Ethikunterricht an Schulen ist notwendig, wird aber nicht reichen. Es braucht generell auch die Vermittlung von Sozialkompetenz im Unterricht.

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Bildungsminister Heinz Faßmann will den Ethikunterricht als Pflichtgegenstand für Schüler und Schülerinnen einführen, die keinen Religionsunterricht besuchen. Inhaltlich soll es auch um das Thema "gewaltfreie Beziehung" gehen. Trauriger Anlass sind die stetig steigenden Zahlen im Bereich Gewaltkriminalität an Frauen. Der Gedanke liegt nahe, schon in der Schule den Grundstein für Veränderung zu legen.

Eine Priorisierung des Themas Gewaltprävention und Sozialkompetenz ist ohnehin längst fällig. Denn auch an Schulen ist psychische und physische Gewalt nichts Neues. Eine OECD-Studie aus dem Jahr 2015 hat aufgezeigt, dass Österreich die höchste Mobbingrate an Schulen im OECD-Raum hat.

Frage der Erfahrung

Wie kompetent gehen wir in unserer Gesellschaft mit Konflikten um? Der bekannte Neurobiologe Joachim Bauer belegt eindrucksvoll durch Studien, dass unser Gehirn Ausgrenzung und Demütigungen wie körperlichen Schmerz bewertet und deshalb mit Aggression reagiert. Kinder und Jugendliche sehnen sich ganz allgemein bei der Gestaltung des Miteinanders in der Klasse – und im Internet – nach Klarheit. Sie brauchen Unterstützung, wie sie im Konfliktfall "richtig" reagieren und sich oder anderen helfen können. Wäre es nicht ein wertvolles Bildungsziel, wenn jeder Schulabgänger, jede Schulabgängerin zum Beispiel geübt darin wäre, statt Vorwürfen wertschätzendes Feedback zu formulieren?

Der Ansatz des Unterrichtsministers ist im Prinzip also zu begrüßen. Abzuwarten bleibt, ob Religions- und Ethikunterrichtende diese Funktion – neben all den anderen wichtigen Fragen, die dort behandelt werden sollten – ausreichend und mit der nötigen Erfahrung übernehmen werden können.

Sozialkompetenz im Unterricht

Aber um gewaltfreie Kommunikation zu lernen und zu leben, braucht es mehr als ein Unterrichtsfach. Bereits seit Jahren ist Sozialkompetenz als Querschnittsmaterie im Unterrichtsplan vorgesehen. Jeder Lehrer, jede Lehrerin soll Sozialkompetenz in ihren Unterricht integrieren. Aber wie so oft bei Querschnittsmaterien, verlieren sie sich letztlich – und wenige Lehrerinnen und Lehrer dürften hier eine Möglichkeit zur Umsetzung finden.

Auf jeden Fall sollte dieser Unterricht auf drei Ebenen unterstützt werden:

  • Erstens durch ein klares Bekenntnis der Schule, des Ministeriums, des Stadtschulrates insgesamt zu den Werten gewaltfreier Kommunikation.
  • Zweitens wird Sozialkompetenzunterricht nur dann Erfolg haben, wenn diesem schulübergreifende, institutionalisierte Konzepte beziehungsweise ein klar und deutlich artikuliertes Schulprogramm zugrunde liegen. Nur so kann eine Kultur der wertschätzenden Kommunikation entstehen. Erfreulicherweise gibt es seit Jahren Initiativen für ein gewaltfreies Klassen- und Schulklima, etwa die "Weiße Feder – gemeinsam gegen Gewalt". Das Bundeszentrum ÖZEPS (Österreichisches Zentrum für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen) unterstützt diese Initiative seit 2008 durch fundierte wissenschaftliche Arbeit, Materialien und Programme. Es ist verwunderlich, warum dieses Wissen brachliegt.
  • Drittens braucht es aber auch innerschulische Strukturen, im Rahmen derer Schüler und Schülerinnen als auch das Lehrpersonal im Konfliktfall niederschwellig und unkompliziert Beratung und Hilfe finden. Hier werden Menschen gebraucht, die über eine fundierte Ausbildung und jahrelange Erfahrung verfügen, die – auch in hocheskalierten – Konflikten aktiv zuhören und wertfrei wahrnehmen können. Die versprochene Erhöhung der Zahl von Schulsozialarbeitern und Schulsozialarbeiterinnen umzusetzen und für ausreichende Schulmediation zu sorgen, wäre hier der wichtigste Ansatz!

Ursachen erkennen

Essenziell wäre daher die professionelle Unterstützung derer, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht (mehr) in der Lage sind, gewaltfrei zu kommunizieren. Menschen, die sich fehlverhalten, müssen klare Grenzen erfahren, dürfen aber nicht ausgegrenzt werden. Letztlich kann Veränderung nur dann stattfinden, wenn wir die Ursachen von Fehlverhalten erkennen.

Im Fall einer Eskalation die Ombudsstelle anzurufen oder eine Schulmediation zu verlangen, sollte der letzte Ausweg sein. Sozial angemessenes Verhalten muss gelebt und geübt werden, so wie Mathematik oder Englisch. Punktuelle Projekte und Schulversuche bringen hier zu wenig. Die Benennung der neugegründeten "Ombudsstelle für Wertefragen und Kulturkonflikte" insinuiert außerdem, dass es (nur) die ausländischen Schüler und Schülerinnen sind, die diese Einrichtung notwendig machen.

Es würde sich gesellschaftspolitisch lohnen, bestehende und gut durchdachte Konzepte aufzugreifen. Denn Sozialkompetenz ist ein Schlüssel zu psychischer und physischer Gesundheit, zur effektiven Konfliktbewältigung im öffentlichen und im privaten Raum. Sie kann einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion von krankheitsbedingten Ausfällen, von Depressionen, familiären Katastrophen und von Gewaltdelikten leisten. Im Berufsleben ist Sozialkompetenz nicht mehr wegzudenken und wird zu einem der wichtigsten Kriterien bei der Jobvergabe. Geben wir dem Thema schon in der Schule Priorität – das hätte schon gestern passieren müssen und können! (Barbara Nanoff-Schediwy, 5.2.2019)