Offiziell ist Giuseppe Conte Regierungschef, doch er tut nur das, was die beiden Vizepremiers Luigi Di Maio und Matteo Salvini (v. li.) verlangen.

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Seit vergangener Woche können die Italienerinnen und Italiener bei Postämtern, bei Schaltern der staatlichen Pensionsversicherung sowie bei Beratungsstellen der Gewerkschaften ihr Ansuchen für den Erhalt eines Grundeinkommens von 780 Euro pro Monat oder für die Frühpensionierung einreichen. Wie nicht anders zu erwarten, bildeten sich sofort lange Menschenschlangen vor den Ämtern. Etwa fünf Millionen Personen, so hat die Regierung gerechnet, können einen Anspruch auf das Grundeinkommen geltend machen.

300.000 bis 400.000 Bürgerinnen und Bürger werden dieses Jahr voraussichtlich mit 62 statt mit 67 Jahren in Pension gehen wollen. "Gesagt, getan!", tönt der Politikchef der Fünf-Sterne-Bewegung, Vizepremier Luigi Di Maio. Der andere Vizepremier, Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini, setzt nach: "Taten statt Worte!"

Beliebtheit Salvinis auf Kosten der Flüchtlinge

Mit der Schließung der Häfen für private Rettungsschiffe und dem Rückzug der eigenen Küstenwache aus der libyschen Seerettungszone hat Salvini erreicht, dass die Zahl der Bootsflüchtlinge in Italien 2018 auf 23.000 gesunken ist. 2017 waren es noch 120.000. Dass die Menschen jetzt einfach ertrinken oder dass sie zurück in die Folterlager in Libyen gebracht werden, nimmt die Mehrheit in Italien in Kauf. Salvini ist und bleibt der beliebteste Minister.

Grundeinkommen für alle, niedrigeres Pensionsalter, Stopp der Immigration: Das waren zentrale Wahlversprechen der beiden populistischen Parteien. Die meisten Italiener sind der Ansicht, dass diese Versprechen eingehalten worden seien. Das imponiert vielen. Auch die unablässigen Breitseiten von Di Maio und Salvini gegen Brüssel, Berlin und Paris sowie gegen die "Eliten" und "Gutmenschen" kommen bei der Mehrheit immer noch gut an. Das Resultat: Obwohl die italienische Wirtschaft gerade wieder in eine Rezession gerutscht ist (siehe Artikel unten), bleibt die Zustimmung zur neuen Regierung laut einer aktuellen, vom Corriere della Sera veröffentlichten Umfrage mit 59 Prozent außerordentlich hoch.

Hohe Steuerlast zu erwarten

Mit ihren sozialpolitischen Wohltaten verkauft die populistische Regierung, die formell von dem Juristen Giuseppe Conte angeführt wird, Illusionen. Aus Geldmangel sind die Hürden für den Erhalt des Grundeinkommens sehr hoch und die Kürzungsmöglichkeiten zahlreich. Auf hunderttausende arme Italiener wartet in den nächsten Wochen daher eine herbe Enttäuschung. Dasselbe gilt für die Anwärter auf eine vorgezogene Pensionierung: Sie werden feststellen müssen, dass der Frühruhestand mit hohen Einbußen verbunden sein wird. Und trotz der auf Druck der EU vergleichsweise tief gehaltenen Kosten für das Sozialpaket droht bereits für das nächste Jahr eine drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer – und spätestens dann wird für viele Italiener der Spaß aufhören.

Gefahr droht der Regierung nicht nur wegen der sich abzeichnenden negativen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Entwicklung, sondern auch aufgrund ihrer programmatischen Differenzen. Die Fünf-Sterne-Bewegung und die rechte Lega mögen sich in ihrer Antisystemrhetorik einig sein und bei den Wählern punkten; aber in den meisten anderen Politikbereichen vertreten die beiden Regierungspartner diametral entgegengesetzte Positionen.

Anschaulich zeigt sich dies derzeit beim geplanten Mont-Cenis-Basistunnel für die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Lyon und Turin: Während Salvini am Wochenende eine Baustelle besuchte und den Bahntunnel als "unverzichtbar" bezeichnete, erklärte Di Maio am gleichen Tag, dass die Röhre "niemals gebaut wird, solange wir an der Regierung sind".

Der Ton wird schärfer

Selbst die Maßnahmen, denen sie ihre Popularität verdanken, waren letztlich Kompromisse: Bei den Lega-Wählern im Norden ist das Grundeinkommen, das zu einem guten Teil in den armen Süden fließen wird, ein Ärgernis. Die harte Antiausländerpolitik und die derbe fremdenfeindliche Rhetorik Salvinis wiederum gehen vielen Anhängern der Protestbewegung Beppe Grillos zu weit.

Der Ton unter den Koalitionspartnern ist daher schärfer geworden: "Salvini will den Basistunnel? Er soll lieber aufhören, uns auf den Sack zu gehen – oder er kann zu Berlusconi zurückkehren", erklärte der bei der Basis der "Grillini" überaus populäre Exabgeordnete Alessandro Di Battista in Anspielung auf eine frühere Mitte-rechts-Koalition aus Lega und Forza Italia.

Die wenigen Gemeinsamkeiten zwischen den Fünf Sternen und der Lega scheinen inzwischen aufgebraucht: Der Populisten regierung fehlt ein Plan und eine gemeinsame Vision, was aus Italien werden soll. Das Einzige, was das Triumvirat noch zusammenhält, ist der Wille zur Macht. Vor den Europawahlen Ende Mai wird es kaum zum Bruch kommen. Doch danach könnte durchaus dieses Szenario eintreten: Salvini lässt die Regierung platzen, um mit Silvio Berlusconi und weiteren Rechtsparteien eine neue Regierung zu bilden. Mit ihm, Salvini, als Premier. (Dominik Straub aus Rom, 4.2.2019)