Wien – In seinem Schlussplädoyer läuft Werner Tomanek zur Höchstform auf: "Pflichtgemäß muss ich als Verteidiger die positiven Seiten meines Mandanten betonen: Er stammt nicht unbedingt aus einem radikalislamischen Umfeld", sagt er über seinen 16-jährigen Mandanten Ahmed K., der vor Richter Georg Allmayer sitzt, da er am 24. November im volltrunkenen Zustand einen Lokalgast mit einem Schraubenzieher attackiert hat.

Warum der Syrer das gemacht hat, lässt sich nicht klären: Er selbst sagt, er könne sich nicht erinnern; das um zwei Köpfe größere Opfer hat keine Ahnung, warum er angegriffen wurde. Unmittelbar nach seiner Festnahme hatte K. noch bestritten, etwas mit der Sache zu tun zu haben. Nach ersten Gesprächen mit dem Verteidiger "sind die Erinnerungsinseln wieder zusammengewachsen zu einem einheitlichen Bild", erklärt Tomanek. Also bekennt sich der Angeklagte nun schuldig.

Ab 18 Uhr habe er am Tattag begonnen, sich alkoholisch zu berauschen, erzählt der Teenager. "Bier, Tequila, Wodka und Whisky gemischt." – " Gemischt?", ist Richter Allmayer überrascht. "Nein, abwechselnd", korrigiert sich der Schüler. Später traf er seinen Bruder und seine Schwägerin im Lokal Einstein, nur drei Häuserblocks vom Landesgericht entfernt.

Schwägerin soll provoziert haben

"Ich war alkoholisiert und wollte einfach heim", entschuldigt sich der Angeklagte. Mit der laut seiner Aussage ebenso angeheiterten Schwägerin kam es zu einem nicht näher definierten Konflikt. "Sie hat andere provoziert", ist alles, woran K. sich erinnern kann. Zunächst verließ er das Lokal, kam dann aber zurück – und griff Gast Milenko J., einen Fleischhauer, an.

Die Psychologen nennen es "hostile expectation bias", der Angeklagte drückt es so aus: "Ich habe mir vorgestellt, was passieren könnte, und dachte mir, bevor ich von ihm geschlagen werde ... da habe ich das getan." Nämlich mit einem mitgeführten Schraubenzieher sechs- bis siebenmal auf Hals und Oberkörper von J. einzustechen, der glücklicherweise nur oberflächliche Verletzungen erlitt.

"Und warum haben Sie beim Fortgehen einen Schraubenzieher mit?", interessiert sich der Richter. "Mein Bruder wurde vor einiger Zeit von Afghanen angegriffen. Ich wollte mich selbst schützen", argumentiert der Teenager. Warum er das 25-jährige Opfer noch als "Hurenkind" und "Missgeburt" beschimpft hat und damit drohte, er werde seine "Tschetschenenfreunde" rufen, weiß K. nicht mehr.

"Man erwartet das nicht"

Zeuge J. erinnert sich, dass ihm der Angeklagte schon im Vorfeld aufgefallen sei, "da er außer mir der einzige Ausländer im Lokal war". Beim ersten Abgang habe K. die Türe aggressiv aufgetreten, bei der Rückkehr dann grundlos angegriffen. "Man erwartet das nicht, es verstört mich noch immer", sagt das Opfer, das 770 Euro Schmerzensgeld fordert. J. gibt aber auch eine Prognose ab: "Handwerker wird der junge Mann keiner mehr", ist er überzeugt, da K. mit dem Werkzeug eher unbeholfen hantiert habe.

"Möchten Sie vielleicht die Gelegenheit nutzen, etwas zu sagen?", animiert Tomanek seinen Mandanten, nachdem J. wieder im Zuschauerraum Platz genommen hat. "Ich möchte mich entschuldigen. Ich war betrunken", sagt K. kleinlaut. "Zur Kenntnis genommen", repliziert das Opfer.

Die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter diagnostiziert in ihrem von Allmayer verlesenen Gutachten, dass der Angeklagte eine "fehlangepasste Persönlichkeitsstruktur" habe und empfiehlt dringend ein Anti-Gewalt-Training, das K. akzeptiert.

"Gilt, ein paar Schrauben feinzujustieren"

"Er trinkt, aber ihm fehlt noch die österreichische Gemütlichkeit", kann sich Tomanek bei seinen Schlussworten nicht verkneifen. "Er wird halt wunderlich, wenn er sauft", sagt der Verteidiger und erläutert, dass auch bei K.s Vorstrafe zu vier Monaten bedingt wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt vom Februar 2018 ein alkoholinduzierter Vorfall der Grund gewesen sei. Grundsätzlich stimmt Tomanek der Expertin zu, dass es "gilt, ein paar Schrauben feinzujustieren".

Bei einem Strafrahmen von bis zu 30 Monaten wird K. am Ende zu 18 Monaten verurteilt, sechs davon unbedingt. Dazu kommen Bewährungshilfe und die Weisung zum Anti-Gewalt-Training. Der Angeklagte nimmt die Entscheidung an, die Staatsanwältin gibt keine Erklärung ab, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 6.2.2019)