Die Wiener Autorin Barbara Zeman vor dem Wiener Belvedere: "Man muss nicht ins Museum gehen. Klimt kann man schließlich nicht ein Leben lang ertragen."

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Barbara Zeman, "Immerjahn", Hoffmann und Campe: Hamburg 2019.

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Wenn man sich in aller Herrgottsfrühe, wir faulen Wiener schlafen eigentlich noch um zehn Uhr, mit Barbara Zeman auf ihren Wunsch vor dem Belvedere treffen muss, ahnt man zunächst einmal Böses. Immerhin hat die 37-jährige Autorin soeben mit Immerjahn einen Debütroman veröffentlicht, der sich neben wesentlichen existenziellen Fragen, wie jener, warum Geld nicht glücklich macht (allerdings kein Geld auch nicht), beinahe ausschließlich um alte Ölschinken und deren Betrachtung dreht.

Im Gegensatz zu Zemans Best-Ager-Protagonist Gotthold Immerjahn "hasst", ja, "hasst" die Autorin aber Museen. Man werde in solchen zum langsamen Gehen und alle zwei Meter zum Stopp vor angeblich bedeutender Kunst gezwungen. Im Zeitlupenstakkato darüber nachzudenken, was uns der Künstler sagen will, während man von Busladungen quicklebendiger Japaner im Nacken gehetzt wird (in Japan ist es am Vormittag schon früher Abend!), beziehungsweise sich selbst einen edlen Geschmack einzureden: danke, nein.

Couch-Potato im Gemüse

Klimt und ein geschmalzener Eintrittspreis bleiben einem also erspart. Wobei man, wie es im Roman heißt, Klimt ohnehin nicht ein Leben lang ertragen könne. Stimmt. Barbara Zeman mag also keine Museen, erfährt man bei einem Spaziergang durch die bedrückende geometrische Ordnung des Belvedere-Gartens. Bei diesem geht es nicht um ein Interview, es geht um die frische Luft. Barbara Zeman ist eigentlich eine Couch-Potato. Also raus jetzt ins Gemüse, obwohl die Kälte in den Mantel kriecht.

Barbara Zeman "hasst" Interviews. Dialoge würden in der Niederschrift immer so gestelzt klingen. In Immerjahn wird zwar irgendwann in der zweiten Hälfte des Romans auch geredet. Das hilft dann aber auch nichts mehr. Alle Figuren im Buch stecken in ihren eigenen Bilderrahmen fest und erfüllen darin ihre zwänglerische Pflicht. Alles eine Frage der Perspektive und des Lichteinfalls. Form, taktile Qualität, Bewegung, Raumkomposition. Subjekt, Material, Technik.

Steinreicher Familienclan

Gotthold Immerjahn ist der Vorstand eines durch Zement steinreich gewordenen Familienclans. Er ist aufgrund fehlender Notwendigkeiten wie der einer Erwerbsarbeit ein wenig melancholisch gestimmt. Das Sammeln von hochpreisiger Kunst ist für ihn die einzige Möglichkeit, ordentlich Geld loszuwerden. Alles andere wäre zu billig. Irgendwann fasst Immerjahn den Plan, sein Haus und seine edle Sammlung als Museum zugänglich zu machen.

Damit Barbara Zeman für die im Hause Immerjahn herumhängenden Gemälde nicht in Museen gehen musste, hat sie sich beinahe ausschließlich Bilder ausgesucht, die sich im richtigen Leben irgendwo in Privatbesitz befinden. Ummauertes Feld mit aufgehender Sonne von van Gogh etwa wäre ein Beispiel. Apropos van Gogh. An dessen verschwommener Welt kann sich Immerjahn nicht sattsehen, weil er dann nicht außerhalb der Bilder fokussieren muss: "Beständig stand ihm die Welt in den Augen, versperrte ihm die Sicht, lenkte ihn ab, immerzu war er leicht verstimmt."

Wichtig sind die Details

Daneben existieren für Immerjahn nur Mühsal und Plagen. Jammern auf hohem Niveau. Irgendwo im Haus oder in den Klatschspalten der Illustrierten oder auf Fotos im Internet, immer mit Sektflöte in der Hand, geistert noch eine Ehefrau herum, die er irgendwann einmal wahrscheinlich geliebt hat. Eine mürrische Haushälterin, einen Hauswart, einen lebensmüden Sohn, der gerade als Schwimmer bei den Olympischen Spielen zur Goldmedaille krault, gibt es auch. Und es liegt irgendwo in einem Raum der von Mies van der Rohe entworfenen Villa seit Jahren ein ewig ermatteter Hausfreund herum. Der hat irgendwann vergessen, heimzugehen. Stimmt, er ist ja Architekt und soll die Villa zum Museum umgestalten. Oder was war da? Einen richtigen und sogar erfolgreichen Künstler gibt es im Umfeld von Familie Immerjahn auch noch, aber das wäre jetzt Spoilern.

Barbara Zeman hat mit Immerjahn nicht nur einen saukomischen, vom Hundertsten ins Tausendste kommenden Roman vorgelegt. Dieser steht, man darf das im Namen der Autorin sagen, ganz im Zeichen der "Ohr- und Zehennagel-Schule" des italienischen Kunsthistorikers Giovanni Morelli, der die Wichtigkeit eines Bildes und die Handschrift eines Malers einzig an den unwichtigen Details eines Bildes festmachte.

"Dekorationswahn"

Mit prächtig im betulichen, unendlich distinguierten Jargon der gebildeten Stände aus den Jahren des deutschen Wirtschaftswunders umherschweifender Sprache wird zwar die jüngere Moderne fallweise gestreift. Immerhin kommen im Buch bei Menschen in ihren besten Jahren nostalgisch verbrämte Unterhaltungscombos wie die Happy Mondays oder die Talking Heads vor. Allerdings wird bei den Protagonisten, die sich vor der Welt hinein in goldene Rahmen und in mit Patina getränkte Bilder retten, größter Wert auf eine nicht nur sprachliche Distanz gelegt.

Barbara Zeman erzählt während des Spaziergangs übrigens auch noch vom "Dekorationswahn" ihrer Mutter und davon, dass sie neben ihrer Arbeit als freie Journalistin auch jahrelang Frühstücksköchin in einem Lokal war – obwohl sie gar nicht kochen könne, was aber dem Besitzer egal gewesen sei. Außerdem sei sie eine schlechte Fernseherin, könne also nichts über gerade angesagte Serien als Literaturersatz sagen. Süchtig sei sie jedenfalls nach Youtube-Clips. So. Eigentlich mag Barbara Zeman nicht so gern von sich erzählen. Zumindest nicht außerhalb eines Buchs.

Immerjahn ist bei Hoffmann und Campe erschienen. Wer wissen will, ob das mit der Museumseröffnung klappt, wird sich dieses hervorragende Schelmenstück kaufen müssen. (Christian Schachinger, 6.2.2019)