Franz Baron Nopcsa kleidete sich in Nordalbanien "bald als Malessore, bald als Shkodraner, bald jedoch als Krasniqi mit glattrasiertem Kopfe und mit prächtiger Skalplocke am Scheitel".

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Er schmierte sich welke Nussbaumblätter ins Gesicht, um – als Hirte getarnt – ausreichend gebräunt zu sein. Er schrieb Spionageerkenntnisse mit Zitronensäure auf Papier und schickte diese nach Wien. Er machte sich über k. u. k. Beamte lustig, die sich darüber beschwerten, "dass ein auf silbernem Tafelgeschirr aufgetragener Eszterházy-Rostbraten nicht weich genug sei". Er setzte sich für die Unabhängigkeit von Albanien ein. Er wollte König von Albanien werden. Er schmuggelte Käse von Rumänien nach Ungarn. Er stellte im Ersten Weltkrieg eine Freiwilligentruppe in Albanien zusammen. Der Baron wusste selbst wahrscheinlich gar nicht, wie sehr er schillerte.

Franz Nopcsa von Felső-Szilvás wurde 1877 im heutigen Rumänien geboren und ging ins Theresianum in Wien zur Schule. Bereits 1895 entdeckte er in seiner Heimat, dem damaligen Ungarn, fossile Knochenreste eines Dinosauriers. Nopcsa studierte daraufhin Paläontologie in Wien und wurde schon früh als Wissenschafter berühmt. 2007 wurde der Saurier Nopcsaspondylus nach ihm benannt – er hatte ihn mehr als hundert Jahre zuvor genau beschrieben.

Nopcsa war aber nicht nur Paläontologe, er war auch Geologe, Ethnologe und Albanologe. Er hatte Kontakte zu anderen Gelehrten in ganz Europa und war zu Gast in den wichtigsten Klubs in London. Er schrieb 186 Bücher – darunter viele über Nordalbanien, das Leben der Stämme, das Gewohnheitsrecht, den Kanun. Aus seinen Tagebuchaufzeichnungen zwischen 1897 und 1917 machte er im Jahr 1929 das Buch "Reisen in den Balkan".

Süffisanter Nopcsa

Seine Erinnerungen begleitet er mit Süffisanz und leichtfüßigem Humor. So erzählt Nopcsa etwa von einem Ritt auf einem "angeblich guten" Pferd folgendermaßen: "Das Pferd hatte allerdings einige kleine Nachteile. Es war 1.) hochgradig dämpfig, 2.) konnte nicht in Trab gehen, 3.) rutschte und stolperte mit den Hinterfüßen und 4.) kroch in Schritt wie eine Schnecke. Sonst war es aber gut. Es hatte zwei Augen und vier Füße, einen Schweif und alles, was ein Pferd braucht."

Nopcsa konnte jedoch nicht nur amüsant sein, sondern auch unsympathisch, antisemitisch, eitel, selbstbezogen und gemein. Er war oft krank, kämpfte mit starken Gefühlszuständen, und er war von einem absonderlich starken Abenteurer-Gen getrieben. Auf seinen Reisen im Osmanischen Reich entging er angeblich Anschlägen, bei denen Kugeln seinen Hut durchlöcherten. Die osmanischen Behörden schickten 300 Soldaten, um Nopcsa zu verhaften, was misslang. "Doch nahmen die türkischen Truppen an meiner Stelle drei Geiseln" und hofften "von den Stämmen Kelmendi und Shkreli meine Auslieferung zu erzwingen", berichtete er.

Faustpfand für einen Möchtgern-Bimbasch

Nopcsa machte es eine tierische Freude, die osmanischen Behörden zu ärgern und mit diversen Spielchen von seiner Überlegenheit zu überzeugen. Sein Buch gibt aber auch Auskunft darüber, wie ihre Herrschaft an der Peripherie bröckelte: "Die Soldaten hatten Uniformen, aber einige Knöpfe fehlten. Die Kavalleristen hatten Sporen, aber häufig nur den einen. Zwischen Shkodra und Puka gab es eine Telegrafenleitung, aber die Isolatoren waren gebrochen", schrieb er über den Zerfallszustand.

Wie sehr Korruption und andere Methoden der Selbstbereicherung üblich waren, erfährt man auch, wenn er berichtet, wie er von dem "dibranischen Räuber" Mustaf Lita gefangen genommen wurde, "nicht um mir zu schaden, sondern um den Sultan, weil er ihn nicht zum Bimbasch ernannt habe, zu ärgern." Ein Bimbasch war ein osmanischer Major. Und Nopcsa diente quasi als Faustpfand für das Zum-Bimbasch-ernannt-Werden. Wer Nopcsa liest, kann viel über die Politik der Osmanen, aber auch über die Monarchie lernen. So zitiert er etwa den damaligen Ministerpräsidenten Cisleithaniens, Eduard Graf Taaffe (1833–1895) mit den Worten: "Österreich-Ungarn ist eben bloß ein Konglomerat, in dem weitergewurstelt wird."

Stämme im Norden bewaffnen

Nach der Annexion von Bosnien-Herzegowina bot er dennoch dem Generalstabschef Franz Xaver Josef Conrad von Hötzendorf seine Dienst an. Nopsca versuchte die Stämme in Nordalbanien zu bewaffnen – zur Kriegsvorbereitung gegen Serbien und Montenegro. Albanien war damals Teil des Osmanischen Reichs, und der Waffenschmuggel sollte über die Adria erfolgen – die Waffen sollten an der nördlichen Küste Albaniens an Land gehen. Ich "kam am 13. Jänner, 600 scharfe Mannlicher-Patronen am Leib mit schmuggelnd, was 25 Kilo wog, nach Shkodra", schreibt er.

Das Unterfangen misslang aber, weil man in Wien Angst hatte, dass der Schmuggel auffliegen könnte und Russland daraufhin scharf reagieren würde. "Es zeigte sich, dass die Leute am Ballhausplatz schlechte Schmuggler seien", schrieb Nopsca böse. An anderer Stelle formulierte er noch härter: "An der ganzen Aktion zeigte sich schon damals, wie der Ballhausplatz marastisch und dabei inkonsequent und dumm war." Die Abneigung war nicht einseitig. Auch das österreichische Außenamt lehnte den intriganten Nopcsa ab. Der Souschef des Generalstabschefs Rudolf Langer sagte zu ihm: "Baron, ich kann Ihnen versichern, schon Ihr bloßer Name wirkt am Ballhausplatz wie ein rotes Tuch."

Börsenspekulationen am Ballhausplatz

Schließlich kam es auch zum Bruch zwischen Nopcsa und Alois Lexa von Aehrenthal, der von 1906 bis 1912 das Außenministerium führte. Nopcsa hatte den Beamten des Ministeriums des Äußeren während des Winters 1912/1913 sogar Börsenspekulationen vorgeworfen. Sie sollen durch gezielte Informationspolitik über politische Vorgänge "wissentlich verschiedene Börsenpapiere vierzehn Tage lang grundlos steigen" lassen haben, "um sie dann plötzlich von einem Tage auf den anderen zu stürzen", schrieb er.

"Es scheint, dass speziell der Chef des Pressedepartements, der in Wien auf viel größerem Fuße lebte, als es ihm sein kleines, einige 100 Joch betragendes Gut in Ungarn gestattet hätte, in der Sache kompromittiert war, denn dieser wurde später trotz gut österreichischer Vertuschungsmanier nach Mexiko entfernt. Die übrigen Schuldigen leben aber noch in allen Ehren", so Nopcsa. Selbst Thronfolger Franz Ferdinand soll demnach spekuliert haben.

König von Albanien

Politisch stand Nopcsa eher auf der Seite von Franz Ferdinand und unterstützte einen "möglichst schnellen" Waffengang mit Serbien und Russland. Er verlangte schon früh ein autonomes Albanien – "so schnell und so groß wie möglich" –, "damit sich dieses beim unvermeidlichen Niederbruch der Türkei automatisch in einen unabhängigen Staat verwandele". Es ging ihm auch darum, die Einflusssphären von Österreich-Ungarn gegen Italien zu sichern. 1912 wurde der Staat Albanien schließlich mithilfe Österreichs Wirklichkeit.

Nopcsa studierte Paläontologie in Wien und wurde schon früh als Wissenschafter berühmt
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1913 suchte man dann nach einem König für Albanien, und Nopcsa brachte sich selbst ins Gespräch. "In erster Linie kam damals Graf Urach von Württemberg in Betracht, dann hatten sich ein ägyptischer Prinz, Achmed Fuad, und sogar der Sohn des Marchese Castriota aus Neapel gemeldet. Unter solchen Umständen beschloss ich einen Schritt zu unternehmen, der mich allerdings leicht lächerlich machen und meine ganze bisherige albanophile Arbeit in ein schiefes Licht stellen konnte, den ich in Anbetracht der Umstände aber dennoch wagte. Ich teilte Exzellenz Conrad mündlich mit, dass auch ich, falls ich vom Ballhausplatz unterstützt würde, bereit wäre, unter die Zahl der Thronkandidaten zu treten. (…) Einmal regierender europäischer Fürst, sagte ich, würde es mir ein leichtes sein, mir die übrigen notwendigen Geldmittel durch die mir sonst entschieden antipathische Heirat mit einer reichen, auf einen Fürstentitel aspirierenden Amerikanerin zu beschaffen", schrieb er über seine Botschaft an Conrad von Hötzendorf, seinen persönlichen Freund.

Zu den Schäfern nach Rumänien

Doch selbst der "Selbstaufopferungswille" des homosexuellen Gelehrten nützte nichts – Nopcsas Plan scheiterte. In Wien schüttelte man den Kopf, denn jeder wusste, dass Nopcsa keine Chance hatte, weil etwa Italien nie zugestimmt hätte. 1914 bestieg der deutsche Fürst Wilhelm Friedrich Heinrich Prinz zu Wied den Thron Albaniens. Nopcsa war enttäuscht und wandte sich ab. Er hängte sich wieder einmal den Schafspelz um, setzte sich eine Lammfellmütze auf und ging in die rumänischen Berge zu den Schäfern. Er zog wochenlang mit den Hirten umher.

Auf der einen Seite idealisierte er dieses Leben: "Nach so einem Spaziergange legt man sich wieder zusammen nieder, der eine plaudert, der andere spielt Flöte, oder man schließt die Augen und verträumt sein Dasein." Auf der anderen Seite beschrieb er die Brutalität der Hirten: "Dass sie sich mit ihren Knüppeln prügeln, ist noch natürlich. Es kommt aber vor, dass Schafdiebe bei den Füßen über ein Feuer aufhängt und bis zur Besinnungslosigkeit geräuchert werden."

Liebe zum Balkan und zu Bajazid

Nopcsa war zwar ein arroganter Adeliger, aber alles andere als ein verwöhnter Mitteleuropäer – im Gegenteil. Er liebte den Balkan aufgrund seiner Unwegsamkeit, der Überraschungen wegen. So echauffierte er sich über die Möglichkeiten, die Touristen in den Schweizer Alpen vorfanden. "Da ist mir Albanien mit seinen Gefahren und Abenteuern, mit seiner herrlichen Farben und fast unmöglichen Beleuchtungseffekten, dann seinen lustigen und primitiven, aber eben deshalb interessanten Menschen trotz des Mangels an Komfort und guten Wegen tausendmal lieber", schrieb er. Sicherlich wollte er so manchen Konventionen entfliehen.

Nopcsa lebte offen schwul, benannte seinen Lebensgefährten zwar nicht als solchen, aber behandelte den Albaner Bajazid durchaus so. Über den geliebten Partner schrieb er: "Am 20. November habe ich in Bukarest Bajazid Elmas kennengelernt. Bajazid ist seither bei mir geblieben, und nach dem Tode von Louis Drašković war er der einzige Mensch, der mich wirklich gern hatte, dem ich daher in allem und jedem vollstes Vertrauen entgegenbringen konnte, ohne einen Augenblick zu befürchten, dass er es missbrauchen würde. Auch er hatte zwar seine Fehler, aber diesem Vorteil gegenüber nahm ich sie gerne mit in Kauf. Aus Hass gegen alles, was österreichisch-ungarisch ist und, da ich mich speziell in Albanien betätigte, aus Hass gegen mich, ermordeten die Serben Bajazids Vater und seinen Bruder in Stirovica 1913."

Skalplocke am Scheitel

Nopcsa kam auf seinen Reisen den albanischen Stämmen und ihrem Denken sehr nahe. "In den Augen der Malessoren ist überhaupt nur derjenige ein Mann, der seine Waffe zu führen weiß", schrieb er. Er trug die traditionellen Kleider. Er ließ sich das Haar bis auf einen "Perce", eine Haarquaste am Scheitel, rasieren. Als Montenegriner gegen ihn ein Kopfgeld aussetzten, kleidete er sich "bald in europäischen Kleidern, bald als Malessore, bald als Shkodraner, bald jedoch als Krasniqi mit glattrasiertem Kopfe und mit prächtiger Skalplocke am Scheitel. Statt der Schuhe trug ich meinem Kostüm entsprechend meist Opanken. In Shkodra war ich im ganzen bloß einige Tage, sonst lebte ich in der Regel als Albaner bei Albanern und relativ wenig bei den Pfarrern."

Weil er bald als Einheimischer gesehen wurde, bekam er auch die Märchen zu hören. "Dass ich in Albanien auch das Wahrsagen aus den Schulterblättern geschlachteter Ziegen und Schafen und dergleichen 'Kleinigkeiten' erlernte, versteht sich von selbst", schrieb er. "'Tamam shqiptar' – 'ganz wie ein Albaner', das ist das höchste Lob , das man dann einheimst", schrieb er. Und Nopcsa war tatsächlich ein "tamam shqiptar".

"Ein Bacchanal von Farben"

Der hagere Mann kaufte sich Loyalitäten und Ansehen, indem er in Nordalbanien Geld verteilte. "So gewann ich langsam an Prestige, und dies ist in persönlichem Verkehr, zumal im Orient, das größte Gut. Man bekommt es durch Pflanzmachen und überlegene Ruhe", erklärte er. Es war mehr als Zuneigung zur Region: Nopcsa begab sich "in den Balkan" hinein, lernte die Dialekte, identifizierte sich mit den Menschen und der Landschaft.

"Die Dolomitberge der Nemanja – Kette glühten karminrot, und jenseits der Qafa e Boshit sah man den glühenden Sonnenball in dem grell orangefarbenen Meer versinken. Es war ein Bacchanal von Farben", schrieb er. Er war wie angesteckt, ein echterer Karl May als Karl May selbst. Er lernte etwa, wie man Blutsbruder wurde: "In Gegenwart von Qerim Sokolis Vetter Deli Nou, als Zeuge, unterbanden wir uns den kleinen Finger der rechten Hand, entzogen ihm mit einem Nadelstich einen Blutstropfen, befeuchteten hiemit zwei Zuckerstücke, die wir uns gegenseitig zum Essen gaben, dann umarmten wir uns zweimal unter dem Rufe 'për hair'." Er wurde ein "Kum", ein Pate für ein Kind, wie man das auf dem Balkan nennt, und er löste Blutrachekonflikte, die ohne ihn wohl mit Totschlag geendet hätten.

Verwirrung rund um die "Tippmamsell" Kistner

Die Aufzeichnungen des Barons sind Zeitzeugnisse, etwa über die Spionage, wie man sie damals für Österreich-Ungarn durchführte. So übermittelte er mehrere Telegramme pro Tag nach Wien und schrieb diese offiziell als Liebesbriefe an eine "Tippmamsell" namens Anna Kistner der damaligen Wochenzeitung "Die Zeit". In Wahrheit waren sie an den damaligen Chefredakteur Heinrich Kanner gerichtet – die wirklich wichtigen Informationen basierten auf einer vereinbarten Chiffrierung.

Das Unterfangen lief gut, "bis eines meiner allersüßesten Telegramme Sonntagvormittag in Wien, in der Zeit-Redaktion, zu einer Stunde eintraf, wo genannte Kistner nicht im Amt war und der eifrige Redaktionsdiener den unglückseligen Gedanken hatte, ihr dieses Telegramm in die Wohnung zuzustellen", beschrieb Nopcsa die Angelegenheit.

Ehekrise wegen Nopsca

Die Geschichte endete beinahe tragisch. "Hier fiel es in die Hände des rechtmäßigen, aber leider in die ganze Sache nicht eingeweihten Gatten der genannten Kistner. Es wurde – horribile dictu – von ihm gelesen und hierauf und zwar scheinbar mit Recht als flagranter Beweise eines unter der Deckadresse der Redaktionsstube betriebenen Ehebruches gedeutet. Unter Tränen beschwor die Kistner ihren Gemahl, die Sache nicht zu glauben, und sie erklärte ihm nun alles."

Die Sache war damit aber, so Nopcsa, noch nicht ausgestanden: "Er wollte sich aber doch nicht überreden lassen, und da Sonntagnachmittag Dr. Kanner, der Einzige, der hätte Aufklärung geben können, auch nicht in der Redaktion der Zeit war, so vergingen für beide Eheleute bis Montagvormittag fürchterliche Stunden. Dann schleifte Herr Kistner seine Gattin an den Haaren zu Dr. Kanner, worauf sich dann freilich die ganze Sache in Wohlfallen löste. Die Ehetragödie war vorläufig das einzige handgreifliche Resultat meiner Reise nach Albanien."

Lustig ist auch Nopcsas Beschreibung des damaligen Bischofs des katholisch geprägten Shkodra, Lazër Mjeda. Dieser protestierte theatralisch gegen jene Männer in der Gemeinde, die Konkubinen hatten. "Nach der feierlichen Ostermesse entledigte er sich coram publico seiner Messkleider, warf Mitra und Krummstab plötzlich zu Boden und, statt zu segnen, fluchte er öffentlich den kokubinattreibenden Familien", berichtet der Baron. Man kann sich das alles so gut vorstellen.

Sozialkritische Seite

Einiges von dem, was man in Nopcsas Buch findet, kann man noch heute auf dem Balkan finden, etwa die Reformversprechungen, die oft im Widerspruch zur Wirklichkeit stehen. Über den Generalinspektor von Mazedonien schrieb Nopcsa etwa, dass dieser "den Intentionen des Sultans gemäß jahrelang zum Scheine reformierte".

Der Baron hatte auch eine sozialkritische Seite: "Ehe man nicht selbst Schafhirte war, begreift man nicht, wie bescheiden und wie verschüchtert ein Bauer Herren gegenüber auftreten muss, und wie jeder, der europäisch gekleidet ist, einen, der es nicht ist, herrisch anfährt", schreibt er. "Ich habe ein halbes Jahr lang als Hirt so gelebt und würde wünschen, dass viele andere große Herren meinem Beispiele folgen. Man lernt mehr verstehen als aus tausend Werken." Nopcsa sah in einer "sei es erzwungenen Klassenversöhnung die einzige Möglichkeit, die allen mehr oder weniger gemeinsame Kultur zu retten".

Eitle Barbaren

Dies könne man nur auf Kosten der "Allzureichen" oder der "Volksfremden" machen, analysierte er und hatte offenbar Vorahnungen. Er kritisierte offen den Nationalismus: "Bei den Franzosen gilt alles Alte in Europa gleich für gallisch, bei den Deutschen alles für germanisch, bei den Tschechen alles für slawisch. Die Italiener preisen die mittelländische kleine dolichokephale Rasse. Wir Europäer sind eben noch eitle kindische, technisch hochstehende Barbaren."

Obwohl er sowohl in Österreich-Ungarn als auch im Osmanischen Reich viele verärgert hatte, Reiseverbote bekam und kaum jemand mehr mit ihm zusammenarbeiten wollte, half er im Ersten Weltkrieg dem k. u. k. Oberkommando, albanische Freischaren aufzustellen. Er versammelte 1916 etwa 2000 Mirditen, musste aber dann wegen der chaotischen Heeresführung sein Unternehmen abbrechen. "Während wir an der Front dringend Gewehre und Munition brauchten, gefiel sich dieses Vieh (so nannte er einen Hauptmann, Anm.) darin, diese Leute in Shkodra mit Gewehren auszurüsten und ihnen Kindereien wie Doppelreihen rechts um, Doppelreihen links um und Paradeschritt zu lehren".

400 Oka Mais, zwei Teppiche, zehn Hühner

Nopcsa war zu Recht enttäuscht von den österreichischen Truppen. "Waren meine Mirditen nach Ansicht der k. u. k. Offiziere Räuber, nun so waren die k. u. k. Truppen, wie ich mich bald überzeugte, mehr als Räuber." Nopcsa beschrieb, wie sie im Ersten Weltkrieg unverschämt stahlen und islamische Gotteshäuser niederbrannten. "Zerstört wurden die Haxhi-Bajrami-Moschee, dann die Karasai-Moschee, die Große Moschee der Medrese, deren Bretterboden überflüssigsterweise zu Feuerungszwecken verwendet wurde."

Die k. u. k. Soldaten "bedienten" sich auch einfach in den Dörfern. "Dem Vat Nika nahm man dort 400 Oka Mais, 300 Oka Hafer, 200 Oka Maisstroh, 200 Oka Heu, zwei Teppiche und zehn Hühner." Nopcsa berichtete alles nach Wien: "Einen in Prizren gestohlenen, sehr wertvollen Brautschleier konnte ich später auf der Fahrt von Castellnuovo über Sarajevo nach Brod bei einem Hauptmann selbst erblicken."

Nopcsa kehrte nie mehr nach Albanien zurück, obwohl ihn das Land nicht losließ. Mit dem Kriegsende 1918 musste seine Familie in Ungarn alles aufgeben. "Da ich mit allen Fiebern an dem Schloss hing, konnte ich die Wahrheit fast nicht begreifen. Es schien mir, als sollte meine Welt und meine Vergangenheit versinken", schrieb er über die letzten Tage in seiner siebenbürgischen Heimat. Die Zwischenkriegszeit war auch für ihn wie das Ende eines "feinen Csardaskavaliers".

Zerrüttetes Nervensystem

Er arbeitete am geologischen Institut in Budapest, bis er sich dort mit allen verkrachte. Er reiste mit dem Motorrad durch Italien, er besuchte die wichtigsten Klubs in London. Doch Nopcsa hatte zunehmend Geldsorgen, er wollte sogar seine Bibliothek verkaufen.

Am 26. April 1933 nahm sich Nopcsa in der Singerstraße in Wien das Leben. Der 55-Jährige habe "seinen langjährigen Sekretär, den 45-jährigen Albaner Bajazid Elmas Doda, erschossen und sich dann selbst in seinem Arbeitszimmer vor dem Schreibtisch durch einen Schuss in den Mund entleibt", schrieb die Neue Freie Presse. Er selbst schrieb zu den Gründen für den Suizid: "Die Ursache meines Selbstmordes ist zerrüttetes Nervensystem. Dass ich auch meinen langjährigen Freund und Sekretär, Herrn Bajazid Elmas Doda, im Schlafe und ohne dass er es vorausgeahnt hätte, erschossen habe, liegt darin, dass ich ihn krank, elend und ohne Geld nicht auf der Welt zurücklassen wollte, da er dann zu viel gelitten hätte. Ich wünsche verbrannt zu werden."

Umsonst von absoluten Werten faseln

Zu Beginn seiner Aufzeichnungen hatte Nopcsa übrigens in einem beinahe Voltaire'schen Ton verraten, weshalb er trotz allem vieles zu Papier brachte: "Allenthalben sah ich, wie der Mensch in voller Überzeugung verschiedenartig ringt, allenthalben sah ich, wie die Blätter sprießen und verwelken, und ich kam zum Resultate, dass wir umsonst von absoluten Werten faseln. Stets ist es der Schätzende, der den Wert irgendeiner Sache festlegt, doch sind bei einer solchen Weltanschauung Pessimismus oder Optimismus in gleicher Weise nicht am Platze. Will man sich unbedingt an einen immer gültigen Grundsatz halten, so kann er nur vanitas vanitatum lauten." (Adelheid Wölfl, 4.2.2019)