Die Schüler Fatima Sharfadeen und Nwoah Amos Drambi planen mit Jibrilla Garba (von links) von der Friedensinitiative neue Aktivitäten.

Foto: Gänsler

Es ist Samstagnachmittag in Mubi, einer wichtigen Marktstadt im Nordosten Nigerias in der Nähe der kamerunischen Grenze. Die Klassenzimmer der Mundra Model School sind leer. Nur aus einem Raum dringen Stimmen. Fatima Sharfadeen und Nwoah Amos Drambi, beide 16 Jahre alt und Schüler, diskutieren angeregt. Sie wollen mehr Mitschüler für den Friedensklub ihrer Schule gewinnen. Jetzt planen sie Aktivitäten, um ihn populärer zu machen. "Den Klub gab es schon, als mein älterer Bruder 2013 hier seinen Abschluss gemacht hat. Danach war es ruhig. Seit einem Jahr gibt wieder mehr Angebote", sagt Nwoah Amos Drambi. "Das ist sehr wichtig. Meine Mitschüler sind schnell gereizt. Wir müssen lernen, in Frieden zusammenzuleben."

Ein friedliches Miteinander war in Mubi lange eine Selbstverständlichkeit. Ältere Bewohner beschreiben die Stadt gern als Schmelztiegel, in dem immer verschiedene ethnische Gruppen, Christen wie Muslime, Zugezogene und Alteingesessene, zu Hause waren. Als die Terrorgruppe Boko Haram die Stadt im Herbst 2014 besetzte, änderte sich das jedoch grundlegend. Vor allem Christen flüchteten, aber auch zahlreiche Muslime verließen die Stadt.

Nach Kamerun geflohen

Als die Kämpfer kamen, war Fatima Sharfadeen gerade zwölf Jahre alt. Doch ihr gelang es, die jüngeren Geschwister aus der Schule zum Haus des Onkels zu bringen. "Meine Eltern waren damals beide nicht hier", erzählt sie. Der Onkel floh mit den Kindern schließlich nach Kamerun, wo sie drei Monate blieben. Mittlerweile lebt die Familie wieder in Mubi. Doch die Erinnerungen sind geblieben.

Damit verbunden ist häufig großes Misstrauen. Die Geflohenen wissen bis heute nicht, wer damals mit Boko Haram kollaborierte, ob es eventuell sogar Freunde oder Nachbarn waren. Einige schlossen sich der Gruppe freiwillig an, andere unter Zwang.

337 Kirchen zerstört

Aufgearbeitet ist die Zeit bis heute nicht. Christen klagen etwa über die mindestens 337 Kirchen, die in Mubi und den nördlichen Landkreisen Madagali und Michika zerstört und nicht wiederaufgebaut wurden. Später griff Boko Haram allerdings auch Moscheen an. Über all diese Erinnerungen, Ängste, Zorn und Wut kann bis heute kaum öffentlich gesprochen werden. Staatliche Initiativen gibt es nicht.

Kinder und Jugendliche haben in den Friedensklubs dazu eine Möglichkeit. "Das Angebot ist sehr nützlich, weil wir junge Menschen zusammenbringen. Das meiste, das in unserer Gesellschaft geschieht, geschieht durch Jugendliche", sagt Jibrilla Garba, der Vizepräsident der christlich-muslimischen Friedensinitiative Campi ist. Er betreut in der ganzen Stadt zahlreiche dieser Arbeitsgemeinschaften und hört Fatima Sharfadeen und Nwoah Amos Drambi interessiert bei ihrer Friedensdiskussion zu.

Gemeinsam aufräumen

Doch Gespräche sind nur ein Aspekt. Vielmehr geht es darum, die jungen Menschen zusammenzubringen. Deshalb planen die drei gerade einen in Nigeria populären Sanitation Day. Dabei wird gemeinsam aufgeräumt, beispielsweise Straßen, ganze Viertel und auch Schulen. Das soll das Gemeinschaftsgefühl stärken und Religion und ethnische Zugehörigkeit vergessen lassen.

Darauf setzt im Zentrum von Mubi auch Pastor John Musa, der für den südlichen Teil der Stadt Vorsitzender der Christlichen Vereinigung Nigerias (CAN) ist. Es ist der Dachverband der christlichen Kirchen im Land. Gemeinsam mit dem muslimischen Rat organisiert er Dialogforen und setzt selbst Zeichen. Nehmen er und Imam Yusuf Yaro, Vorsitzender des Rates, an gemeinsamen Veranstaltungen teil, kommen sie in einem Auto und nicht getrennt.

Besuch beim Imam

"Mittlerweile besuche ich den Imam auch wieder in seinem Büro", sagt Musa. Vor einiger Zeit wäre das noch undenkbar gewesen. Doch nur durch intensiven Kontakt könne Frieden hergestellt werden – und mit Wissen. "Seitdem wir uns austauschen, habe ich viel über den Islam gelernt. Ich weiß, dass die Religion wie das Christentum Frieden predigt", sagt der Pastor, der daraus ein ganz persönliches Fazit zieht: "Boko Haram hat nichts mit Religion zu tun. Der Gruppe haben sich Christen, Heiden und Muslime angeschlossen." – Menschen mit schlechten Intentionen seien das gewesen, und die gebe es in allen Religionen. (Katrin Gänsler aus Mubi, 6.2.2019)