suche nicht zweckmäßig

Die Klassik, mit einem Marktanteil von fünf Prozent, profitiert als Teil des Angebots der Großen. Für den Aficionado gibt es allerdings gewisse Nachteile. Werbeunterbrechungen in einer Mahler-Symphonie bieten wenig Mehrwert. Und "Songs" zu suchen scheint nicht zweckmäßig, so es um ein mehrsätziges Werk geht. Außerdem wird eine Komposition erst durch die spezielle Interpretenkonstellation interessant, was die Suche erschwert. Wer sang? Welches Orchester spielte, wer dirigierte? Solche Fragen bringen Algorithmen schon mal ins Schwitzen. Auf Pop getrimmt, sind sie mit Anfragen nach "Interpret, Song, Album" schon gut beschäftigt.

In diese Suchlücke stoßen Anbieter wie Quobuz, Tidal und Idagio. Der Gründer des Letzteren, Till Janczukowicz, lange als Künstlermanager tätig, geht nicht davon aus, dass die CD bald verschwindet, "obwohl Sie in den USA, Skandinavien oder Korea praktisch keine CD-Geschäfte mehr finden". Die Verpackungseinheit spiele "aber keine Rolle: Die Leute wollen Musik hören! Der einfachste und qualitativste Weg wird der wirtschaftlich erfolgreichste sein."

Wer das Start-up ab 9,99 Euro im Monat bucht, ist Teil einer Gemeinde von mehr als 600.000 weltweiten Hörern. "Wir haben die gesamte Klassik lizenziert – alle Major Labels, über 1000 Independent Labels und direkte Lizenzgeber. Sie könnten 40 Jahre am Stück hören! Wöchentlich kommen rund 20.000 Tracks dazu", sagt Janczukowicz, der für sein Projekt fleißig Geld gesammelt hat: "Bis heute sind 22 Millionen Euro zusammengekommen." Bezüglich Break-even bleibt der Gründer vage: "Wichtig ist, dass man mit einem Nutzer mehr verdient, als man für ihn bezahlt. Solange die Gleichung stimmt, kann man wachsen."

Klassikmarkt ist im Netz kein Selbstläufer

Der Klassikmarkt im Internet ist allerdings kein Selbstläufer. Er umsorgt einen Konsumenten, der CDs durchaus noch schätzt. Zudem ist der Marktplatz fragmentiert; es existieren abseits der Großen wie Spotify und spezialisierter Plattformen noch weitere Anbieter. Labels wie Sony, Naxos, Pentatone und Alpha Classics betreiben Streams, das Wiener Konzerthaus hat mit "takt1" einen Streaming-Zyklus aufgelegt. Und kürzlich feierte die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker zehnten Geburtstag. Sie kommt auf etwa eine Million registrierte Nutzer, von denen pro Saison rund 50.000 einen bezahlten Zugang pflegen.

Auch Operntempel sind dabei: Unter dem Logo "Opera.vision" bieten 30 europäische Häuser ihren Content "free, live and on demand" an und buhlen auch auf Youtube um Fans. Vor allem die Wiener Staatsoper ist intensiv darum bemüht, den Digitalbereich auch im Sinne einer optimierten Verbreitung von Inhalt zu stärken. Christopher Widauer, für den Bereich zuständig, nennt die Vorteile: Durch technischen Fortschritt sei man in der Lage, "selbst zu entscheiden, was wir produzieren und streamen. Wir können Publikum binden und durch Educational Content über 600 Schulen erreichen".

Auch er sieht allerdings eine Fragmentierung: "Heute sind sowohl die Aufnahmetechnik, die Entwicklung einer Live- und On-demand-Plattform und die Distribution über das Internet so einfach verfügbar und vergleichsweise kostengünstig, dass auch kleinere Institutionen sich unabhängig machen können." Neben der Angebotsvielfalt sei auch die Gratismentalität ein Thema: "Wir plädieren dafür, trotz der Tatsache, dass es günstig geworden ist, Content selbst zu distribuieren, nicht Plattformen wie Youtube zu verwenden. Du bezahlst mit dem wertvollsten, das du hast: Deinem Content, der für immer frei verfügbar ist!"

Der digitale Optimist

Wie schwer – angesichts all dieser Faktoren – das Überleben als Klassikportal sein kann, hat Grammofy erlebt. 2015 gegründet, musste es 2017 aufgeben, um nun als Teil des Spotify-Kosmos für Premium-Kunden wieder aufzuleben. Idagio sucht durch Angebotsbreite, Klangqualität, Suchfreundlichkeit, durch Mitschnitte (auch Abonnementkonzerte der Philharmoniker) und exklusive Neuheiten zu punkten. So wünschte Bariton Thomas Hampson auf Idagio alles Gute rund um Weihnachten. Beim Song saß am Klavier das komponierende Wunderkind Alma Deutscher. Klavierexzentriker Ivo Pogorelich wiederum veröffentlichte auf Idagio exklusiv Beethoven-Sonaten.

Zeitloser Content

Ob das alles reicht, um in einer technologisch disruptiven Welt Erfolg zu haben, wird sich zeigen. Optimist Janczukowicz: "Das digitale Zeitalter eröffnet neue Möglichkeiten, die Intensität dieser Erlebnisse weiter zu steigern. Deshalb müssen wir Distribution und Promotion von Klassik an die heutigen Gewohnheiten anpassen. Der Content an sich ist zeitlos und stark."

Andererseits: Auch die Großen, Spotify und Deezer, machen nach wie vor Verluste. Digitale Erfolge scheinen denn auch etwas Selbstmörderisches in sich zu bergen. Vor allem Künstler kennen das: Damit etwas ausgeschüttet wird, braucht es auf Spotify eine sehr große Anzahl an "Plays". Offenbar lebt es sich nur noch auf der Spitze des Musikeisbergs gut. (Ljubisa Tosic, 1.2.2019)