Der Snowcatcher misst Lawinenkräfte.

Foto: Bundesforschungszentrum für Wald

Der Schutz vor Lawinen ist aufwendig. Die Alpen sind voll von teuren Bauten, die die losbrechenden Schneemassen auf die eine oder andere Art aufhalten sollen. Lawinengalerien überspannen Straßen und bewahren vor unterbrochenen Verkehrsverbindungen.

Lawinendämme schützen ganze Siedlungen oder Ortsteile. Optisch am präsentesten sind aber die Verbauungen im Anrissgebiet der Lawinen – Stützverbauten aus Holz oder Stahl, die ganze Gipfelhänge in vielen Reihen überspannen. Sie sorgen dafür, dass der Schnee "oben bleibt", also gar nicht erst in Bewegung gerät. Sie müssen aber meist fertigmontiert auf den Berg geflogen und im schwierigen Gelände gut verankert werden.

Tiroler Entwickler wollen das Angebot an Schutzbauten nun um eine Variante erweitern. Die Verbauung soll dabei von den Berggipfeln heruntergeholt werden. Ähnlich wie Steinschlagnetze sollen Stahlnetze in der Auslaufzone von Lawinen positioniert werden, um Häuser, Skigebiete oder andere Infrastrukturen zu schützen; eine Variante, die jedenfalls im Vergleich zu den flächig verbauten Stahlschneebrücken an den Gipfelhängen günstig ausfallen würde.

Doch funktioniert das? Welche Kräfte entwickeln Lawinen, wenn sie in einer engen Sturzbahn ins Tal tosen? Und bis zu welchem Grad können die Schneemassen durch derartige Konstruktionen aufgehalten werden?

Versuch im Stubaital

Diese Fragen sollen in einer Versuchsanordnung im Stubaital beantwortet werden. In einem Projekt, das das Bundesforschungszentrum für Wald gemeinsam mit Anbieter Trumer Schutzbauten und weiteren Partnern durchführt, wurde der zu testende Prototyp mit geeigneten Sensoren ausgestattet und in einem Lawinenhang positioniert. Die Daten sollen dabei nicht nur der Weiterentwicklung der Schutzbauten dienen, sondern auch der Lawinenforschung zugutekommen.

"Wir haben nach einem Standort gesucht, an dem auch in schneearmen Wintern zumindest zwei Lawinen pro Jahr herunterkommen", erklärt Engelbert Gleirscher von der Abteilung Schnee und Lawinen des Instituts für Naturgefahren des Bundesforschungszentrums.

Aus mehreren Kandidaten wählten sie, auch aufgrund der Nähe zu Innsbruck, einen Lawinenstrich bei Ranalt im Stubaital. Der schneereiche Winter im ersten der drei Testjahre bescherte den Forschern bisher gleich vier Lawinenereignisse. Eine der Lawinen ging an einem Nachmittag ab und konnte sogar auf Videoaufnahmen festgehalten werden.

Snowcatcher mit Sensoren

Der Snowcatcher – so nennen die Entwickler den neuen Schutzbau – besteht aus einem Netz mit zwölf Metern Spannweite, das über mehrere lambdaförmige Rahmenelemente gespannt ist; eine Konstruktion, die auch dem Erfordernis entspricht, aufgestauten Schnee maschinell räumen zu können. Das ganze System ist mit neun Meter langen Ankern im Erdreich gesichert, beschreibt Gleirscher.

Bremselemente, die diesen Ankern vorgelagert sind, dehnen sich ab einem Krafteinfluss, der etwa zwei Tonnen entspricht, wie Federn. "Bei den bisherigen Events wurde bereits eine Maximallast von über acht Tonnen erzeugt", erläutert der Forscher. Die federartigen Bremsen kehren nach starken Belastungen nicht in ihre Ausgangsposition zurück. Damit die Kabel langfristig nicht reißen, müssen sie immer wieder ausgetauscht werden.

Um die Kräfte zu vermessen, die hier auftreffen, wurde im Rahmen des Projekts eine Reihe von Sensoren verbaut: Zwischen Seilen und Ankern sind insgesamt acht sogenannte Messschäkel eingebaut, die die Zugkräfte erfassen, die beim Einschlag einer Lawine an den Seilen entstehen.

In den Rahmenelementen sind zudem vier Messbolzen integriert, die die Kräfte registrieren, die auf den Trägern auftreffen. Die hochauflösenden Daten – 100 Messungen pro Sekunde – fließen in einem nahe gelegenen Container zusammen und werden an die Server des Bundesforschungszentrums geschickt. "Als bei einer Lawine eines der Seile gerissen ist, konnten wir eine Vervielfachung der Kräfte innerhalb von zehn Millisekunden feststellen", veranschaulicht Gleirscher.

Umlenkung

Das Datenmaterial, das bei solchen Schäden entsteht, deutet darauf hin, wo man die Konstruktion noch verstärken muss. Bisher habe sich gezeigt, dass durchaus eine Abbremsung und Umlenkung erfolgt, erklärt Gleirscher. "Es wird Energie aus der Lawine rausgenommen. Für die Entstehung hoher Kraftspitzen an der Konstruktion macht es aber einen großen Unterschied, ob Bäume, Äste und anderes Geschiebe Teil der Lawine sind – dies hat letztendlich auch zu dem erwähnten Schaden geführt."

Wie hoch die Bremswirkung ist und wie sehr die Auslauflänge verkürzt wird, hängt in großem Maße auch von der Art der Lawine ab. Während bei Nassschneelawinen etwa ein großer Anteil zurückgehalten werde, kann bei Staublawinen ein Teil des Schnees das Netz durchdringen. Die Forscher haben drei Jahre Zeit, die Konstruktion – auch Faktoren wie die Maschenweite des Netzes – anzupassen und zu optimieren.

Vor der Installation des Snowcatchers im vergangenen Sommer wurde das Gelände mithilfe von Drohnenüberflügen vermessen, um anhand des so entstandenen Geländemodells sowie der Daten aus den bisherigen Ereignissen Lawinen simulieren zu können.

Verbesserungen und Repositionierungen können auf diese Art im Computer erprobt werden. Zudem kann aus den Daten auf das Volumen der Lawinen geschlossen werden. Auch wenn nicht zweimal dieselbe Lawine abgeht, helfen die Daten, das Wissen zu den gefährlichen Schneemassen zu verdichten. (Alois Pumhösel, 8.2.2019)