Eifrig beim Notizenschreiben: Präsident Emmanuel Macron.

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Sie trugen immerhin Signalwesten: Mitten in der schwarzen Nacht blockierten 300 Gilets jaunes und Gewerkschafter die Zufahrt zum Pariser Frischmarkt Rungis, dem größten Umschlagplatz für Früchte, Fleisch und Gemüse in Europa. Obwohl die Polizei die Sperren immer wieder zu räumen versuchte, bildeten die Sattelschlepper schnell lange Warteschlangen.

"Generalstreik – Frankreich pausiert", twitterte Eric Drouet, ein prominenter Sprecher der Gelbwesten. Der Appell des 33-jährigen Fernfahrers paarte sich mit dem gleichlautenden Appell der wichtigsten Gewerkschaft CGT. Viele Schulen und Ämter blieben am Dienstag geschlossen. Der öffentliche Verkehr kam regional und national teilweise zum Erliegen, während der internationale Bahn- und Flugverkehr kaum gestört wurde. Die gemäßigteren Gewerkschaften CFDT und Force Ouvrière hatten sich dem Aufruf nicht angeschlossen; einzelne Sektionen und Mitglieder beteiligten sich allerdings doch an dem Ausstand.

Schulterschluss

Wichtiger als die wirtschaftlichen Folgen waren die politischen Auswirkungen: Erstmals seit November kam es zu einem Schulterschluss zwischen Gelbwesten und linken Formationen. Bei den Sperren in Rungis waren auch Abgeordnete der Partei La France insoumise (LFI) sowie Sozialisten und Kommunisten zugegen. Sie hatten sich hinter Drouets Aufruf gestellt und die Losung des "sozialen Notstands" übernommen.

Drouet verkörpert mit seinem harten Kurs – er ruft zum "Aufstand mit allen Mitteln" auf – nicht die ganze Bewegung der Gilets jaunes. Dass er mit der politischen Opposition gemeinsame Sache macht, zeugt indes von einem Linksschwenk der ursprünglich unpolitischen Bewegung. Noch im November hatte CGT-Boss Philippe Martinez Kritik an den Gilets jaunes geübt, da sie anfänglich bloß niedrigere Steuern verlangten und mit Thesen der Rechten liebäugelten. Heute lautet ihre Hauptforderung "Justice fiscale" – Steuergerechtigkeit.

Macron unter Druck

Staatspräsident Emmanuel Macron gerät damit noch mehr unter Druck. Der Präsident tourt seit Tagen durch Frankreich, um der Gelbwestenkrise an der "Basis" zu begegnen; am Montag trat er im Banlieue-Ort Evry südlich von Paris bereits zum fünften Mal vor Hunderten von Lokalpolitikern auf. Die sechsstündige "Macron-Show", wie sie Kritiker nennen, entwickelt sich für den Urheber zu einer Falle: Um den hohen Erwartungen gerecht zu werden, muss Macron jedes Mal größere Versprechen machen, welche die Staatskasse strapazieren und die EU-Defizitvorgaben verletzen.

Doch Macron kann gar nicht anders. Er hat angekündigt, Mitte April seine sozial- und finanzpolitischen Beschlüsse bekanntzugeben – wenige Wochen vor den Europawahlen Ende Mai. Da kann Macron nur neue Zugeständnisse und Wahlgeschenke machen – ansonsten würde sich der Frust in neuen Straßenprotesten entladen.

Vielleicht will Macron auch deshalb sein Gesetz gegen Gewalt bei Demos bis im Frühling verabschiedet haben. Vorgesehen sind stärkere Kontrollen, ein Vermummungsverbot, individuelle Demoverbote und eine Schadenshaftung. Die Nationalversammlung billigte das Vorhaben am Dienstagabend in erster Lesung mit 387 zu 92 Stimmen. 50 Abgeordnete der Präsidentenpartei "La République en marche" (LRM) enthielten sich allerdings der Stimme, was auf beträchtliche Widerstände im Macron-Lager schließen lässt.

Pariser Medien erinnern daran, dass Macrons Vorgänger im Élysée-Palast, der Sozialist François Hollande, durch die "Frondeure" auf seiner Parteilinken über fünf Amtsjahre massiv geschwächt worden war. Dieses abschreckende Beispiel vor Augen, wird Macron versucht sein, seinen liberalen Reformkurs abzuschwächen und die gleiche Metamorphose wie die Gelbwesten zu vollziehen – hin zu einer zarten Rotfärbung. (Stefan Brändle aus Paris, 6.2.2019)