US-Präsident Donald Trump zweite Rede zur Lage der Nation offenbarte ein Psychogramm des narzisstischen Polemikers im Oval Office.

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Jobs, Jobs und nochmal Jobs, so lautet das Mantra Donald Trumps seit den ersten Wahlkampftagen. Fest steht, dass der 45. US-Präsident vor allem in zweierlei Branchen nachhaltig für reichlich Betätigung künftiger Generationen sorgen dürfte: jener der Politologen und jener der Psychoanalytiker. Trumps zweite Rede zur Lage der Nation in der Nacht auf Mittwoch offenbarte schließlich weniger eine Bestandsaufnahme der Stärken und Schwächen des Landes denn ein Psychogramm des narzisstischen Polemikers im Oval Office.

Er fühle sich weder einer republikanischen noch einer demokratischen Agenda verpflichtet, beteuerte der Präsident, sondern einzig und allein dem amerikanischen Volk. Und doch ging es in dem beinahe zweistündigen Sermon im Washingtoner Kongress in Wahrheit einmal mehr vor allem um einen einzigen der 300 Millionen US-Bürger: Donald Trump höchstselbst. Niemandem anderen als ihm nämlich habe die Nation Frieden, Wohlstand und Sicherheit zu verdanken, er allein verhindere Kriege, befreie die Unternehmen von lästigen Regulatorien und halte demokratische Gouverneure davon ab, "Babys nach der Geburt zu exekutieren".

Dass keine dieser haarsträubenden Behauptungen einem Faktencheck standhalten, einige davon glatte Lügen sind, ficht den gewieften Wahlkämpfer nicht an. Anstatt sich an die zutiefst gespaltene Nation zu wenden und zu versuchen, die Gräben in deren Mitte kleiner anstatt größer zu machen, setzt Trump unverdrossen weiter auf Polarisierung. Und indem er die Gelegenheit beim Schopf packt und die Einstellung der mannigfaltigen Untersuchungen gegen sich fordert, weil sie – Achtung, kein Witz! – der allein seiner Umsicht wegen brummenden US-Wirtschaft den Garaus machen könnten, zieht Trump die "State of the Union Address" endgültig ins Groteske.

Anhängerschaft bei Laune halten

Was für den Präsidenten im Wahlkampfmodus zählt, ist nicht die Würde seines Amtes, nicht die Reputation des Landes und auch nicht dessen Zustand. Den harten Kern seiner Anhängerschaft bei Laune zu halten, koste es, was es wolle, das ist seine wahre Agenda. Klar, dass Trump in seiner Rede, die aufgrund des von ihm verursachten, mehr als einen Monat währenden Shutdowns verschoben worden war, erneut auf die Mauer zu Mexiko pocht. Den Argumenten, die er dafür zu Hilfe zieht, wohnt Wahrheit freilich nur in Spuren inne. Etwa wenn er über die gesunkene Kriminalitätsrate im texanischen El Paso schwadroniert, die in Wahrheit mit der dort bereits befestigten Grenzlinie nichts zu tun hat – oder indem er einmal mehr vor einer "großen Karawane" von Migranten in Richtung US-Grenze warnt, die in der Realität gar nicht mehr existiert.

Trump schert es nicht, was die Abgeordneten von seiner Rede zur Lage der Nation halten. Und auch nicht, wie die ihm ohnehin meist wenig wohlgesonnenen Zeitungen sie bewerten. Am Herzen liegt Trump, der eine zweite Amtszeit wohl schon fix eingepreist hat, nur er selbst. Der Präsident macht sich die Welt zu diesem Zweck, wie sie ihm gefällt. Und die Wahrheit muss sich da schon einmal seinem Diktum beugen. Dass es um die Lage der Nation so auf Dauer nicht allzu gut steht, scheint ihn nicht zu kümmern.

Dabei ist Trump bei der Wahl längst nicht nur auf die Stimmen seiner Hardcore-Fans angewiesen, denen er nun einmal mehr geschmeichelt hat. Ob er die Geister der Spaltung rechtzeitig loswird, steht indes in den Sternen. (Florian Niederndorfer, 6.2.2019)