Eine Blauracken-Population lebt im Nationalpark Kiskunsag. Vielleicht eine Hoffnung für die Artgenossen in der Steiermark: Eier aus den Nestern in Ungarn könnten hier eingebracht werden.

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Noch kann man ihnen begegnen, wenn auch eher zufällig. Zu übersehen sind die Tiere allerdings kaum. Ihr leuchtend blaues Gefieder macht sie gewissermaßen zu Rockstars unter den Vögeln. Laien mag dieser Anblick verwirren: Ist da etwa jemand aus dem Zoo entflogen? Keinesfalls.

Die Blauracke, zoologisch Coracias garrulus, gehört eigentlich genauso zur heimischen Fauna wie der Weißstorch oder die Nachtigall. Leider jedoch könnte das bald Vergangenheit sein, denn die bunten Flieger stehen in Österreich kurz vor dem Aussterben.

Die letzte Restpopulation lebt in der Südoststeiermark unweit der Grenze zu Slowenien. Es gibt dort nur noch acht bis zehn Exemplare, erklärt der Biologe Peter Sackl vom Universalmuseum Joanneum in Graz. Und die Aussichten für ihr Überleben sind düster.

In der Steiermark zu Hause

Einst war die Blauracke in den flacheren Landesteilen Österreichs weitverbreitet. 1952 wurden allein in der Steiermark noch mehr als 250 Brutpaare nachgewiesen. Weiter nördlich kam die Art bis nach Schweden und Estland vor.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten in vielen europäischen Regionen zum Teil drastische Bestandsrückgänge ein. Die schwedischen, deutschen, tschechischen und slowenischen Populationen sind mittlerweile erloschen, im Baltikum droht ebenfalls das Ende.

Die Hauptschuld daran scheint die moderne Landwirtschaft zu tragen. In ihren ausgeräumten Ackerfluren findet Coracias garrulus schlicht kein Auskommen mehr.

Ohne Hecken chancenlos

Von der dramatischen Entwicklung alarmiert, starteten steirische Naturfreunde bereits Ende der 1980er-Jahre ein Schutzprojekt mit dem Ziel, zumindest die letzte Blauracken-Hochburg auf österreichischem Boden zu erhalten. Peter Sackl ist seit vielen Jahren daran beteiligt. "Die Blauracke ist ein typischer Charaktervogel der Kulturlandschaft", betont er. Aber eben nicht jeder Art von Kulturlandschaft. Auf die Struktur kommt es an.

Ohne jene Hecken, Feldgehölze und Grasflächen, die früher fast allgegenwärtig waren, haben die Vögel keine Chance. Sie finden weder Futter noch Nistgelegenheiten. Coracias garrulus ist ein Langstreckenzieher. Die Brutgebiete liegen in Europa und Westasien, überwintert wird in Afrika südlich der Sahara.

Doch trotz dieser Mobilität sind Blauracken erstaunlich heimattreu. Die Jungvögel lassen sich zum Brüten immer wieder dort nieder, wo sie aufgewachsen sind, erklärt Sackl. Mit erheblichen Folgen für den Artenschutz. Bei geografisch isolierten Populationen führt die Verbundenheit schnell zu mangelndem genetischem Austausch. Es droht Inzucht.

Verarmter Genpool

In Österreich ist dieser Effekt offenbar schon eingetreten. Die letzten steirischen Blauracken stehen seit 2002 unter intensiver Beobachtung. Jeder einzelne dort geschlüpfte Jungvogel wurde erfasst – inklusive der Entnahme von Blut- und Federproben. Ein Expertenteam hat dieses Material nun genetisch analysiert und mit dem Erbgut von Exemplaren aus anderen Populationen sowie präparierten Tiere aus dem Naturhistorischen Museum Wien (NHM) verglichen. Insgesamt umfasst der Datensatz 122 Tiere.

Die vor wenigen Wochen im Fachmagazin "Journal of Zoological Systematics and Evolutionary Research" publizierten Untersuchungsergebnisse attestieren dem verbliebenen österreichischen Blauracken-Bestand eine klägliche Verarmung seines Genpools.

Alle sind eng miteinander verwandt. Inzucht hat vermutlich schon stattgefunden, glaubt Carina Nebel, Populationsgenetikerin am NHM und Erstautorin der besagten Studie. Interessanterweise jedoch scheinen sich die Vögel nicht gern mit Familienmitglieder zu paaren.

2018 fand hierzulande zum ersten Mal kein Brutversuch mehr statt. Dies könnte auf einen Mechanismus zur Inzuchthemmung hinweisen, meinen Carina Nebel und Peter Sackl. Genaueres sei hierzu allerdings noch nicht bekannt.

Entgegen aller Proteste

Das Verschwinden der farbenprächtigen Tiere war nicht unabwendbar. In der Südoststeiermark zeigte das Biotopmanagement anfangs durchaus Wirkung, wie Sackl berichtet. 2007 kam leider der erste große Rückschlag. Trotz vehementer Proteste wurde eine Hochspannungsleitung quer durch den letzten Blauracken-Lebensraum gezogen – mitten in der Brutzeit. Fünf Paare gaben ihre Gelege auf.

Ein solcher Eingriff verstieß schon damals gegen die Artenschutzrichtlinien, sagt Peter Sackl. "Aber man nimmt diese Gesetze in Österreich nicht so ernst." Zwei Jahre später folgte die zweite Katastrophe: Ein sommerlicher Kaltwettereinbruch tötete dutzende Nestlinge. Seitdem hat sich die Population nicht mehr erholt.

Verödung und Insektenschwund

Langfristig gesehen ist Coracias garrulus ein Opfer der ökologischen Verödung ganzer Landstriche und des Insektenschwunds. Blauracken fressen hauptsächlich größere Kerbtiere wie Heupferde, Rosenkäfer, Maulwurfsgrillen, Hirsch-, Mai- und Junikäfer. Die sind vielerorts kaum noch zu finden. "Unsere Landschaft gibt diese Biomasse nicht mehr her", erklärt Peter Sackl.

Die Insekten leiden nicht nur unter massiven Pestizideinsätzen, ihnen fehlen oft auch Kleinhabitate und Futterpflanzen. Für die Vögel wiederum macht sich der Mangel vor allem während der Jungtieraufzucht bemerkbar, wenn die Elterntiere praktisch den ganzen Tag Nahrung herbeischaffen müssen.

Die österreichischen Blauracken hätten zumindest theoretisch noch eine letzte Chance. Eine Blutauffrischung – Fachleute bezeichnen sie als "genetic rescue" – könnte dem Bestand neue Vitalität verleihen. Dazu müssten Eier oder Küken von anderswo in die Nester hiesiger Brutpaare eingebracht werden. Nur so wäre gewährleistet, dass die Jungvögel später wieder in die Steiermark zurückkehren und sich mit Ansässigen kreuzen.

Eine geeignete "donor population" ("Spenderpopulation") lebt rund 250 Kilometer entfernt im ungarisch-serbischen Grenzgebiet. Diese Blauracken und ihre österreichischen Artgenossen, auch das haben Carina Nebel und ihre Kollegen aufgezeigt, bildeten einst wahrscheinlich einen flächendeckenden Großbestand. (Kurt de Swaaf, 11.2.2019)