Blockierter Grenzübergang zu Kolumbien: die 2016 fertiggestellte Tienditas-Brücke wurde nie in Betrieb genommen.

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Brückenblockade an der Grenze zwischen Kolumbien und Venezuela.

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Die sechsspurige Brücke.

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Auf dem Internetdienst Whatsapp kursierte am Dienstag eine Titelseite, schön wie ein Gedicht: ein Foto von demonstrierenden Menschenmassen mit der Überschrift "Wunder in Venezuela – Die Diktatur ist gefallen". Was aussah wie ein Cover des US-Magazins "Time", war aber nichts weiter als ein Fake. Denn der Propagandakrieg um Venezuela tobt genauso wild wie die Gerüchteküche: "Hier ist Leutnant X. In den nächsten 72 Stunden geht es los. Bleibt zu Hause, ladet eure Handys auf", warnt eine Männerstimme in einer der zahlreichen anonymen Nachrichten, die ebenfalls auf Whatsapp kursieren.

Was genau losgehen soll, bleibt unklar, wandelt sich aber stündlich von "Rücktritt" über "Putsch" bis zu einer Invasion, in der Söldner – versteckt in Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern – in der Operation "Trojanisches Pferd" Venezuela befreien. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt: Am Morgen landen geheimnisvolle russische Flugzeuge und bringen kubanische Berater außer Landes; gegen Mittag wird angeblich Parteichef Diosdado Cabello erspäht, wie er mit einem falschen Pass das Land verlässt; am Abend kursierten Karten mit Invasionsplänen, auf denen kanadische und brasilianische Soldaten per Drohnen Laserstrahlen auf Venezuela abfeuern.

"5.000 Soldaten"

Losgetreten hat die Gerüchteküche US-Sicherheitsberater John Bolton. Zu einer Pressekonferenz vergangene Woche erschien er mit einer handschriftlichen Gesprächsnotiz, die vermeintlich aus Versehen in die Kameras gehalten wurde: "5.000 Soldaten nach Kolumbien", wollen die Journalisten darauf gelesen haben. Das suggerierte einen unmittelbar bevorstehenden US-Einmarsch in Venezuela mit Unterstützung des kolumbianischen Verbündeten.

Seither kursieren Fotos von Panzern in der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta oder von GIs in der Grenzregion Guajira und sorgten so lange für Aufregung, bis ein Journalist oder Regierungssprecher diese als "Routinemanöver" oder "eine Mission zum Brunnenbohren" entlarvt hat. Präsident Nicolás Maduro versucht sein Bestes und kontert mit Videos von Truppenübungen oder droht, Milizen zu bewaffnen und in die Streitkräfte einzugliedern.

"Durchhalten" lautet die Parole, die kubanische Berater Maduro gegeben haben. Das Ziel der USA hingegen ist, ihn zu zermürben, einen Keil zwischen ihn und das Militär zu treiben, die Machthaber zum Einlenken zu bewegen. Und zwar ohne zur letzten Keule einer US-Invasion zu greifen, glaubt der Soziologe Tulio Hernández. Denn diese wäre völkerrechtswidrig, weil sich Russland und China im UN-Sicherheitsrat widersetzen würden; sie ließe die lateinamerikanische und europäische Unterstützerfront bröckeln und könnte – wie einst in Irak – zu brennenden Bohrlöchern und einem Zerfall Venezuelas in von Warlords kontrollierte Regionen führen.

US-Stützpunkte

Die USA unterhalten seit den 1990er-Jahren Stützpunkte im verbündeten Kolumbien, das damals für den Kampf gegen die Drogenmafia und die linke Guerilla hochgerüstet wurde. Venezuela seinerseits verfügt über moderne, hauptsächlich russische Waffen, darunter Suchoi-Kampfflugzeuge – aber das Arsenal ist laut Insidern infolge mangelnder Wartung und Schwarzhandels dezimiert. Auch der Zustand der Truppen gilt als suboptimal. Die Chancen, aus einer militärischen Konfrontation siegreich hervorzugehen, sind nicht gut. Psychologisch umso zermürbender wirkt die Propaganda.

Das nächste Kapitel kündigt sich bereits an: die humanitäre Hilfe, die Maduro trotz der offensichtlichen Notlage und Mangelwirtschaft als "unzulässige Einmischung" ablehnt. Die kolumbianische Grenzstadt Cúcuta, Brasilien und eine Karibikinsel werden laut dem Oppositionsführer und Gegenpräsidenten Juan Guaidó Sammelstellen für eine humanitäre Hilfsaktion für die notleidenden Venezolaner sein. Die drei Punkte sind strategisch schön verteilt an möglichst weit voneinander entfernten Grenzpunkten.

Operateur und Sprachrohr der Aktion ist die Lima-Gruppe, ein Zusammenschluss konservativer Länder unter Führung der USA, Brasiliens, Kolumbiens und Kanadas. Die Gruppe hatte sich am Montag in Kanada getroffen.

Bloß: In Cúcuta sieht es nicht nach einer großangelegten Hilfsaktion aus: "Hier ist alles wie immer, der Flüchtlingsstrom hält an, aber zusätzliche Soldaten oder Lager mit Hilfsgütern gibt es nicht", erzählt per Telefon ein Helfer der kirchlichen Einrichtung Casa de Paso. Sowohl die Caritas als auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) haben eine Beteiligung an Hilfslieferungen abgelehnt. "Gemäß unseren Prinzipien der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit können wir nur nach vorheriger Zustimmung der Beteiligten an einer solchen Maßnahme teilnehmen", twitterte das IKRK, nachdem zuvor schon die Caritas eine ähnliche Erklärung abgegeben hatte.

Unterdessen tauchten trotzdem auf Twitter Fotos eines vermeintlich mit Hilfsgütern beladenen Lkws auf, der angeblich auf die Grenzbrücke Las Tienditas zusteuerte, die aber auf venezolanischer Seite mit Containern verstellt war. "Das Ganze ist ein langfristig angelegter Zermürbungskampf", warnt Soziologe Hernández. "Ich glaube nicht, dass die USA unilateral mit Waffengewalt einen Korridor für die Hilfsgüter erzwingen werden", sagt er. "Vermutlich werden sie einen vollbeladenen Lkw von Zivilisten auf die Brücke eskortieren und alle TV-Sender der Welt filmen lassen, wie ihn schwerbewaffnete venezolanische Soldaten stoppen." (Sandra Weiss, 6.2.2019)