Die Wiener Stadtregierung unter Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) will die bevölkerungsstarken Außenbezirke in den Fokus rücken. Auch Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) ist am Zug: Kunst und Kultur soll dort Brücken bauen, wo die Gesellschaft auseinanderzubrechen droht. Vor allem in den neuen Stadteilen Wiens, wo teils tausende Wohnungen auf einmal entstehen, ist das kulturelle Angebot äußerst karg. Mit den "kulturellen Stadtlaboren" will Kaup-Hasler "Ankerzentren" in den Flächenbezirken schaffen. Dort sollen mittels Kultur die "realen Verhältnisse" und "Herausforderungen" der Bevölkerung angesprochen werden. Dabei setzt sie auf schon vorhandene Strukturen und auf die Zusammenarbeit mit der freien Szene.

Foto: Christian Jobst

STANDARD: Sie haben die "kulturellen Stadtlabore" als ein "kulturpolitisches Vorhaben der kommenden Jahre" angekündigt. Was kann man sich darunter vorstellen?

Kaup-Hasler: Die Stadtlabore sind eine wichtige Initiative im Bereich der Bezirkskultur. Mir ist wichtig, Wien als wachsende Metropole in ihrer ungeheuren Dynamik auch vonseiten der Kultur wahrzunehmen. Eine Stadt, die seit vielen Jahren weltweit als lebenswerteste Stadt gilt und sich ständig verändert, muss den Faktor Kunst und Kultur in diese Veränderungsprozesse miteinbeziehen. Kultur soll schließlich in der ganzen Stadt erlebbar sein.

STANDARD: Wollen Sie mit Kultur Sozialpolitik betreiben?

Kaup-Hasler: Es geht nicht darum, Kunst zu instrumentalisieren. Wer meint, dass Kunst Probleme löst, die komplexe Ursachen haben und politisch bearbeitet werden sollten, hat Kunst und ihre Autonomie missverstanden. Kunst kann aber seismografisch agieren und muss sich mit den konkreten Lebenswelten der Bewohner auseinandersetzen. Man braucht nicht nur eine funktionierende Infrastruktur mit Wohnungen, Verkehrsanbindung, Schulen, die Menschen brauchen auch Kultur. Insofern ist bei diesen sehr divers angedachten Stadtlaboren wichtig, dass sie temporäre soziale Räume schaffen. Der gemeinsame Raum der Kunst ermöglicht die Erfahrung von sozialer Wärme in einer Gesellschaft, die zunehmend berührungslos geworden ist

STANDARD: An welche Kunst- und Kulturschaffende richtet sich dieser Schwerpunkt auf Dezentralisierung?

Kaup-Hasler: Es gibt bereits jetzt viele Initiativen und Vereine, die wichtig für die lokale Bezirkskultur sind. Und auch große Player aus den innerstädtischen Bezirken haben die Zeichen der Zeit verstanden: etwa das Volkstheater, das Konzerthaus oder das Architekturzentrum. Sie realisieren bereits Projekte in den Bezirken. In diesem Konzert der vielen sind die Stadtlabore ein weiterer Impulsgeber. Es sollen Projekte realisiert werden, die auf Kooperation zwischen Bürgern, Bezirk, Künstlern und Kultureinrichtungen setzen. Sie sollen die realen Verhältnisse und spezifischen Herausforderungen der Bevölkerung mitdenken und mit den Mitteln der Kunst soziale Räume schaffen.

STANDARD: Wie wird mit schon bestehenden Kunst- und Kulturszenen zusammengearbeitet?

Kaup-Hasler: Zunächst geht es darum, KünstlerInnen aus unterschiedlichen Genres, im Übrigen auch die Wissenschaft, zu animieren, Ideen zu entwickeln. Dabei werden etablierte Institutionen mit der freien Szene zusammenarbeiten.

STANDARD: Können sich schon bestehende Räume und Initiativen als "kulturelle Stadtlabore" bewerben?

Kaup-Hasler: Die Projekte sind im Dialog mit Einrichtungen entstanden, die bereits Erfahrung mit der Aufgabenstellung der Stadtlabore haben. Diese Einrichtungen fungieren künftig als Ankerpunkte oder bilden Handlungsallianzen. Es wäre wenig effizient, zu meinen, dass man das Rad neu erfinden muss.

STANDARD: Welche Räume werden für die "kulturellen Stadtlabore" infrage kommen?

Kaup-Hasler: Es werden neue soziale Räume geschaffen, der öffentliche Raum miteinbezogen sowie auch mit bestehenden Einrichtungen wie dem F23 in Liesing kooperiert. Es braucht immer wieder "Ankerpunkte" in den Bezirken – auch als Basislager für weiteres.

STANDARD: Werden vorerst nur einjährige Förderungen vergeben oder ist eine längerfristige Planung vorgesehen?

Kaup-Hasler: 2019 ist ein Pilotjahr. Natürlich wollen wir nach diesem Jahr nicht einfach aufhören, aber wir werden laufend die Projekte begleiten und auch evaluieren.

STANDARD: Gibt es Best-Practice-Beispiele, an denen Sie sich in der Entwicklung Ihres Vorhabens orientieren?

Kaup-Hasler: Für Wien, aber auch international, gilt die Brunnenpassage als interkulturelles Vorzeigeprojekt. Sie wurde erst kürzlich in Berlin im Rahmen eines bundesweiten Symposiums zu transkulturellen Räumen als Best-Practice-Beispiel eingeladen und vorgestellt. Darüber hinaus gibt es in Paris Projekte, die der Absicht der Stadtlabore entsprechen.

STANDARD: Man hört, die Wiener Festwochen wollen dieses Jahr – abgesehen von der traditionellen Eröffnung am Rathausplatz – in die "Metastadt" im 22. Bezirk übersiedeln. Ist das ein Pionierprojekt für Ihr Vorhaben?

Kaup-Hasler: Wenn man weiß, wie vernetzt Christophe Slagmuylder bereits in Brüssel gearbeitet hat, wie stark das Kunstenfestival des Arts sich auf unterschiedliche Zonen der Stadt eingelassen hat, dann verwundert es wenig, wenn er mit der gleichen Haltung auch auf Wien zugeht.

STANDARD: Wann werden die ersten Stadtlabore präsentiert?

Kaup-Hasler: In jedem Fall werden 2019 erste Pilotprojekte in einigen Bezirken auf Schiene gebracht. Die Stadtlabore werden Mitte März präsentiert.