Die Menschen in den Stücken von Anton Tschechow kriegen einfach nichts auf die Reihe. Sie schauen auf ein verpfuschtes Leben zurück und haben auch nicht die geringste Aussicht, daran etwas zu ändern. Selbst das Trinken einer schnöden Tasse Kaffee misslingt, weil die Gutsbesitzerin Ranjéwskaja, bevor sie endlich am Häferl nippen kann, abgelenkt wird und unkonzentriert scheint.
Dass ihr Landgut in die roten Zahlen kam, hängt zwar (nach Abschaffung der Leibeigenschaft) auch mit der Verarmung des russischen Adels zusammen, aber sichtlich nicht nur.
Die makabere Stimmung im Kirschgarten (1904 uraufgeführt), der als Exempel für die veränderten Wirtschaftsbedingungen zu lesen ist, bringt Regisseur Arturas Valudskis im Wiener TAG (Theater an der Gumpendorfer Straße) nach klassischer Armes-Theater-Manier auf die Bühne: Eine Tür, ein Fenster und Stühle reichen aus, um das handlungsarme Familienzusammentreffen auf dem Gut in seiner absurden Unterfütterung zu zeigen.
Reduktionskunst
Allerdings: So ganz reicht es leider doch nicht. Zwar beglückt Valudskis' Reduktionskunst – wie schon bei der Möwe (2016) – mit herzhaften Momenten, einer Poesie des Stillstands voller absurder Kausalitäten und unheimlicher Geräusche. Darin drückt sich die Ineffizienz und Verträumtheit der Ljubówschen Sippe schön aus. Doch mit der zäh verrinnenden Zeit im Text leiern auch auf der Bühne die Ideen aus. Manch robuster Slapstick (an der 300 Jahre alten Tür!) hält seiner eigenen Dauer und Anzahl der Wiederholungen nicht ganz stand.
Valudskis' Tschechow-Affinität kommt vielmehr in der Grundkonzeption zum Ausdruck: In der Art, wie mit wenigen Worten die Melancholie russischer Märchen angetastet wird. Oder wie aus Missverständnissen im Dialog produktive Wahrheiten werden. So etwa antwortet der greise Diener Firs beim Wiedersehen nach Jahren auf die rhetorische Frage, ob er tatsächlich noch lebe: "Ja, vorgestern!" Mehr von diesem Witz hätte die Inszenierung schon vertragen. (afze, 5.2.2019)