Diskrete Annäherungen, geheime Botschaften zum Brexit-Deal: Jean-Claude Jucker empfängt Theresa May.

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Theresa May wolle von ihren 27 EU-Partnern ein erstes Zugeständnis zu dem Ende November vereinbarten Brexit-Deal. Die von ihr geplante Abstimmung darüber im Unterhaus Mitte Jänner werde die britische Premierministerin trotzdem nicht gewinnen, "sie wird dann von uns noch etwas brauchen" – das hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz am Rande des EU-Gipfels kurz vor Weihnachten in einem STANDARD-Interview zu Protokoll gegeben.

Österreich war damals im EU-Vorsitz auf höchster Ebene nahe dran an all den Gesprächen, in denen die Szenarien zum EU-Austritt des Vereinigten Königreichs durchgespielt wurden. Der wird am 29. März 2019 in einem Schnitt wirksam werden, so es den Regierungschefs nicht gelingt, gemeinsam mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk eine Vertragslösung zu finden, die sowohl im britischen als auch im Europäischen Parlament in Straßburg eine Mehrheit findet.

May kommt nach Brüssel

Kurz' Einschätzung im Dezember erwies sich als richtig: May verlor die Abstimmung dramatisch. Am Donnerstag wird sie nun in Brüssel erneut vorstellig, um über den Brexit-Deal nachzuverhandeln. Das hat ein Vertreter der Regierung in London bestätigt.

Juncker wie Tusk erwarten "neue Ideen". Wie es heißt, haben sie vor Wochen bekräftigt, dass sie jederzeit für Gespräche offen sind. Der Kommissionschef zeigte sich sogar relativ optimistisch, dass das am Ende zum Erfolg führt: "Lasst mich nur machen."

Ein Satz, mit dem er klarstellte, worauf es jetzt ankommt. Nicht EU-Chefverhandler Michel Barnier ist jetzt gefragt, der die Brexitgespräche seit Juni 2017 mithilfe von hunderten Beamten im Ringen mit der britischen Seite sachlich ins Trockene gebracht hatte. Im "zweiten Durchgang", dem entscheidenden des ganzen Rennens, wird nun direkt auf Chefebene verhandelt.

Auch Varadkar in der EU-Hauptstadt

Am Tag vor May kommt Irlands Premier Leo Varadkar in die EU-Hauptstadt. Es geht nicht mehr darum, das ganze 585 Seiten starke Austrittsdokument aufzuschnüren, in dem die Konditionen der "Scheidung" von UK und EU in allen Details und juristisch geprüft festgehalten sind. Sie sehen vor, dass der Brexit am 29. März formell erfolgt, aber über einen Übergangszeitraum bis Ende 2020 alles mehr oder weniger beim Alten bleibt: EU-Recht und -Gericht gelten, EU-Programme laufen langsam aus, die Briten zahlen weiter.

May kommt jedoch als eine inzwischen "andere" Premierministerin zurück: Sie hat die Brexitabstimmung verloren, aber im Unterhaus nicht nur einen Abwahlversuch der eigenen Partei, der Tories, überlebt, sondern auch einen Misstrauensantrag der Opposition. Und sie bringt Juncker und Tusk den konkreten Beschluss des Unterhauses mit, über den Backstop für Irland neu zu verhandeln; darüber, was mit den offenen Grenzen zu Nordirland passiert, wenn Großbritannien und die EU sich bis 2022 nicht auf eine Zoll- und Freihandelsvereinbarung einigen.

Verschiebung wird unwahrscheinlicher

Da liegt des Pudels Kern. Wenn man dabei keinen Kompromiss findet, der für beide Seiten akzeptabel ist, wäre der harte Bruch eines No-Deal-Brexits vor allem aber für das kleine EU-Mitgliedsland Irland, das 44 Prozent der Exporte mit Großbritannien abwickelt, fatal. Viele hofften bisher auf eine Verschiebung des Brexits. Aber das wird von Woche zu Woche unwahrscheinlicher.

May muss zu Hause den Brexit liefern, so oder so. Wie im Skisport stellt sich also die Frage, mit wie viel Risiko May, Juncker und Tusk in den zweiten Lauf gehen, um ihr Ziel zu erreichen. Die EU-27 haben bisher erklärt, der vereinbarte EU-Austrittsvertrag sei sakrosankt, nicht verhandelbar.

Irlands Außenminister Simon Coveney ließ erkennen, dass er für "Alternativen" zur Backstop-Garantie der EU-Partner "offen sei", um eine feste Grenze zu Nordirland zu vermeiden. Eine Möglichkeit wäre, die eventuelle Übergangsphase, die man schon einmal um zwei Jahre auf Ende 2022 ausgedehnt hat, neuerlich zu verlängern. Vielleicht sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel auch deshalb, man habe "noch etwas Zeit". (Thomas Mayer aus Brüssel, 5.2.2019)